Retrofit gibt’s seit es Maschinen gibt und soll die Verfügbarkeit der Anlagen erhalten, verhindern dass Komponenten ausfallen, Anlagen an neue gesetzliche Bestimmungen anpassen, die Produktion neuer Produkte ermöglichen und dafür sorgen, dass es wieder Ersatzteile gibt. Dazu verlangt die Digitalisierung beziehungsweise Industrie 4.0 vernetzte Maschinen und entsprechend mehr Sensoreneinsatz. Es gibt also viele Argumente für ein Retrofit, aber am Anfang steht immer die Frage, was das im Sinne von Kosten/Nutzen bringt.
Die aufzurüstenden Maschinen haben nicht selten 20 und mehr Jahre auf dem Buckel und oft fehlen Konstruktionspläne. Für ein effizientes Retrofit muss dann erst einmal der digitale Zwilling erstellt werden. Zu dem enormen Planungsaufwand kommt weiter, dass meist nicht nur die eine Maschine umgebaut werden muss, da sie danach weiter mit den anderen, unterschiedlich alten Maschinen verschiedener Hersteller fehlerfrei zusammenarbeiten muss.
„Generelle Herausforderung der Entscheidung für Retrofit ist dies an der geplanten Nutzungsdauer und am Nutzungsprinzip der Anlage festzumachen. Bei einem Hochregallager zum Beispiel mit normalerweise 50 bis 60 Jahren Nutzungszeit, lohnt es sich meistens“, fasst Dr. Frank Ryll, Wissenschaftler am Fraunhofer IFF zusammen.
Retrofit als komplexe Angelegenheit
Oft übersieht man, dass sich ein Retrofit nicht nur aufs Auswechseln weniger Komponenten beschränkt – beispielsweise bei einem neuen Motor muss häufig auch dessen Peripherie geändert werden, was die Kosten treibt.
„Ein Aufarbeiten des alten Motors würde hier weniger Aufwand und Kosten erfordern. Man muss also nicht nur die alte Maschine, sondern auch deren Umfeld anschauen“, so Frank Ryll. Fest steht, dass das Retrofit einer Anlage meist weniger kostet als deren Neukauf. Auch Genehmigungsverfahren können sich so erledigen und im besten Fall, kann das Ganze im laufenden Betrieb erledigt werden.
Nachgerüstete Anlagen sind produktiver und senken so die Produktionskosten, bringen also bare Münze für das Unternehmen. Der jeweilige Unternehmer muss sich dann fragen, wie lange die nachgerüstete Anlage noch eingesetzt werden könnte und wie groß der Kostenunterschied zwischen Nachrüstung und Neukauf ist. Lohnen dürfte es sich bei Maschinen, bei denen die Mechanik den größten 'Packen' ausmachen würde. Deren solide Mechanik nachzurüsten könnte bis zu 90 Prozent der Kosten einer neuen Anlage sparen.
Retrofit-Treiber Industrie 4.0
Ein Hauptgrund für ein Retrofit ist die Steuerungs-, Automatisierungs- und Antriebstechnik Industrie 4.0-tauglich zu machen. Zusammen mit der nötigen Digitalisierung betrifft das vor allem die Vernetzung der Anlagen über IoT mit dem entsprechenden Datentransport und das braucht zusätzliche Sensoren und Kommunikationstechnik.
Bei einem Retrofit in Sicht auf Industrie 4.0 sollen mittels Sensoren mehr Informationen aus einer Anlage gezogen werden für deren wirtschaftlicheren Betrieb. Nur: welche Sensoren nimmt man? Soll das System als Nachrüstsatz dazu gebaut werden? Ein Parallelsystem ist oft billiger. Oder tief in die Maschine bauen? Das geht nicht immer. Und die Daten müssen verarbeitet werden. Wo liegen also die technischen und wirtschaftlichen Grenzen?
Das ist Thema des Verbundforschungsprojekts RetroNet. Hier suchen Bosch Rexroth, Finow Automotive, Fraas Richter Werkzeugbau, PII Informatik, KleRo Roboterautomation und Aucoteam nach Lösungen. Holger Lüer, Projektleiter bei PII Informatik: „Der im Projekt von Bosch Rexroth entwickelte Connektor ist eine Hardwarekomponente, an die auf einer Seite diverse Quellsysteme (beispielsweise Steuerungen, Sensoren) angeschlossen werden können. Auf der Prozessebene erfasst er Daten digitaler und analoger Sensoren sowie die von unterschiedlichen Automatisierungssystemen und übermittelt diese sicher an eine zentrale IoT-Plattform.“
Das erleichtert KMUs, bei denen oft eine heterogene Maschinenlandschaft vorliegt, den erfolgreichen Einstieg in Industrie 4.0.
Pferdefüße sieht Peter Früauf, VDMA, stellvertretender GF Fachverband Elektrische Automation, darin mit der EU-Maschinenrichtlinie über Kreuz zu kommen. „Datenübertragung und neue Funktion ergeben oftmals eine neue Maschine. Sie muss dann wieder an die Vorgaben der Maschinenrichtlinie angepasst werden, was sicherheitstechnische Probleme zum Beispiel bei Robotern mit sich bringen kann“, so Peter Früauf.
Ohne Erfahrung geht es nicht
Große Erfahrung in Sachen Retrofit hat man bei Heitec. „Ein wichtiges Hilfsmittel ist hier der digitale Zwilling. Entwicklung und Test von Abläufen der Maschinenkomponenten können unabhängig vom Fertigstellungsgrad der Maschinen und Anlagen effizienter vorangetrieben werden“, so Peter Baumüller, Leitung Automatisierung bei Heitec.
Mit der realen Inbetriebnahme am virtuellen Modell lassen sich alle gegenwärtigen und künftigen Betriebsabläufe in der entsprechenden Produktionsumgebung in Echtzeit simulieren und mit der Original-Automatisierungssoftware steuern. Auf diese Weise erreicht man eine höhere Auslieferungsqualität der Software und erkennt frühzeitig Ablauffehler. Bei Umbauten von Altanlagen testet Heitec die Automatisierungssoftware am Schreibtisch, so dass sie fehlerfrei auf die Anlage eingespielt werden kann.
Entsprechend wurde das Retrofit eines Hochregallagers bei der Firma Hengstenberg durchgeführt. In dem Hochregallager versorgen drei Regalbediengeräte zwei Lagerbereiche. „Modernisiert werden mussten die Steuerungs- und Antriebstechnik an den Regalbediengeräte und in der Paletten-Fördertechnik und die Sicherheitseinrichtungen in den Bereichen Endverpackung, Lager und Konserven sowie des Lagerverwaltungssystems: was über 14.000 Stellplätze für 22.000 Paletten und zirka 350.000 Paletten-Bewegungen pro Jahr umfasst“, umreißt Peter Baumüller die Aufgabe.
Das Retrofit durch die Firmen Artschwager & Kohl Software und Heitec sollte hier für erhöhter Verfügbarkeit, aktuellen Sicherheitsstandards und sichergestellter Ersatzteilversorgung für die Zukunft sorgen.
Alter spielt keine Rolle
Theoretisch kann man jede Maschine mit neuer Technik nachrüsten, das hat Bosch an einer 129 Jahre alten Drehbank demonstriert. An der pedalgetriebenen Drehbank hat Unternehmensgründer Robert Bosch noch persönlich gearbeitet. Darauf entstanden Teile für den Magnetzünder, das Schlüsselprodukt, das dem Unternehmen Ende des 19. Jahrhunderts zum Durchbruch verhalf.
Nun hat man die historische Drehbank mit einem IoT-Gateway Industrie 4.0 tauglich gemacht. Das vernetzte System kombiniert Sensorik, Software sowie eine IoT-fähige Industriesteuerung und ermöglicht damit die Zustandsüberwachung der Drehbank.
„Unser Aufbau zeigt, dass selbst älteste Maschinen mit dem IoT-Gateway schnell und einfach vernetzt werden können“, sagte Dr. Werner Struth, zuständig für Industrietechnik und die Fertigungskoordination bei Bosch. Das IoT Gateway wird je nach Anwendung um Sensoren zum Erfassen von Temperatur, Druck, Vibration, Stromverbrauch, Ölqualität, Neigungswinkel, Drehgeschwindigkeit etc. erweitert. Diese Daten übersetzt die Software in Echtzeit in ein Format, das sich in bestehenden Produktionsumgebungen eingliedern lässt.