Eine moderne Seilbahn transportiert pro Stunde bis zu 5.000 Menschen auf den Berg. Doch nur wenn die Seilbahn zuverlässig im Einsatz ist, wird Geld verdient. Ausfälle verursachen Frust im Urlaub. Das wünscht sich kein Skigebiet. Sicherheit und Prozessstabilität sind deshalb sowohl für Bergbahnbetreiber als auch Maschinenbauer entscheidend für den Erfolg. Die ausführenden Seilbahnbauer von Doppelmayr aus Wolfurt im Vorarlberg wissen das und haben deshalb ihre Steuerung und damit auch die Bedienelemente an den Bergstationen für die Anwender revolutioniert. Im Mai letzten Jahres wurden sie der Öffentlichkeit präsentiert.
Doch was macht moderne Bedienelemente aus? „Gute Usability alleine wird es schwer haben. Aber die richtige Mischung aus Kultur, Gebrauchstauglichkeit (Usability), Nutzererlebnis (User Experience, UX) und Technologie ermöglicht einen stabilen Prozess“, erklärt Philipp Maul von Schindler Creations. Schindler unterstützte die Ingenieure von Doppelmayr bei ihrem Projekt für die sichere, schnelle Bergfahrt. Das Team beobachtete von Beginn an die Bergbahnmitarbeiter in ihrem Arbeitsalltag, analysierte ihre Prozesse, ihre Kommunikation, ihre Befehle und führte mit ihnen zahlreiche Interviews. So war es möglich, die Arbeit der Bergbahnmitarbeiter besser kennenzulernen und herauszufinden, was sie von einer Bedienung erwarten. Soll die Bedienung so einfach wie bei einem Smartphone sein?
Usability und UX als Einheit
Denn der Anspruch guter Usability und UX ist hoch: Dem Bediener sollen individuell die richtigen Informationen, Daten oder Aufforderungen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort zur Verfügung gestellt werden. Nur dann kann er die richtige Entscheidung für die aktuelle Situation treffen. Auch soll die Bedienung noch nach mehreren Monaten oder Jahren Spaß machen. „Ein Unterschied zwischen Usability und User Experience liegt vor allem darin, dass man eine gute Usability auch ohne gutes visuelles Design erzielen kann. Darunter leidet aber dann natürlich das Nutzererlebnis, bei der das emotionale Erleben eines Produkts im Mittelpunkt steht. Die Begriffe hängen also eng zusammen und bedingen sich zum Teil gegenseitig“, meint Tom Cadera, Industrie-Designer und Usability-Fachmann aus Würzburg.
Die Experten sind sich sicher: Ein gutes Nutzererlebnis ist messbar – Indikatoren sind höhere Produktivität, verbesserte Bediensicherheit und mehr Prozessstabilität. Denn wenn der Bediener schnell ein Problem am Bedienfeld erfasst oder im Betrieb beziehungsweise bei der Wartung nicht unabsichtlich durch das Drücken falscher Knöpfe relevante Einstellungen verändert, dann ist der Produktionsprozess sicherer. „In der Vergangenheit gab es eine Oberfläche für alle. Heute fordern Maschinenkäufer individuelle Benutzertypen in der Oberfläche – von der Inbetriebnahme über die Wartung bis zum täglichen Betrieb. Dem Anwender sollten nur Informationen für seine definierte Rolle angezeigt werden“, erklärt Cadera. Und: Im Idealfall dokumentieren HMI-Anwendungen (Human Machine Interfaces) die Prozesse und Abläufe automatisch, holen Feedback vom Bediener ein und lernen selbst aus den Ergebnissen. Sie unterstützen den Bediener und stellen kontextabhängige Informationen zur Verfügung – für die Pharmaindustrie sind das beispielsweise unverzichtbare Daten. Die Digitalisierung der HMIs nimmt an Fahrt auf.
Doppelmayr entschied sich übrigens für das HMI-Produkt Atvise SCADA von Bachmann, da es die höchste Produktreife bei dieser innovativen Technologie aufwies. Heute wird ein wesentlicher Teil der Anlagenbedienung sowie die Visualisierung und das Monitoring aller Einzelfunktionen über Atvise SCADA realisiert – die offene Kommunikation über OPC UA ermöglicht die Kommunikation zu den verschiedenen Datenquellen. Dieses SCADA-System läuft auf einem kundenspezifischen Terminal von Bachmanns OT1300-Serie mit einem 21,5 Zoll großen TFT mit Full-HD-Auflösung und kapazitivem Touchscreen. Spezialitäten dieser Ausführung sind das kundenspezifische Branding, die individuelle Standfußmontage und ein Verpackungskonzept, das speziell für die widrigen Bedingungen während der Inbetriebnahme ausgelegt wurde.
Flat oder Almost-Flat?
Dazu kommt: In Zukunft arbeiten weniger Mitarbeiter mit mehreren, unterschiedlichen Maschinentypen und eine Einarbeitung an jeder einzelnen Maschine ist teuer. Deshalb müssen moderne Oberflächen noch mehr selbsterklärend sein – eine Aufgabe für Maul und Cadera. Zusätzlich sind viele Bediener verwöhnt – beispielsweise von den Smartphone-Herstellern. „Heute erwarten viele, dass sie Produkte so intuitiv wie ihr Telefon bedienen können und das vollkommen zu Recht“, meint Maul und ergänzt: „Nur, weil es sich bei dem Produkt, mit dem ich arbeite, um ein notwendiges Element meiner Arbeit handelt, hat es keine Berechtigung, mir alte Methoden und unlogische Prozessabläufe aufzubürden, auch wenn es komplexer als meine Heimanwendungen sein mag. Vielmehr sollte genau das Gegenteil der Ansporn und Anspruch sein.“
Das erinnert an den verstorbenen Apple-CEO Steve Jobs und seine „super-easy-to-use“-Philosophie. Eigentlich sollte das iPhone nur das Telefon neu definieren, versprach Jobs bei der Präsentation 2007. Der US-Konzern prägt aber seit zehn Jahren auch eine ganz neue Generation von Maschinenbedienungen oder Oberflächen in der Industrie – egal ob Flat-Design oder Almost-Flat. Den Smartphone-Effekt kann die Branche nicht wegdiskutieren. „Die Interaktionsprinzipien und das in aller Regel gute Design vieler Apps erzeugte die Erwartungshaltung, dass alle Produkte heutzutage genauso einfach oder nach denselben Prinzipien bedient werden können wie die einschlägigen Mobilgeräte“, bestätigt Cadera.
Der Druckknopf lebt weiter
Aber das Wischen auf dem Display alleine wird nicht reichen – der Coolness-Faktor ist in der Produktion nicht immer entscheidend. „In der Industrie ist man in der Regel sehr auf industrietaugliche elektronische Standard-Komponenten angewiesen. Und diese hinken dem aktuellen technischen Stand im Consumer-Bereich immer ein bisschen hinterher, sind größer und langsamer“, behauptet Cadera und Maul kann das belegen: „2003 haben Studien beispielsweise ergeben, dass der Einsatz von Anleitungen auf Basis von Augmented Reality (AR) bei der Montage die Fehlerrate im Vergleich zu gedruckten oder digitalen Anleitungen um 82 Prozent reduziert. Aber sehen sie heute, 14 Jahre später, AR-Anwendungen in Produktionsstraßen? Erst langsam ergeben sich Szenarien, in denen alle Bereiche zusammenspielen und der Einsatz solcher Lösungen möglich ist.“
Auch der Druckknopf hat immer noch seine Berechtigung, denn nicht in allen Situationen können Bediener wischen oder Displays nutzen. Die Industriedesigner kombinieren moderne Software-Oberflächen mit Hardware-Bedienelementen, auch wenn 3D-Touch und haptisches Feedback wichtige Impulsgeber für die Bediengenerationen der nächsten Jahre sind. Auch Doppelmayr nutzt beides – Touchscreen oder mehrere haptische Bedienelemente.
Die Branchen-Fangemeinde ist begeistert. Das Video zur neuen Steuerung und Bedienlogik wird auf Youtube tausendfach aufgerufen. Nicht nur das Bedienverhalten, auch das Informationsverhalten der Kunden hat sich verändert.