Es ist ein Ort der Kontraste: Von außen bettet sich das Adelholzener-Werk nahezu unscheinbar in die Landschaft ein. Vor den bayerischen Alpen, die sich imposant im Hintergrund aufbauen, wirken die weiß-grauen Gebäude wie blank polierte und sorgfältig platzierte Bauklötzchen. Doch mit dem ersten Schritt in die Abfüllhalle nimmt dieser Eindruck eine krasse Wendung: Über zwei Ebenen erstreckt sich ein komplex verzweigtes Geflecht aus Edelstahl. Wo Anfang und Ende der ineinander verschlungenen Anlagen-Konstruktion liegen, lässt sich nur vermuten. Der Weg zwischen den Maschinen hindurch führt über zahlreiche Treppen, Übergänge und Bühnen. All dies folgt ganz offenkundig einer bis ins Detail ausgetüftelten Logik; beim Versuch, sie zu durchschauen, ist man als Außenstehender jedoch heillos überfordert.
Der komprimierte Aufbau der heutigen Anlagen ist dabei dem rasanten Wachstum des Standorts geschuldet. Als er 1972 in die voralpine Hügellandschaft eingefügt wurde, war nicht abzusehen, dass er einmal circa 600 Millionen Abfüllungen pro Jahr absolvieren würde. Genau das ist aber Jahrzehnte später der Fall. Denn durch das konsequente Erweitern und Erneuern ihres Sortiments steigerte die Adelholzener Alpenquellen kontinuierlich ihren Absatz. Die Folge: Die Produktionskapazitäten konnten mit der Nachfrage kaum Schritt halten. War eine neue Abfülllinie in Betrieb genommen, ging es kurz darauf schon ans Planen der nächsten. Der Standort wurde zusehends größer, bis schließlich die Grenzen des topographisch Möglichen ausgereizt waren.
Mehrwegglas-Linie von Krones
Heute betreibt die Adelholzener Alpenquellen für ihr Sortiment aus 190 Artikeln insgesamt acht Abfülllinien: je drei für Mehrwegglas und Mehrweg-PET sowie zwei weitere für Einweg-PET. Mit einer Ausnahme stammen sie allesamt von Krones. Diese große Bandbreite an Behälterarten verleiht Adelholzener ein großes Stück Unabhängigkeit gegenüber Schwankungen auf dem Markt, wie Erwin Hächl, Leiter Anlagenplanung und -optimierung, erklärt: „Je nach saisonalen Schwankungen füllen wir mal mehr in Mehrweg-PET- oder mehr in Mehrweg-Glasflaschen ab.“ Aktuell hat mit 280 Millionen Füllungen pro Jahr eindeutig die Glasflasche die Nase vorn. Seit Adelholzener 2011 seine Individual-Mehrweg-Glasflasche eingeführt hatte, ging der Absatz von Mehrweg-Glas stetig nach oben – obwohl dieser Markt lange Zeit als rückläufig galt.
Die dritte und jüngste Glaslinie ging Anfang 2020 in Betrieb. Die Planungen dafür begannen schon 2015, doch wurde die Umsetzung zugunsten einer damals dringender benötigten Mehrweg-PET-Linie kurzerhand zurückgestellt. Die Vertagung des Projekts nutzte das Adelholzener-Team, um die ursprüngliche und bereits mit Krones verhandelte Anlagenplanung noch einmal grundlegend zu überarbeiten. „Bei der Neuauflage haben wir uns dazu entschieden, in Sachen Leistung und Hygiene noch einmal einen Schritt weiterzugehen“, erklärt Erwin Hächl. „Aus dem Grund haben wir noch einen Rinser und zusätzliche Pufferflächen ergänzt.“ Um Platz für die nun deutlich größere Linie zu schaffen, wurde 2019 ein Lager für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe geräumt und als zweite Ebene eine Bühne in die Halle eingezogen. „Insgesamt hatten wir rund 3.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung – und Krones hat die innerhalb kürzester Zeit wieder komplett zugestellt“, lacht Jan Furk aus dem Team Anlagenplanung und -optimierung.
Leistungsziele übertroffen
Bis Ende 2019 war die Linie mechanisch aufgebaut und weitgehend elektrisch verkabelt. „In unseren Augen geschah das alles in einem wahnsinnigen Tempo“, sagt Furk. „Wir sprechen hier immerhin von über 5.000 Meter Verrohrung und 110.000 Meter Elektrokabel, die verlegt werden mussten.“ Gleich zu Beginn des neuen Jahres konnte es dann mit der eigentlichen Inbetriebnahme losgehen. Adelholzener setzte sich und seinem Lieferanten das sportliche Ziel, noch im gleichen Monat ein verkaufsfertiges Produkt aus der neuen Linie zu gewinnen. Am 31. Januar 2020 war es tatsächlich so weit: Die ersten 31.000 Flaschen liefen vom Band. „Das war wirklich eine großartige Leistung, die alle Beteiligten an den Tag gelegt haben,“ bemerkt Jan Furk. „Weder gab es mikrobiologisch etwas zu beanstanden noch waren andere Qualitätsprobleme aufgetreten.“
Nach dieser Punktlandung war der Ehrgeiz bei Adelholzener vollends geweckt. „Wir haben daraufhin das Ganze noch einmal forciert und den Zeitplan ordentlich gestrafft“, sagt Furk. „Durch konsequentes Optimieren waren wir dann Ende April schon so weit, dass wir die ersten Leistungsabnahmen für die 0,75-Liter-Flasche fahren konnten – mit Ergebnissen, die weit über dem lagen, was vertraglich vereinbart war: Im Leistungstest von dreimal acht Stunden erzielten wir einen Wirkungsgrad von 98,5 Prozent!“ Einen Monat später folgte die Abnahme für die zweite Behälterart, die 0,5-Liter-Flasche. „Dieses Mal hatten wir etwas weniger Zeit zum Optimieren, weil wir den Halbliter-Behälter nur alle drei Wochen auf die Anlage nehmen“, erläutert Furk. „Nichtsdestotrotz haben wir auch da die vorgegebenen Leistungsziele übertroffen – wenn auch nicht mit ganz so astronomischen Werten wie zuvor bei der Dreiviertelliter-Flasche.“
Punktlandung zum Corona-Lockdown
Dass die Anlage zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns in Deutschland schon einsatzbereit war, erwies sich als unvorhergesehener Glücksfall: „Aufgrund der Hamsterkäufe hatten wir im März 2020 mit den Glasflaschen einen Absatz wie noch nie“, erklärt Erwin Hächl. „Ohne die neue Anlage wären wir wohl nicht mehr lieferfähig gewesen.“ Auch das Einplanen der zusätzlichen Pufferstrecken stellte sich in der Praxis als goldrichtig heraus. „Die Anlage läuft jetzt wesentlich konstanter und besser als die Vorgängerlinie, die wir damals auf engem Raum mit wenig Puffer bauen mussten“, betont der Leiter Anlagenplanung und -optimierung.
Da das Unternehmen nicht nur auf die Produktsicherheit für die Verbraucher, sondern auch auf die Arbeitssicherheit für seine Mitarbeiter großen Wert legt, wurden im Trockenteil der Be- und Entlader genauso wie der Ein- und Auspacker sowie das Leerkasten-Magazin jeweils mit einer Sicherheitsbühne versehen. „Krones hat sich da sehr flexibel gezeigt und unsere Vorstellungen genau umgesetzt“, freut sich Erwin Hächl. Das gilt nicht nur für das aktuelle, sondern auch für die zahlreichen vorherigen Projekte, in denen Hächl während seiner mehr als 30-jährigen Laufbahn mitgewirkt hat. „Dass wir Krones schon so lange die Treue halten, liegt nicht zuletzt auch an der Innovationsfreiheit, die wir dort genießen“, erklärt er. „Unsere Ideen werden nicht nur gehört, sondern wenn möglich auch umgesetzt. Über die Jahre haben wir gemeinsam ein enormes Know-how aufgebaut und sehr viele Neuentwicklungen durchgezogen.“
Hochregallager von System Logistics
Trotz der langjährigen Verbundenheit beider Unternehmen: Dass Krones auch beim Bau des neuen Hochregallagers zum Zuge kommen würde, stand nicht von vornherein fest – im Gegenteil. „Wir gingen an die Vergabe ganz offen heran“, sagt Hächl. „Wir dachten uns: Förder- und Lagertechnik sind ja bei Weitem nicht so heikel wie etwa Abfüll- und Verpackungstechnik, das können andere auch gut.“ Die System Logistics – beziehungsweise zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch die Intralogistik-Sparte der Syskron – war für Adelholzener daher nur ein möglicher Anbieter unter vielen. Nach mehreren Runden und detaillierteren Planungen konnte sich die Krones-Tochter jedoch gegen die übrigen Mitbewerber durchsetzen.
Die ganze Logistik an einem Ort
Den Entschluss, seine Intralogistik auf neue Beine zu stellen, fasste Adelholzener bereits 2015. Vordringlicher Wunsch war es, die gesamte Logistik, die sich im Umkreis von 25 Kilometern über mehrere Außenlager erstreckte, wieder zentral am Standort zu bündeln. Dass dafür nur ein Hochregallager in Frage kommen könne, ergab sich aufgrund der topographischen Lage von selbst. Gemeinsam mit einem Planungsbüro entstand die Idee, den Bau des Lagers und den Umzug der Prozesse während des laufenden Betriebs durchzuführen. „Für mich war das eine der interessantesten Aufgaben meines ganzen Berufslebens“, bemerkt Erwin Hächl. „Im Endeffekt mussten wir ja eine Operation am offenen Herzen durchführen – und das über den Zeitraum eines ganzen Jahres hinweg. Das kann nur funktionieren, wenn man jeden einzelnen Schritt bis ins kleinste Detail durchplant.“ Intensiv vor Ort begleitet wurden die Adelholzener Alpenquellen von Hanns-Peter Mösonef. Als externer Koordinator brachte dieser seine große Erfahrung beim Bau und der Inbetriebnahme logistischer Großprojekte gemeinsam mit den Adelholzener-Projektleitern ein.
Als Generalunternehmer für die gesamte Logistik war System Logistics nicht nur für das Innenleben der etwa 23.000 Palettenstellplätze umfassenden Hochregallagers verantwortlich; das Projekt enthielt außerdem eine vollautomatische Anlage zum Palettenprüfen und -tauschen sowie eine an Produktion und Lager angebundene Elektrohängebahn. Auf der Software-Seite kam noch die Implementierung eines neuen Warehouse Management Systems dazu sowie eine SCADA-Visualisierung, mit der sich die Lagerprozesse mobil beobachten und
steuern lassen.
Ein Taxi-System für das ganze Werk
Bei der Umsetzung machte die Palettentausch-Anlage den Anfang. „Für den weiteren Projektverlauf war es wichtig, dass die schon läuft, bevor wir uns an den Rest heranwagen“, erklärt Erwin Hächl. „Daher haben wir sie schon weit vorher, nämlich im Herbst 2018, in Betrieb genommen.“ Der Weg dorthin erforderte einiges an strategischer Planung, wie Hächl betont: „Wir mussten die alte Anlage abbauen, gleichzeitig die neue montieren – und während all dem weiterhin unsere Paletten tauschen.“
Ein wenig entspannter gestaltete sich der nächste große Schritt. Als 2019 das Hochregallager samt Seiten- und Heckverladung sowie Elektrohängebahnen montiert wurde, konnte die Produktion ohne größere Beeinträchtigungen weiterlaufen. Doch gab es auch in dieser Phase Herausforderungen zu bewältigen, allen voran die Integration des Stahlbaus für den Korpus der Elektrohängebahn: Da die Bahn über den bestehenden Dächern des Werks verläuft, mussten 54 Stahlstützen inklusive der dazugehörigen Fundamente errichtet werden – mitten in der Produktion. Um die beiden Ebenen miteinander zu verbinden, wurden über das Werk verteilt insgesamt zehn Aufzüge installiert. Im vollautomatischen Logistikkonzept von Adelholzener spielt die Elektrohängebahn eine zentrale Rolle. „Unser Ziel war es, den kompletten Materialfluss im Werk automatisch zu steuern. Mit einem herkömmlichen Palettentransport geht das nicht so einfach, weil der ja nur in eine Richtung fährt“, erklärt Hächl. „Mit der Elektrohängebahn haben wir jetzt ein Taxi-System, mit dem wir das ganze Werk ver- und entsorgen können – das ist schon ziemlich lässig.“
Einfinden in die neuen Prozesse
Neue Technik, neue Prozesse: Die vielen Veränderungen in der Logistik stellten Adelholzener auch vor eine personaltechnische Herausforderung. Alexander Schiroky, Leiter Leitstand Hochregallager, erklärt dazu: „Wir standen vor der großen Frage: Wie lässt sich das alles künftig überhaupt organisieren?“ Um sich für die künftigen Prozesse zu wappnen, formierte Adelholzener ein Team aus bestehenden und neu eingestellten Mitarbeitern und schickte es zu System Logistics – beziehungsweise damals noch Syskron – nach Wackersdorf. Dort wurden anhand eines Emulators die späteren Abläufe eintrainiert. „In dem simulierten Warehouse Control System, kurz WCS, waren alle Prozess-Dialoge abgebildet, die vorher im Pflichtenheft definiert wurden“, sagt Schiroky. „In dieser WCS-Testumgebung konnten unsere Leitstand-Software-Mitarbeiter erstmals das Steuern, Überwachen und Eingreifen bei Fehlern üben und die Wareneingänge wie auch -ausgänge simulieren.“
Ein Wochenende unter Strom
Im Oktober 2019 wurde es dann ernst: Über ein Wochenende hinweg wurde der gesamte Bestand in das neue System übertragen. Eine Riesenaufgabe, denn unter anderem galt es, 45.000 Paletten manuell zu erfassen. „Wir standen da alle ziemlich unter Strom“, lacht Alexander Schiroky. „Egal, wie gut man sich vorbereitet: Viele Details zeigen sich erst, wenn es so weit ist. Allein schon herauszufinden, in welchem Winkel man die Paletten am besten scannt oder auf welcher Höhe das Etikett idealerweise sitzt. Das sind alles Dinge, die sich erst in der Praxis herauskristallisieren.“
Eine Verschnaufpause konnte sich das Adelholzener-Team nach diesem Kraftakt nicht gönnen. Denn gleich am Montag folgte der Go-live – und damit die eigentliche Bewährungsprobe. „Das war dann wirklich mühsam“, erinnert sich Schiroky. „Im Training vorher kann man nicht alles abbilden, allein das Arbeiten unter Zeitdruck, wenn die Lkws vor dem Tor stehen und verladen werden müssen – da wächst natürlich die Anspannung bei allen Beteiligten.“
Auch der Kundenverkehr – also die Lkw-Fahrer, welche die bestellte neue Ware abholen – musste sich erst in die neuen Prozesse einfinden. Per Pager werden sie nun mittels einer OAS-Lkw-Steuerung Schritt für Schritt durch den ganzen Verladeprozess geführt. Ihre Anmeldung am Versandgebäude löst eine Bestandsprüfung im Warehouse Management System aus. Sobald die abzuholende Ware in der richtigen Reihenfolge und Menge im WCS gefunden, zugeordnet und zeitgleich für diesen Kundenauftrag reserviert wurde, wird der jeweilige Lkw zu der entsprechenden Beladebucht aufgerufen beziehungsweise für die Abgabe von Leergut zunächst zu einer freien Entladestelle gelotst. Der gesamte Prozess erfolgt dabei papierlos. Die Staplerfahrer arbeiten ihre Aufträge per WCS auf ihren mobilen MWA-Tablets (Manual Warehouse Application) ab.
Teamwork in freundschaftlicher Atmosphäre
Für die Anlaufphase wurde der Logistik-Leitstand direkt an den Ort des Geschehens verlegt. „Wir haben in der Verladehalle einfach einen Schreibtisch aufgebaut, von dem aus wir alle Abläufe gut im Blick hatten,“ sagt Schiroky. „So konnten wir gemeinsam mit den Kollegen von Syskron schnell und kundennah auf alle Situationen reagieren.“
Schritt für Schritt gewann das Team an Routine, Fehlbuchungen und Störungen traten immer seltener auf. Bis Weihnachten hatten sich die neuen Abläufe schließlich so weit eingespielt, dass alle Prozesse stabil und in der geforderten Geschwindigkeit liefen. Trotz allem Stress und Nervenkitzel, den das Projekt zwangsläufig mit sich brachte: Die Rückschau darauf fällt bei Erwin Hächl positiv aus. „Klar hat es vor allem in den ersten vier Wochen nach dem Go-live sehr geholpert. Aber gemessen an der Größe des Projekts sind vier Wochen Anlaufphase sehr, sehr kurz“, sagt er. „Seien es unsere eigenen Mitarbeiter oder die Kollegen von Syskron: Alle haben super mit angepackt. Wir waren ein eingespieltes Team und die Atmosphäre war immer freundschaftlich. Im Endeffekt kann man schon sehr stolz darauf sein, wie wir das alles über die Bühne gebracht haben.“