Robotics „Software denkt Maschinen“- Mehr Flexibilität für Roboter

Ronnie Vuine ist der Gründer und CEO von micropsi industries. Vuine studierte Philosophie und Informatik an der Humboldt-Universität in Berlin und ging dann 2006 als Head of Software Development zu txtr. Danach arbeitete er als Consultant Digital Banking von 2012 bis 2014 bei der IND Group. Im Jahr 2014 gründete Vuine dann sein Start-up.

Bild: micropsi industries
18.11.2020

Maschinelles Lernen macht Roboter einsetzbar, wo sie zuvor zu unflexibel waren, und Lösungen möglich für Bediener, die sich die Umsetzung einer Anwendung zuvor nicht hätten leisten können. Damit hilft sie, Produktion und Logistik wettbewerbsfähiger, lokaler und robuster zu machen.

Ronnie Vuine ist mit diesem Beitrag im A&D-Kompendium 2020 als einer von 100 Machern der Automation vertreten. Alle Beiträge des A&D-Kompendiums finden Sie in unserer Rubrik Menschen .

Alles, was es zu erfinden gibt, ist ca. 1982 in Stuttgart erfunden worden. Alles, was davon verwendbar war, wird heute verwendet, der Rest war wohl Quatsch: Das ist eine weit verbreitete Grundannahme in deutschen Ingenieurskreisen. Auf den Konferenzen zu Digitalisierung und Industrie 4.0 haben deswegen viele Redebeiträge folgende Grundstruktur: Ich bin da schon dafür, aber nur insofern es doch auch nichts anderes ist als XY, und das gibt es ja wohl schon seit 1982, das war auch in meiner Doktorarbeit!

Das ist lustig, aber in vielen Fachgebieten nicht einmal total falsch: Es stimmt zum Beispiel schon, dass Automatisierung fast nirgendwo auf so hohem Niveau wie in Deutschland betrieben wird, und das schon lange. Man darf stolz darauf sein, und man darf auch aufgeregten Moden unaufgeregt begegnen. Zugleich sollte man aber Kräfteverschiebungen zwischen bekannten Technologiefeldern nicht ignorieren, wenn Technologie- und Produktführerschaft weiter das Ziel ist. Dass Software zum Beispiel keine Beigabe zu guten Maschinen mehr sein könnte, sondern dass Maschinen von der Software gedacht werden sollten, ist eine Perspektive, die man nie auch nur testweise einnehmen kann, wenn man der Meinung ist, alles über Software für Maschinen schon zu wissen.

Wie schnell eine sicher geglaubte Produktführerschaft an einen neuen Wettbewerber zu verlieren ist, der zwar auch nur Dinge verwendet, die, ganz bestimmt, ca. 1982 in Stuttgart erfunden worden sind, aber eben in einem radikal neuen Mischungs- und Kräfteverhältnis, lernt die Automobilindustrie gerade schmerzhaft.

Software für Industrieroboter

Die micropsi industries macht Software für Industrieroboter. Wir steuern Roboterarme in Echtzeit, in direkter Reaktion auf Sensorinformationen. So funktioniert das bei Menschen auch: Wir messen ja nicht die Position eines Glases Milch relativ zu unserer Schulter aus, bevor wir zugreifen, wir bewegen unsere Hand drauf zu, korrigieren unterwegs, und greifen das Glas sicher, obwohl wir nie genau wussten, wo es stand. Und wir haben keine Erwartungen darüber, wo es stehen muss: Wir stoßen das Glas Milch nicht um, nur weil es drei Zentimeter weiter links steht als normal. Diese Fähigkeit, hinzuschauen und sich sicher zu bewegen dabei, geben wir Industrierobotern.

Das ist radikal neu, weil es gegen jeden Instinkt eines Robotikers geht. Man will in der Robotik traditionell sehr genau sein, vorhersagbare Bewegungen nach einfachen Formeln machen, und viel Einfluss auf die Details der Bewegung der Maschine haben. Dafür gibt es gute Gründe, aber das Prinzip setzt dem Einsatz von Robotern enge wirtschaftliche Grenzen: Extreme Genauigkeit, mathematische Durchdringung der Bewegungen und Ingenieursraffinesse kosten Geld, und zwar nicht nur bei der Inbetriebnahme einer Automatisierungslösung, sondern auch in den vielen Jahren ihres Betriebs: Wenn sie stehenbleibt, muss sie gewartet werden von jemandem, der die ganze Raffinesse kennt und versteht.

Mehr Flexibilität für Roboter

An menschliche Arbeiter haben wir all diese Erwartungen – Millimetergenauigkeit, Vorhersagbarkeit, Tunability – nicht. Menschen sind flexibel genug. Wären Roboter so flexibel wie Menschen, müssten sie, meist, nicht genauer sein als Menschen. Die Produkte der micropsi industries ermöglichen diese Flexibilität für Roboter und machen den Betrieb von Industrierobotern dadurch erschwinglich, wo vorher nicht an ihren Einsatz zu denken war.

Warum können wir das? Weil wir, erstens, statt vom Stand der Technik nach vorn, vom langfristig Richtigen her rückwärts gedacht haben: Nur sensorgetriebene Echtzeitrobotik bringt die Flexibilität, die gebraucht wird. In jeder glaubhaften Zukunft mit nützlichen Robotern sind die Bewegung dieser Roboter nicht Bahnpunkt für Bahnpunkt vorgegeben, sondern gelernt und dann dynamisch erzeugt. Und weil wir, zweitens, schon gern glauben wollen, dass alles 1982 in Stuttgart erfunden worden ist, aber dann doch Zweifel daran hatten, dass die Entscheidungen, diese ganzen Erfindungen seither nicht zu verwerten, wirklich von dauerhafter Weisheit waren.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel