Kommentar von Beate Freyer, Geschäftsführerin machineering „Mit Open-Source-Lösungen kommen wir nicht weiter“

Beate Freyer, Geschäftsführerin von Machineering: „Mit einfachen Standards kommen wir beim Digital Twin nicht weiter; mit teurer Individualsoftware auch nicht.“

Bild: machineering
01.12.2020

VDMA, ZVEI, Bitkom und 20 Firmen aus Maschinenbau und Elektroindustrie haben die „Industrial Digital Twin Association“ (IDTA) gegründet. Die IDTA soll parallel verlaufende Entwicklungsstränge des digitalen Zwillings zusammenzubringen und als Open-Source-Lösung entwickeln. Beate Freyer, Geschäftsführerin von machineering, kommentiert diese Entwicklung.

Standards sind prinzipiell gut. Vor allem, wenn das Thema neu ist wie der Digital Twin. Derzeit gibt es viele unterschiedliche Sichtweisen auf den digitalen Zwilling, was darunter zu verstehen ist und was er können muss. Doch kann ein so großes Konsortium, in dem jeder sein eigenes Ziel verfolgt, sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen, der eine ganze Branche weiterbringen kann?

Open Source nur für erste Schritte

In Deutschland gibt es nach wie vor Unternehmen mit einem geringem Digitalisierungsgrad. Für diese Firmen, die bei dem Thema Digitalisierung noch in den Kinderschuhen stecken, ist es sinnvoll erste Schritte zur Vorgehensweise zu erarbeiten beziehungsweise bei Umsetzung eines digitalen Zwillings zu unterstützen. Für diese Unternehmen mag so eine Open-Source-Lösung vielleicht funktionieren. Doch was passiert, wenn die Maschinen und Anlagen doch komplexer werden?

Spätestens dann, müssen teure Experten her, die die Software individuell für den Kunden weiterentwickeln. Kann man dann noch von einem Standard sprechen, wenn jeder sein eigenes digital Twin-Tool schafft? Und was passiert dann mit Schnittstellen und Kompatibilitäten? Ist dann ein Datenaustausch zwischen beispielsweise OEMs und Zulieferer noch ohne weiteres möglich? Kommen vielleicht noch Add-on-Tools zum Einsatz, die einen Daten- und Technologieschutz nur auf dem Papier sicherstellen?

Standard bedeutet Innovationsrückschritt

Ein gemeinsam definierter Standard bedeutet einen erheblichen Rückschritt für all jene innovative Unternehmen, die bereits heute erfolgreich mit dem Digitalen Zwilling arbeiten, für Unternehmen, die viele Jahre Arbeit und Know-how in die Entwicklung gesteckt haben und für den Engineering-Standort Deutschland. Wir sind weltweit absolut führend auf diesem Gebiet. Genau diese Schlagfertigkeit setzen wir aufs Spiel, wenn wir eine Open Source-Lösung auf den Markt bringen und mit diesem Standard womöglich Unternehmen zwingen, diesen einzusetzen.

Ein digitaler Zwilling ist nichts, was „einfach mal so“ funktioniert. Dahinter steckt – wenn es vollumfänglich und vor allem detailliert – umgesetzt werden soll, ein komplexer Prozess, der höchste Engineering-Kenntnisse voraussetzt, ähnlich wie bei einer realen Inbetriebnahme. Eine „One fits all-Lösung“ wird keinen echten Mehrwert bringen. Warum sollten also bisher innovative Unternehmen auf Ihren derzeitigen Wettbewerbsvorteil verzichten und die Qualität der ausgelieferten Maschinen darunter leiden lassen?

Know-how offen legen?

Ein weiterer Punkt, der uns als Anbieter einer „Digital Twin“-Lösung irritiert: Warum sollten die Keyplayer der deutschen Automatisierungstechnik ihre jahrzehntelange Expertise allen Unternehmen kostenlos in Form einer Open Source-Lösung zur Verfügung stellen? Am besten noch unseren internationalen Wettbewerbern, damit diese die noch vorhandenen Defizite in der Automatisierung schnell bereinigen können? Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass unsere deutschen Knowhow-Träger tatsächlich ihren Wettbewerbsvorteil aufs Spiel setzen wollen. Warum sollten sie auch?

Daher vermute ich, dass das Konsortium bei der Standardisierung des Digitalen Zwillings nur einen eingeschränkten, sehr allgemeinen Bereich für den Einstieg beleuchten kann. Unsere Industrie benötigt jedoch zum Ausbau der Innovationsfähigkeit weitaus mehr. Der Trend im deutschsprachigen Raum geht ganz klar dahin, einen digitalen Zwilling bereits in den frühen Entwicklungsphasen einzusetzen, Machbarkeiten abzusichern und damit enormes Einsparungspotenzial wie Zeit, Kosten und Qualität möglich zu machen.

Und das geht nur, wenn die eingesetzte Technologie eine Standardsoftware ist, die das virtuelle Abbild einer komplexen mechatronischen Anlage oder Produktionslinie auch abbilden kann. Mit einfachen Open-Source-Lösungen kommen wir an dieser Stelle nicht weiter. Ebenso wenig mit einer teurer Individualsoftware.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel