Experten gehen davon aus, dass kurzfristig abgekündigte oder aus anderen Gründen auf dem freien Markt nicht mehr erhältliche Materialien, Werkstoffe, Software, elektronische Komponenten und sonstige Ersatzbauteile in Deutschland schon heute für Industrieunternehmen zusätzliche Kosten im Bereich von mehreren Milliarden Euro pro Jahr verursachen.
Eine Entwicklung, die man bei der Nonprofit-Industrieorganisation COGD (Component Obsolescence Group Deutschland) mit großer Sorge verfolgt. Bereits seit 18 Jahren entwickeln die aktuell 163 Mitgliedsfirmen der Industrieorganisation gemeinsam Strategien und Maßnahmen, mit deren Hilfe sich die oftmals sehr teuren Auswirkungen von Obsoleszenzen minimieren oder zumindest eindämmen lassen. Mit Erfolg, wie unter anderem die von der COGD gestartete Initiative zur Internationalisierung des smartPCN Standards in die IEC 62402, die SCIP-Kooperation mit der Kanzlei ReachLaw und die Kooperation mit anderen bedeutenden Fachverbänden wie dem FED belegen.
Dennoch warten auf das kürzlich turnusmässig für zwei Jahre neugewählte achtköpfige Vorstandsgremium mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden Axel Wagner (Legal Manager, Prettl Electronics Automotive), seinem Stellvertreter Joachim Tosberg (Lifecycle Manager, RAFI Group), Kassenwart Oliver Hoffmann, (Director EMEA, SiliconExpert Technologies), Dr. Wolfgang Heinbach (Partner, Syliom Unternehmensberatung), Tim Kohlen (Business Development Manager DACH, America II Europe), Stefanie Koelbl (Bereichsleiterin TQ-Embedded, TQ-Systems), Frank Mützner (After Series Manager, Plastic Omnium Lighting Systems) und Dieter Paatsch (Electronic Components Management, Festo) viele neue Herausforderungen.
Aus Fehler lernen
Nicht wenige Hersteller aus Bereichen wie der Automobil-, Raumfahrt-, Militär-, Bahn-, Kraftwerks-, Medizin- und Automatisierungstechnik, die für Ihre Geräte- und Anlagen oftmals jahrzehntelang Ersatzteile benötigen, hatten sich bis zum Beginn der Corona-Pandemie in punkto Versorgungssicherheit eigentlich als gut aufgestellt eingeschätzt, doch die letzten drei Jahre mit ihren vielen parallel auf die globalen Lieferketten einwirkenden Störfaktoren haben etliche dieser Firmen eines Besseren belehrt.
Der neue COGD-Vorstandvorsitzende Axel Wagner sieht in der späten Erkenntnis, dass in unserer vernetzten Welt für die Produktion und Wartung benötigte Materialien und Komponenten eben nicht immer jederzeit in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, auch eine Chance: „Manche Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit offenbaren sich leider erst in Krisenzeiten. Das ist auch nicht unbedingt tragisch, sofern man daraus lernt. Die Summe der potentiellen Störfaktoren war leider noch nie so hoch wie heute. Gerade in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland, das derzeit in extrem vielen Bereichen vollständig von ausländischen Zulieferern abhängig ist, sollte es deshalb eigentlich längst Usus sein, kontinuierlich alle Lieferanten und Lieferketten auf mögliche Ausfallrisiken hin zu überprüfen und entsprechende aktive und reaktive Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Nur leider ist dem noch immer nicht so. Ich gehe davon aus, dass schon in wenigen Jahren wohl kaum noch ein Industrieunternehmen ohne ein strategisches Obsoleszenz-Management auskommen wird. Aber bis dahin haben wir als Industrieverband noch viel Aufklärungs- und Unterstützungsarbeit zu leisten.“
Versorgungssicherheit durch neue Gesetze gefährdet?
Die zunehmende Bedeutung eines umfassenden strategischen Obsoleszenz-Managements für produzierende Industrieunternehmen unterstreicht auch der Stellvertretende COGD-Vorstandsvorsitzende Joachim Tosberg. Obsoleszenz entstehe schließlich nicht nur durch Abkündigungen von Elektronikkomponenten, sondern immer öfter auch durch fehlende Rohstoffe, Rohmaterialien und Halbzeuge. Weiteres Ungemach drohe von verschärften Umweltgesetzen oder -verordnungen wie beispielsweise REACH. Nicht nur die Versorgung der SCIP-Datenbank mit einer Unmenge an Produktdaten erweise sich in der Praxis als problematisch beziehungsweise für eine korrekte Durchführung oftmals als unmöglich.
Dabei stünden mit dem Lieferkettengesetz und dem Digitalen Produktpass schon die nächsten Herausforderungen an, deren Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit es ebenfalls intensiv zu prüfen gelte. Anlass zur Sorge gebe auch der zunehmende Mangel an qualifiziertem Personal, die Abwanderung von Knowhow zum Beispiel aus Altersgründen, veraltete, nicht mehr gepflegte Softwarekomponenten und vor allem auch das Thema Cybersicherheit. Tosbergs Fazit: „Angesichts dieser zunehmenden potentiellen Obsoleszenzrisiken gilt es jetzt, schnell und konsequenter auch langfristig die Verfügbarkeit der benötigten Ressourcen auf allen Unternehmensebenen sicherzustellen.“
Die COGD bietet betroffenen Unternehmen und Personen hierfür umfangreiche Unterstützung an. Neben vierteljährlichen Zusammenkünften mit Fachvorträgen, Berichten von Arbeitsgruppen und Diskussionsgruppen steht eine Vielzahl weiterer Plattformen für den direkten und indirekten Informationsaustausch rund um die Themen Obsoleszenz-Vermeidung und Management zur Verfügung. So haben beispielsweise auf der diesjährigen Hausmesse am 06. Juli im CongressForum Frankenthal auch Nichtmitglieder die Möglichkeit, sich bei 22 Ausstellern direkt vor Ort über deren Dienstleistungen und Produkte zur Obsoleszenzvermeidung zu informieren.