Immer kleinere Losgrößen wirtschaftlich zu produzieren verlangt häufiges Umrüsten einer Fertigungslinie. Meist geht diese einher mit Neuprogrammieren der Steuerungen und entsprechender Tests. Plug & Produce soll dies automatisch erledigen und den zeitlichen Aufwand der Inbetriebnahme deutlich senken. Volker Schnittler, Experte für Enterprise Resource Planning/PPS, Manufacturing Execution Systems bei VDMA weiß: „Plug & Produce ist relevant, wird aber noch nicht flächendeckend eingesetzt. Die Möglichkeit zum Retrofit ist für mich erfolgskritisch für dessen Gelingen. Und auch die Fertigungslinien weltweit kommunikationsfähig zu machen, ist ein Problem, da entsprechende Standards fehlen.“
Prof. Martin Ruskowski, Leiter des Forschungsbereichs Innovative Fabriksysteme am DFKI fügt hinzu: „Plug&Produce ist eine Vision. Probleme bereiten zum Beispiel die Anschlüsse der mechanischen Komponenten. Außerdem müssen die Produkte zwischen den Modulen bewegt werden.“ Und Patrick Bruder, Business Development Manager Automation bei Lenze, umreißt weitere Probleme: „Eine Voraussetzung für Plug & Produce ist die Module vom Hersteller mit einer Verwaltungsschale auszustatten. Dazu muss man noch Lücken in der Standardisierung schließen“. Verwaltungsschalen enthalten Daten wie Anschlussmaße, Betriebswerte und Fähigkeiten (Skills) eines Moduls und bilden außerdem die Basis des digitalen Zwillings.
Ohne OPC UA läuft nichts
Als Brücke zwischen den Modulen bietet sich OPC UA an. Für eine einheitliche Darstellung der Informationen und deren Kompatibilität braucht man sogenannten Companion Specifications, abstrakte Modelle, die auf ein ähnliches Gerät/Anwendungsgebiet übertragbar sind. Dabei liefert OPC UA die Grammatik für die Kommunikation zwischen den Maschinen, die Companion Specifications das Vokabular der jeweiligen Funktionsbeschreibung.
Um das Potential von Plug & Produce auszuloten, wurde eine Reihe Verbundforschungsprojekte gestartet. Unter der Koordination von Bosch arbeiteten Firmen im Projekt ReCaM (Rapid Reconfiguration of Flexible Production Systems through Capability-based Adaptation, Auto-configuration and Integrated tools for Production Planning) an einem wandlungsfähigen Produktionssystem mit verkürzten Fertigungszeiten und besser individualisierbarer Produkte mit reduziertem Zeitaufwand bis zur Inbetriebnahme. Erkenntnisse dieses Projekts flossen in Forschungsprojekte wie FluPro (Fluide Produktion) ein. Ziel ist ein menschzentriertes, cyberphysisches Produktionskonzept für die Automobilproduktion zu entwickeln. Hierfür werden alle Produktionsmittel in ortsflexible Module aufgebrochen, um so dynamisch Maschinensysteme bilden und auflösen zu können.
Im Projekt BaSys 4.2 erforscht das Fraunhofer IESE gemeinsam mit 18 Partnern aus Forschung und Industrie das kontinuierliche Engineering von Fertigungsprozessen. Die Stillstandzeiten einer Anlage werden optimiert, sodass im Idealfall eine kontinuierliche Fertigung mit Losgröße 1 möglich ist. Dabei verteilt man den Fertigungsprozess nicht auf die SPS, sondern über Dienste, die von Orchestratoren basierend auf Produkt- und Prozessmodellen, aufgerufen werden.
Dr. Bernd Spiegelberger, COO von ITQ: „Bei BaSys 4.2 ist jedes Produkt durch sein eigenes Rezept beschrieben, für das eine Modulbibliothek zur Verfügung steht. Das Ändern dieser Rezepte ist einfacher als das Neuprogrammieren der SPS.“ Informationen über Produkte und Geräte werden in Verwaltungsschalen und deren Teilmodellen abgelegt. Fällt ein Gerät aus, können andere Produktionslinien mit Geräten mit gleichen Skills übernehmen.
Im Projekt ADAM (Autonom aDAptierende Maschinen) geht es um die Entwicklung eines autonomen Agenten für die selbstständige Anpassung von Maschinen. Diese autonomen Agenten werden mit der Maschine geliefert. Ändern sich die Anforderungen an die Maschine, adaptiert der Agent das Modul.
Weiteres Potential zeigt die herstellerübergreifende Produktionsanlage der SmartFactory des DFKI: Sie ist fähigkeitsbasiert. Fehlt eine notwendige Fähigkeit, wird der Werker automatisch durch ein Assistenzsystem auf das fehlende Modul hingewiesen und optisch angeleitet, das zu beheben. Zum Einsatz kommt dabei ein neuer Steckverbinder, eine Schnittstelle für Energie und Kommunikation, eine Standarisierung fehlt noch. Ein ähnliches Konzept verfolgte auch das EU-Projekt SkillPro.
Reduzierter Umrüstaufwand
Zum Umrüsten einer Fertigungslinie müssen die einzelnen Komponenten in Module mit ihren Skills aufgeteilt werden. Das Produkt beziehungsweise dessen Rezept sagt, welche Skills nötig sind. Nach diesem Rezept wird die Produktionslinie dann mechanisch montiert. Anschließend müssen die Maschinen die Informationen austauschen und prüfen, ob sie den jeweiligen Vorgang ausführen können. Zusätzlich erfolgt eine Machbarkeitsprüfung. Dann wird getestet, ob die mechanischen Schnittstellen der Module zueinander passen. Alle diese Prüfungen erfolgen separat in jeder Maschine mithilfe von OPC-UA-Diensten.
2019 präsentierte Lenze dazu einen Showcase, der die Verpackung verschiedener Consumerprodukte simuliert, die unterschiedliche Module in einer Fertigungslinie benötigen. Die Skills lassen sich flexibel miteinander verbinden. Hier finden sich Infeed, Pick & Place, Packaging, Paletizer und Outfeed als einzelne Maschinenmodule mit unterschiedlichen Skills. Für die Vernetzung der Maschinen in der Produktionslinie implementierte Lenze die Verwaltungsschalen im standardisierten Kommunikationsprotokoll OPC UA und der Companion Specification PackML.
Es gibt noch viel zu tun
„Was fehlt: jede Companion Spec bezeichnet eigene Datenpunkte, etwa für die Temperatur, und jede Spec-Arbeitsgruppe hat eine eigene Bezeichnung dafür. Wichtig wäre es, gleiche Datenpunkte branchenübergreifend gleich zu benennen“, bemängelt Dr. Olaf Sauer, Leiter Automatisierung und Digitalisierung am Fraunhofer IOSB. Auch sollte seiner Meinung nach Intelligenz mehr auf die Komponenten verlegt werden.
Ein Wunsch ist, dass Plug & Produce nicht nur firmenübergreifend, sondern auch global funktioniert. Gaia-X, ein Projekt zum Aufbau einer sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa, soll das zumindest europaweit ermöglichen, um das Feld des industriellen IoT nicht den amerikanischen Anbietern zu überlassen.
Ralf Schubert, Geschäftsführer von Gerhard Schubert zieht Bilanz zum Stand der Dinge: „Jeder Maschinenbauer kocht sein eigenes Süppchen. Schubert hat sich an eine Norm angelehnt, damit zumindest die Chance größer ist, dass die Kunden unsere Begriffe akzeptieren.“ Dazu gibt es ca. 150 unterschiedliche Plattformen, bei Schubert hat man sogar seine eigene. Eine Datenverbindung von Maschine zu Maschine gibt es auch ganz selten und das wird dann immer spezifisch definiert. Meistens sind die Schnittstellen so einfach, dass man es nur über Signale macht.