Interview über die Weiterentwicklung industrieller Netzwerke „Netzwerke managen sich bald selbst“

Wolfgang Schenk, VP Global Business Develpment bei Belden

Bild: Belden
18.09.2024

Produktionen werden zunehmend vernetzter – bis hoch in die Cloud. Doch wird das in Zeiten von OPC UA, SPE, TSN & Co. auch einfacher? Hinzu kommen noch Security-Bedenken. Wir haben mit Experten über den Status quo und die Zukunft industrieller Netzwerke diskutiert: Wolfgang Schenk, VP Global Business Develpment bei Belden, und Dr. René Hummen, Director Innovation and Incubation bei Belden, geben im Interview mit A&D interessante Einblicke.

Wenn Sie die letzten zehn Jahre Revue passieren lassen, ist die industrielle Kommunikation einfacher und standardisierter oder ist sie komplexer geworden?

Schenk:

Die Technik hat definitiv komplexe hybride Netzwerke geschaffen. Industrielle Kommunikation ist technologisch anspruchsvoller geworden, mit Echtzeitfähigkeit durch TSN. Aber ich bin der Meinung, dass die Entscheidung für Kunden einfacher geworden ist, da Ethernet sich durchgesetzt hat. OPC UA und FX-Anwendungen für die Feldkommunikation bieten klare Auswahlkriterien sowohl für Greenfield- als auch für Brownfield-Entscheidungen. Single Pair Ethernet wird noch etwas Zeit brauchen, aber es ermöglicht eine nahtlose Übertragung vom Sensor über alle Ebenen hinweg durch eine einzige Technologie. Zudem haben wir jetzt mehr Technologien und Lösungen zur Verfügung, um spezifische Kundenanforderungen zu erfüllen, was zu einer höheren Flexibilität und Anpassungsfähigkeit führt.

Dr. Hummen:

Jede neue Technologie bringt zunächst zusätzliche Komplexität, da bestehende Systeme oft lange Lebenszyklen haben. Der Schlüssel zur Akzeptanz neuer Technologien liegt darin, wie gut sie Probleme lösen können. Ein Beispiel ist Ethernet-APL aus der Prozessindustrie: Es bietet neue Möglichkeiten wie verbesserte Sichtbarkeit und größere Datenmengen, die 4-20 mA nicht bieten kann. Die Benutzererfahrung ist entscheidend, um Komplexität zu handhaben und Akzeptanz zu fördern. Es geht darum zu identifizieren, welche Use Cases und Märkte spezifische Herausforderungen haben und wie neue Technologien diese adressieren können. Kunden wollen sehen, dass die neuen Technologien ihre Probleme effizienter und effektiver lösen als die bestehenden Lösungen.

Diskussionen über industrielle Kommunikation drehen sich oft um SPE, TSN, 5G oder OPC UA. Geht es künftig aber einfach darum, standardisierte Datenmodelle vom Sensor bis in die Cloud zu transportieren?

Dr. Hummen:

Kunden interessiert weniger, wie Daten in Bits und Bytes übertragen werden, aber sie legen großen Wert auf Vertrauen und Funktionalität. Neue Technologien müssen zuerst verstanden und evaluiert werden. Erfolgreiche Pilotprojekte sind entscheidend für die Marktakzeptanz. Der Kunde möchte sicherstellen, dass die neue Technologie funktioniert und ihm einen Mehrwert bietet. Der Fokus verschiebt sich von der reinen Hardware zu den Anwendungen und den Vorteilen, die sie bieten. Es ist wichtig, dass die Technologien stabil und zuverlässig sind und dass sie die spezifischen Anforderungen und Herausforderungen der Kunden adressieren.

SPE wurde schon erwähnt. Welchen Stellenwert wird es in der industriellen Automatisierung langfristig haben?

Schenk:

SPE wird langfristig wichtig für Ethernet everywhere und Ethernet to the field sein. Ethernet APL in der Prozessindustrie zeigt den klaren Nutzen. Für die Factory Automation wird SPE ähnliche Vorteile bieten, insbesondere bei längeren Reichweiten und höherer Bandbreite. IO-Link über SPE könnte einige Use Cases erweitern. Langfristig könnte SPE andere Protokolle ersetzen, insbesondere wenn es um Gigabit-Anwendungen geht. Die Herausforderung liegt darin, die Technologie so anzupassen, dass die Hürden für die Implementierung minimal sind und die Vorteile maximiert werden. SPE bietet das Potenzial, die Komplexität zu reduzieren und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit und Flexibilität zu erhöhen.

Sind wir zu ungeduldig, wenn es um neue Netzwerktechnologien geht?

Schenk:

Ja, manchmal sind wir zu ungeduldig. Neue Technologien werden mittlerweile jedoch schneller eingeführt, da mehr Zusammenarbeit und weniger Verteidigung von Pfründen stattfindet. Ethernet-APL ist ein Beispiel für eine erfolgreiche Migration zu neuen Netzwerktechnologien. Es ist wichtig, dass wir die Balance finden zwischen der Einführung neuer Technologien und der Sicherstellung, dass sie vollständig getestet und einsatzbereit sind. Geduld ist erforderlich, um sicherzustellen, dass die Implementierung reibungslos verläuft und die Vorteile vollständig realisiert werden.

SPE vereinfacht die Verdrahtung und bringt Ethernet überall hin. Ist Ihre Traumkombi jetzt noch Speed mit TSN und Datendurchgängigkeit via OPC UA?

Dr. Hummen:

Das ist nahe am Idealbild. Standardisierte Technologien und Schnittstellen schaffen einen offenen Markt. Brownfield-Integration bleibt wichtig, aber durch Edge-Lösungen gut umsetzbar. TSN, OPC UA und SPE sind eine ideale Kombination. Diese Technologien bieten die notwendige Flexibilität und Skalierbarkeit, um den Anforderungen moderner industrieller Anwendungen gerecht zu werden. Die Kombination ermöglicht es, Echtzeitfähigkeit, Interoperabilität und eine nahtlose Datenübertragung vom Sensor bis in die Cloud zu gewährleisten.

Welche typischen Vorbehalte haben Kunden gegenüber neuen Netzwerktechnologien?

Dr. Hummen:

Kunden vergleichen neue Technologien oft mit bestehenden Systemen und achten auf Kosten und Nutzen. Predictive Maintenance beispielsweise erfordert Metadaten und flexible Kommunikationswege. SPE bietet hier neue Möglichkeiten. Es ist wichtig, dass neue Technologien nicht nur ihre technischen Vorteile demonstrieren, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sind. Die Gesamtbetriebskosten müssen berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass die neuen Technologien langfristig einen Mehrwert bieten.

Warum gibt es denn schon wieder so viele verschiedene Varianten von SPE?

Schenk:

Unterschiedliche Anforderungen führen zu verschiedenen Standards. Es ist wichtig, diese zu vereinheitlichen und zusammenzuführen. Jede neue Sitzung bei einer der etablierten Feldbusorganisationen bringt erneute Verwirrung mit sich. Unser Ziel ist es, Menschen zusammenzubringen und Use Cases und Beschreibungen zu vereinheitlichen, um die unterschiedlichen Lager zusammenzuführen und die Komplexität zu reduzieren.

Dr. Hummen:

Eine gewisse Varianz ist dennoch gesund und notwendig, um verschiedene Anforderungen zu erfüllen. Es ist sinnvoll, sich an die Anforderungen anzupassen. Es gibt auch nicht nur den einen Ethernet-Standard oder die eine Geschwindigkeit, die für alle ausreichend ist. Die Varianz ermöglicht es, spezifische Anforderungen und Umgebungen zu berücksichtigen und Lösungen – auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten – anzupassen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass die verschiedenen Standards und Technologien zusammenarbeiten können, um eine nahtlose Integration zu ermöglichen. Und genau dafür setzen wir uns auch bei den Gremien ein.

Wird die Kommunikation langfristig bei kabelgebundenen Lösungen bleiben?

Schenk:

Kommunikation folgt der Stromversorgung. Solange Kabel für die Stromversorgung verlegt werden müssen, bleibt das auch der sicherste Weg für die zuverlässige Datenübertragung, insbesondere in kritischen Anwendungen. Dennoch konzentrieren wir uns stark auf hybride Lösungen – also kabelgebunden und drahtlos im Mix. Drahtlose Lösungen bieten Flexibilität in akkubetriebenen Systemen und Logistikanwendungen wie AGVs und Materialhandling. Hybride Netzwerke bieten dann die Flexibilität, die in modernen Produktionsumgebungen erforderlich ist, und ermöglichen die Sicherheit und Zuverlässigkeit, wo es notwendig ist.

Welche Potenziale sieht Belden in Industrial 5G?

Dr. Hummen:

Wir haben eigene 5G-Testumgebungen, um die Technologie zu evaluieren und ihre Echtzeitfähigkeit zu testen. Und wir sagen ganz klar: Wenn die Szenarien groß genug sind, das heißt, wenn viele Access Points benötigt werden, etwa zwischen 10 und 100 an einem Ort, dann wird der „Sweet Spot“ erreicht, an dem ein 5G-Netzwerk interessant wird. Im Vergleich zu WLAN benötigt ein 5G-Netzwerk weniger verschiedene Komponenten. Dies ist einerseits wichtig für die Abdeckung, also die Größe der Anlage oder des Gebiets. Andererseits spielt die Anzahl der Teilnehmer eine Rolle: Je mehr Teilnehmer, desto spannender wird 5G, sobald man über eine Handvoll hinausgeht pro Zelle. Ein Beispiel hierfür sind Roboter, insbesondere wenn es um die Anbindung von Werkzeugen geht. Häufig ist die Werkzeugausstattung modular aufgebaut, was bedeutet, dass Werkzeugwechsel stattfinden und Kabel nicht immer innerhalb des Roboterarms verlegt sind, sondern außen entlanggeführt werden. In solchen Kontexten wird drahtlose Kommunikation plötzlich interessant. Ebenso ist Echtzeitkommunikation ein wichtiger Aspekt, bei dem 5G eine vielversprechende Lösung darstellt.

Je vernetzter Produktionsanlagen werden, desto höher wird auch das Risiko von Cyber-Attacken. Ist Belden inzwischen auch ein Netzwerk-Security-Experte?

Schenk:

Ja, Cybersecurity ist zentral für uns. Wir haben sichere Betriebssysteme, Network Access Control, VPNs und vieles mehr vorangetrieben. Unsere Lösungen sind darauf ausgelegt, höchste Sicherheitsstandards zu erfüllen und unseren Kunden den bestmöglichen Schutz zu bieten. Wir investieren kontinuierlich in die Weiterentwicklung unserer Sicherheitslösungen.

Dr. Hummen:

Sicherheit ist auch eine zentrale Anforderung unserer Kunden. Cybersecurity ist facettenreich und wichtig für die Produktentwicklung. Partnerschaften und die Erweiterung des eigenen Portfolios sind entscheidend, um die vielfältigen Anforderungen zu erfüllen und sicherzustellen, dass unsere Lösungen stets auf dem neuesten Stand der Technik sind.

Wie hilft KI bei der Netzwerksicherheit?

Dr. Hummen:

KI wird in Firewalls und zur Netzwerkverkehrsanalyse eingesetzt. KI-basierte Lösungen wie Horizon Network Insight helfen, Netzwerkverkehr zu analysieren und zu überwachen. KI kann dazu beitragen, Anomalien und Bedrohungen in Echtzeit zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Werden industrielle Netzwerke künftig KI-gestützt verwaltet?

Schenk:

Ja, wir wollen hin zu einem Intent-based Networking, das sich automatisch konfiguriert. KI wird helfen, Netzwerke flexibel und dynamisch zu managen. KI ermöglicht es, Netzwerke effizienter zu konfigurieren und zu betreiben, indem sie komplexe Aufgaben automatisiert und die Belastung für die IT-Abteilungen reduziert. Das Intent-based Networking ermöglicht es Nutzern auch, Anforderungen an Netzwerke auf einem hohen Level zu formulieren. Eine Intent-based Engine übersetzt diese Anforderungen mit Hilfe von KI in Konfigurationen. Dies bietet eine höhere Flexibilität und Effizienz bei der Verwaltung von Netzwerken und ermöglicht es den Nutzern, sich auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren.

Unterstützt Belden Kunden auch bei der optimalen Datensammlung und -bereitstellung?

Schenk:

Absolut. Wir betrachten uns definitiv als Lösungsanbieter. Wir haben in Experten investiert, die direkt in die Fabriken gehen können und als „Digital Automation Consultants“ fungieren. Unser Fokus liegt auf der optimalen Datenerfassung, -aufbereitung, -übertragung und Kontextualisierung. Was uns einzigartig macht, ist unser umfassendes Domänenwissen über die Fabrikprozesse sowie unsere hohe Kompetenz im Umgang mit Daten. Wir stellen sicher, dass die Daten optimal gesammelt und im richtigen Format bereitgestellt werden. Und mit unserer Plattform Horizon haben wir ein zentrales System, das Echtzeit-IT/OT-Daten integriert. Es reduziert den manuellen Integrationsaufwand und bietet eine skalierbare Datenplattform. Dies ermöglicht es, Datensilos aufzubrechen und eine nahtlose Datenkommunikation zu gewährleisten.

Dr. Hummen:

Wir helfen Kunden, die notwendigen Datenpunkte zu identifizieren und zu extrahieren, ohne den laufenden Prozess zu stören. Es geht darum, die besten Methoden zu finden, um Daten zu sammeln und zu analysieren, um die Effizienz und Produktivität zu maximieren.

Wo sehen Sie industrielle Netzwerke in zehn Jahren?

Schenk:

Viele der uns heute bekannten Kommunikationstechnologien und Netzwerkarchitekturen werden sicherlich auch in zehn Jahren noch relevant sein. Die Uhr steht jedoch auch für industrielle Netzwerke nicht still. Integrierte Cybersecurity-Lösungen werden immer wichtiger, drahtlose Kommunikation wird das ein oder andere Kabel ersetzen. Prozessdaten werden zunehmend wertvoller und müssen vertikal kommuniziert werden. Besonders gespannt bin ich darauf, wie Netze zukünftig als Service betrieben werden und welche Innovationen uns unterstützen werden, die heute noch nicht absehbar sind, aber sicherlich in naher Zukunft von uns auf den Markt kommen werden.

Dr. Hummen:

Drahtloser, sicherer und mit KI-unterstütztem Management. Bestehende Technologien werden weiterhin bestehen, aber neue Technologien wie TSN und SPE werden weit verbreitet sein. KI wird mindestens als Copilot standardisiert sein und die Integration von Brownfield-Technologien bleibt eine Herausforderung, die Fingerspitzengefühl erfordert.

Warum sollten sich Kunden an Belden wenden, wenn es um industrielle Netzwerke und Digitalisierung geht?

Schenk:

Belden ist der einzige Anbieter, der ganzheitliche Netzwerklösungen und Datenkontexte anbieten kann. Wir vereinen Hard- und Software mit Domänenwissen und Datenkompetenz. Dies ermöglicht uns, umfassende maßgeschneiderte und sichere Lösungen für unsere Kunden anzubieten.

Dr. Hummen:

Belden ist perfekt aufgestellt, um den Status quo zu unterstützen und neue Technologien zu evaluieren. Wir sind vorne dabei, wenn es um Innovationen geht, und bieten eine umfassende Unterstützung für verschiedene Geräteklassen. Dies macht uns zu einem führenden Anbieter von Netzwerklösungen und zu einem zuverlässigen Partner für die Digitalisierung der Produktion.

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  •  Dr. René Hummen, Director Innovation and Incubation bei Belden

    Dr. René Hummen, Director Innovation and Incubation bei Belden

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