In 30 Jahren soll Deutschland gemäß dem neuen Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung weitgehend treibhausgasneutral werden. Dazu soll die seit Oktober 2018 geltende Kommunalrichtlinie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) beitragen. Wie Unternehmen sie gewinnbringend nutzen können, erklären Lisa-Marie Grzeskowiak, Produktmanagerin für Niederdrucklösungen bei Atlas Copco, und Karsten Decker, Energieberater des Essener Druckluftunternehmens, im Interview.
Seit einem Jahr ist die neue Kommunalrichtlinie des BMU in Kraft. Der Bund gewährt seit dem 1. Januar 2019 Förderleistungen für Projekte kommunaler Unternehmen, die darauf zielen, den Klimaschutz zu unterstützen. Welche Lösungen hat Atlas Copco in diesem Zusammenhang zu bieten?
Lisa Grzeskowiak:
Die neue Richtlinie ist für kommunale Kläranlagen besonders interessant, die ja bei der Abwasserbehandlung Druckluft benötigen, um ihre Klärbecken zu belüften. Betriebe, die jetzt in eine effizientere Drucklufterzeugung investieren, erhalten Zuschüsse vom Staat. Und Atlas Copco stellt die förderfähige Technik bereit.
Karsten Decker:
Wir unterstützen auch schon einen Schritt vorher. Nämlich dabei, herauszufinden und zu dokumentieren, wie hoch die Energieeinsparungen durch die neuen Gebläse sein können. Denn um eine Förderung zu beantragen, muss das Unternehmen zunächst eine Potenzialstudie einreichen.
Wie sieht denn die Unterstützung von Atlas Copco bei einer solchen Potenzialstudie konkret aus?
Karsten Decker:
Wir können durch einen sogenannten Airscan eine Potenzialstudie durchführen. Wer die Förderung in Anspruch nehmen will, muss zunächst ein Potenzial für Einsparungen nachweisen. Das Ziel kann etwa lauten, dass die Kläranlage mit der neuen Belüftungstechnik 25 Prozent ihrer darauf entfallenden Energie einspart. Bestandteil des Airscans ist die energetische Bewertung der Ist-Situation. Wir messen dabei den Energieverbrauch aller Gebläse und Kompressoren. Durch die Messung des benötigten Volumenstroms sowie des Systemdrucks analysieren wir die vorhandene Installation. Auf der Grundlage dieser Messergebnisse ermitteln wir durch eine Simulation mit veränderter Kompressor- beziehungsweise Gebläsekonstellation das Einsparpotenzial in Euro und in Prozent der bisherigen Energiekosten. Oder wir simulieren den Einsatz einer übergeordneten Steuerung. Auf dieser Grundlage können wir konkrete Optimierungsmaßnahmen nennen – also welche technischen Veränderungen am effizientesten sind und wie schnell sie sich bezahlt machen.
Welche technischen Maßnahmen sind hier zu nennen?
Lisa Grzeskowiak:
Das kommt darauf an, wie die Kläranlage vorher aufgestellt ist. Auf der Maschinenseite gehen Anwender, die vorher mit Drehkolbengebläsen gearbeitet haben, mit unseren Schraubengebläsen einen beachtlichen Schritt in Richtung mehr Effizienz. Der Unterschied zur Drehkolbentechnologie ist, dass bei den Schrauben das Verdichtungselement mit dem Motor durch ein Getriebe verbunden ist und dadurch deutlich effizienter arbeitet. Drehkolbengebläse arbeiten mit einem Riemenantrieb, der mit der Zeit ausleiern und abnutzen kann. Damit verliert er seine Effizienz und muss ausgetauscht werden.
Das heißt, Sie empfehlen grundsätzlich Schraubengebläse?
Lisa Grzeskowiak:
Wenn vorher Drehkolben eingesetzt wurden und es darum geht, effizienter zu werden: auf jeden Fall. Unsere Schraubengebläse erleben derzeit einen Umbruch. Wir sind dabei, eine neue Baureihe zu etablieren. Den Anfang hat dabei unser ZS 4 gemacht. Damit decken wir jetzt standardmäßig einen Druckbereich von 0,3 bis 1,5 bar ab. Die ZS sind luftgekühlt, verdichten ölfrei und erzeugen – TÜV-zertifiziert – hochreine Druckluft gemäß Klasse 0. Einen richtig großen Effizienzsprung machen Klärwerke mit dem neuen, ebenfalls ölfrei verdichtenden Gebläse ZS 4 VSD+, das jetzt brandneu auf dem Markt ist und eben in dieser Branche seine Vorteile ausspielt.
Was ist so besonders an dem ZS 4 VSD+?
Lisa Grzeskowiak:
Ganz viel. Zunächst ist das Gebläse mit einem Permanentmagnetmotor ausgestattet. Dieser ist nicht nur in Volllast auf einem guten Niveau, sondern arbeitet auch im Teillastbereich effizient. Bei den bisherigen Motoren ist es so, dass sie umso effizienter sind, je schneller sie drehen und je mehr Leistung sie bringen. Wenn aber einmal weniger Luft benötigt wird, steigt der spezifische Energiebedarf überproportional an. Permanentmagnetmotoren haben einen ölgekühlten Mantel. Durch diese Kühlung ist gewährleistet, dass die Kompressoren sehr effizient und zuverlässig arbeiten.
Ölgekühlter Mantel? Arbeiten die Gebläse nicht ölfrei?
Lisa Grzeskowiak:
Getriebe und Lager sind für die Kühlung ölgeschmiert, aber von der Verdichtungskammer abgekapselt. Die Luft, die angesaugt und verdichtet wird, kommt deshalb niemals mit Öl in Berührung. Daher ist die Druckluft zu 100 Prozent rein gemäß der ISO 8573-1, Klasse 0. Wir haben außerdem den Luftein- und -austritt der Gebläsestufe optimiert. Dadurch werden Rückströmungen und Verluste reduziert. Die Betriebskosten eines Drucklufterzeugers, insbesondere die Energiekosten, machen ja einen Großteil seiner Gesamtkosten aus. In Anlagen zur Abwasserbehandlung entfallen etwa 60 Prozent der Kosten für die gesamte Anlage auf die Belüftung der Klärbecken. Selbst ohne Förderung vom Bund ist es daher sinnvoll, die Gebläse im Hinblick auf Effizienz weiter zu optimieren. Dabei sind wir mit dem Permanentmagnetmotor auf der richtigen Spur. Die neuen ZS 4 VSD+ sind um acht bis zehn Prozent effizienter als ihre Vorgänger. Dabei ergeben sich auch durch die Drehzahlregelung kräftige Einsparungen. Dafür haben wir in die neuen ZS-Gebläse die von Atlas Copco selbst entwickelten Neos-Frequenzumrichter eingebaut.
Effizienz scheint im Hinblick auf den Klimaschutz der Hauptantrieb bei der Entwicklung der Gebläse gewesen zu sein. Gibt es noch weitere Verbesserungen bei den Maschinen?
Lisa Grzeskowiak:
Die Effizienzverbesserung steht absolut im Mittelpunkt. Es werden jetzt bereits die ersten Gebläse vorgestellt, die mit einem Motor der Effizienzklasse IE5 ausgestattet sind. Darüber hinaus tragen unsere Entwickler aber auch weiteren Kundenwünschen Rechnung. Die neuen ZS-4-Gebläse sind extrem kompakt gebaut und für einfache Wartung optimiert. Wir bieten mehrere Lösungen als Standard an. Zum Beispiel eine Outdoor-Variante mit Regendach oder besonders robuste Maschinen für Temperaturen zwischen -20 und 50 °C. Die Gebläse verfügen außerdem über eine Elektronikon-Steuerung, die die Leistung der Gebläse optimiert. Und wer unseren Smartlink-Service bucht, kann die Fernüberwachung der Maschinen per Internet oder Mobilgerät nutzen.
Gibt es neben moderneren Gebläsen noch weitere Maßnahmen, die entscheidend zur Effizienz von Kläranlagen beitragen?
Karsten Decker:
Ja, sicher. Großes Einsparpotenzial sehe ich auch noch im Leitungsnetz. Wenn Leckagen, ineffiziente Kupplungen oder zu kleine Durchmesser beseitigt werden, lässt sich jede Menge Energie einsparen – und damit viel für den Klimaschutz tun. Bei höheren Drücken, jenseits der Belüftungsanwendungen in Kläranlagen, liegen auch höhere Druckluftaustritts-Temperaturen vor; dann sollte man auch über die Installation einer Wärmerückgewinnung nachdenken, um die eingesetzte Energie zum Beispiel für die Heizung zurückzugewinnen.
Hintergrund zur Kommunalrichtlinie
Seit dem 1. Oktober 2018 ist die neue Kommunalrichtlinie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit in Kraft. Hintergrund ist, dass Deutschland bis 2050 weitgehend treibhausgasneutral werden soll, um den Anstieg der Erderwärmung auf 1,5 °C gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen.
Um die Potenziale zur Minderung von Treibhausgasen in den Kommunen zu heben, sind in der Kommunalrichtlinie jetzt neue Förderschwerpunkte verankert. Bis zu 40 Prozent Förderung können Kommunen für die Investition in Kläranlagen erhalten. Der Bund gewährt Zuwendungen im Rahmen der Projektförderung unter anderem für die Optimierung der Belüftungstechnik in Anlagen zur Abwasserbehandlung. Förderfähig sind dabei Kompressoren und Gebläse, eine optimierte Leitungsführung oder auch die Installation einer Wärmerückgewinnung.