Flexibles Ultradünnglas ist ein innovatives Material, das die chemische Beständigkeit und Kratzfestigkeit von Glas mit der Flexibilität und Gewichtsreduktion von Kunststoffen kombiniert. Dies liegt primär an der geringen Dicke von ≤ 100 µm. Die Prozessierung von Ultradünnglas erfordert daher ein dediziertes Handling zur Vermeidung von Glasbrüchen in der Produktion – bisher eine hohe Hürde für den Einzug in neue Anwendungen.
Innerhalb der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Projekte Glass4Flex und Custom haben Projektpartner am Fraunhofer-Institut für Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP jetzt eine bisher einzigartige Prozesskette zur Inline-Beschichtung von Ultradünnglas entwickelt. Dabei wurden auch geeignete Charakterisierungsmethoden für die Oberflächen- und Kantenfestigkeit des Dünnglases zur weiteren Eigenschaftsoptimierung des Materials durch Blitzlampentempern evaluiert.
Zwei verschiedene Beschichtungssysteme
Zur Demonstration der Funktionsfähigkeit der Prozesskette wurden am Fraunhofer FEP zwei Beschichtungssysteme auf großformatigem Dünnglas hergestellt – jeweils sowohl auf 100 µm dickem Dünnglas der Fläche 400 mm × 400 mm und auf 700 µm dickem Dünnglas der Fläche 600 mm × 1.200 mm. Dabei handelte es sich um ein Antireflex-Schichtsystem aus neun Schichten Zirkoniumoxid und Siliziumoxid (ZrO2 / SiO2) und eine transparente leitfähige Indiumzinnoxid-Schicht (ITO) als Beispiel für eine Elektroden-Anwendung.
Die flächig homogene Einstellung der Schichteigenschaften ohne Kantenabschattung gelingt dabei – neben den geeigneten Prozessparametern der Inline-Sputterprozesse – vor allem durch die Integration einer flächigen Halterung der Dünngläser mittels mitfahrender elektrostatischer Chucksysteme des Glass4Flex-Partners ProTec Carrier Systems. Für beide Anwendungsbeispiele ist es essenziell, die mechanischen Schichtspannungen bereits durch die Sputter-Prozessführung zu minimieren. Für bei Raumtemperatur realisierte ITO-Beschichtung ist es außerdem notwendig, die Leitfähigkeit und Transparenz der Schichten durch thermische Nachbehandlung zu erhöhen. Das Blitzlampentempern (Flash Lamp Annealing, FLA) mittels einer Xenon-Blitzlampe bei Energiedichten von bis zu 50 J/cm2 mit einer Pulsdauer im Millisekunden-Bereich stellt dafür eine energie- und kosteneffiziente Methode im Vergleich zu konventionellem Ofentempern dar.
Festigkeitsprüfung von Ultradünnglas
Ein entscheidender Faktor bei allen Prozessschritten ist die Festigkeit des Glases, die durch jeden Verarbeitungsschritt – vom Schneiden über die Plasmavorbehandlung zur Verbesserung der Schichthaftung, die Beschichtung oder thermische Nachbehandlung – beeinflusst wird. Deshalb kommt der Festigkeitsprüfung von flexiblem Dünnglas besondere Bedeutung zu.
Aktuell gibt es allerdings noch keine standardisierten Prüfeinrichtungen und -verfahren für Dünnglas. Genormte Verfahren zum Beispiel aus dem Architekturglasbereich oder der Optik können aufgrund der inhärenten Flexibilität nicht oder nur sehr bedingt angewendet werden.
Im Laufe des Projektes wurden daher am Fraunhofer FEP mehrere mechanische Prüfverfahren angepasst und weiterentwickelt, um beispielsweise die Flächen- oder Kantenfestigkeit sowie Ermüdungseigenschaften von Dünnglas zu charakterisieren. Hierzu kam unter anderem ein für Dünnglas angepasstes Yuasa-Biegetestgerät der Firma Bayflex Solutions aus dem Portfolio des Custom-Projekts zum Einsatz.
Anwendungsbereiche und zukünftige Entwicklungen
Dr. Kerstin Täschner, Projektleiterin am Fraunhofer FEP, gibt einen Ausblick auf die nächsten Schritte: „Interessante Ansätze für zukünftige Anwendungen sowohl des innovativen Dünnglasmaterials als auch der Plasmabeschichtungs- und Nachbehandlungsprozesse auf diesen flexiblen Gläsern verfolgen das Ziel, zum Beispiel eine hohe Kanten- und Oberflächenfestigkeit durch alle Prozessschritte hindurch abzusichern.
Auch perspektivisch festigkeitserhöhende Fertigungsprozesse stehen laut Täschner im Forschungsfokus. Das könne beispielsweise durch eine geeignete Prozessführung in der Beschichtung und FLA-Nachbehandlung, aber auch mittels geeigneter FLA-Behandlungsansätze zur Steigerung der Oberflächenfestigkeit der Gläser selbst erreicht werden. „Für 3 mm dickes Kalk-Natron-Glas haben wir bereits einen sehr vielversprechenden Effekt des Blitzlampentemperns erreicht“, sagt die Forscherin.
In künftigen Forschungsprojekten soll nun der Effekt der Härtung auf verschiedene Glasarten und geringere Glasdicken untersucht werden. Denn gerade im Bereich der geringsten Dicken erreichen etablierte Härtungsverfahren wie das chemische durch Ionenaustausch oder das thermische nicht den gewünschten Effekt.
Das Fraunhofer FEP arbeitet deshalb an der Weiterentwicklung dieser Technologien. Die neue Dünnglas-Prozesskette steht für Industriepartner als Technologie- und Entwicklungsplattform zur Verfügung. Das Spektrum reicht von initialen Machbarkeitsstudien bis hin zu großformatigen Entwicklungen oder Bemusterungen im Pilotmaßstab.
Auf der diesjährigen Glasstec in Düsseldorf wird zudem ein Demonstrator eines flexiblen Dünnglases mit optischen Interferenzschichtsystems vorgestellt. Er ist vom 22. bis 25. Oktober 2024 auf der Sonderfläche der Glass Technology in Halle 11, Stand F27, zu finden.