Die Aufbereitung von Krankenhausabwasser ist eine Herausforderung: Kommunale Kläranlagen sind primär auf die Beseitigung von biologisch abbaubaren Materialien und die Entfernung von Nährstoffen wie Phosphor- und Stickstoffverbindungen ausgelegt. Auch modernste Aufbereitungsmethoden können hohe Konzentrationen von Arzneimittelrückständen, Röntgenkontrastmitteln oder pathogenen Keimen nicht ausreichend entfernen. Selbst wenn bislang keine direkte Gefahr für Menschen durch diese Reststoffe nachgewiesen werden konnte, besteht kein Zweifel daran, dass beispielsweise wassergebundene hormonell wirksame Substanzen Auswirkungen auf den Gewässerlebensraum haben. Um den Eintrag solcher Rückstände in das aquatische System grundsätzlich zu unterbinden, stellen dezentrale Wasseraufbereitungsanlagen direkt auf dem Klinikgelände den sinnvollsten Lösungsansatz dar. Ein internationales wissenschaftliches Projekt verfolgt diesen Ansatz und meldet entsprechende Erfolge.
Das umweltbewusste Konzept des niederländischen Unternehmens Pharmafilter, das im Reinier de Graaf Krankenhaus in Delft erprobt wurde und mittlerweile in großem Maßstab einsetzbar ist, geht noch einen Schritt weiter: Es beruht in erster Linie auf der Zusammenlegung von Abfall- und Abwasserströmen, deren kombinierten Aufbereitung sowie dem Einsatz von Einwegprodukten. Das Prinzip folgt dem Motto „Recycling statt Mehrweg“ – und lohnt sich in mehrfacher Hinsicht: Die Patientensicherheit wird erhöht, das Pflegepersonal entlastet und die Umwelt durch ein nachhaltiges Konzept geschont. Die Nachhaltigkeit beruht neben der Säuberung des Wassers auch auf der Verwendung von Abfallstoffen als Energieträger. Die Erzeugung und anschließende Verstromung von Biogas aus biologischen Reststoffen deckt die energetische Eigenversorgung der Anlage fast vollständig und sorgt für eine hervorragende CO2-Bilanz.
Einweggeschirr aus Biokunststoff
Benutztes Essgeschirr und Bettpfannen legen im herkömmlichen Krankenhausbetrieb beachtliche Wege zurück: In hygienebedingt streng getrennten Kreisläufen werden sie gesammelt und wandern von den einzelnen Stationen zu zentralen Spülstellen, wo sie gereinigt, sterilisiert und für die weitere Verwendung wieder zur Ausgabe transportiert werden. Im Delfter Krankenhaus gilt nun dagegen das Prinzip der kurzen Wege: Sowohl Essgeschirr als auch Steckbecken und Urinflaschen sind Einwegprodukte aus Biokunststoff. Dieser wird auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen erzeugt und lässt sich vollkommen biologisch abbauen. Die Biopolymere auf Stärke- beziehungsweise Zuckerbasis haben dieselben Eigenschaften wie herkömmliches Plastik, basieren aber nicht auf Mineralölen.
Statt Geschirr oder Bettpfannen auf lange Mehrwegreise zu schicken, landet auf den Stationen des Krankenhauses alles ohne Entleerung, Säuberung oder sonstige Schritte direkt in speziellen Schreddern. Diese sind an das bestehende Wasser-/Abwassersystem des Krankenhauses angeschlossen, zermahlen den Abfall und spülen alles zur Kläranlage auf dem Gelände.
Energiegewinnung plus Wasseraufbereitung
Nachdem ein achtmonatiger Probelauf im Versuchsmaßstab bewiesen hatte, dass das Entsorgungskonzept wie gewünscht funktioniert und die erwarteten Reinigungsergebnisse sogar übertrifft, wurde im Jahr 2010 eine kompakte Anlage zur Reinigung des gesamten Krankenhausabwassers errichtet. Ihre Jahreskapazität liegt bei 60.000 m³ Abwasser und 200 t Festabfällen. Hierbei wurde das Reinigungskonzept mit einem Prozess zur Biogaserzeugung kombiniert. Als Substrat für den anaeroben Abbau im Fermenter dienen die kohlehydrat- und fetthaltigen Abfälle aus den Stationsschreddern.
Nach der Trennung von Feststoffen und Flüssigkeiten erfolgt zunächst die Hydrolyse: Hier werden Makromoleküle, zum Beispiel aus dem Bioplastik, durch Enzyme in lösliche Bestandteile zerlegt. Die Hydrolyse ist ein entscheidender Faktor bei der Biogaserzeugung: Je mehr Fettsäuren in der Versäuerung gebildet werden, umso höher sind der Abbaugrad und die Biogasbildung. Das dickflüssige Substrat wird dem Fermenter zugeführt, in dem bei knapp 60 °C die mikrobielle Umwandlung der Biomasse in Methan, Kohlendioxid und diverse andere Gase erfolgt.
Die komplexen Prozesse im Fermenter erfordern jeweils optimale Umgebungsbedingungen. Eine kontinuierliche Prozesskontrolle mit maßgeschneiderter Mess- und Analysetechnik spielt bei der Biogasproduktion eine entscheidende Rolle. Stimmen wichtige Parameter wie Säuregehalt oder Temperatur nicht, kippt der Prozess, was einen Totalausfall der Anlage bedeuten kann. In Delft vertraut man daher auf zuverlässige Prozessinstrumentierung und Analytik aus Deutschland: Siemens lieferte für die Anlage neben der Automatisierungstechnik auch die entsprechenden Mess- und Analysegeräte sowie das messtechnische Konzept.
Drei Stufen sauberes Wasser
Die flüssige Fraktion des Abwassers durchläuft mehrere Reinigungsstufen. Zentrales Element ist dabei der Membranbioreaktor oder Membranbelebungsreaktor (MBR). Im Gegensatz zu herkömmlichen Anlagen wird die Biomasse nicht im Nachklärbecken abgetrennt, sondern durch Membranmodule. Diese Membranen bestehen aus speziellen Hohlfasern, die gegen Säuren unempfindlich sind und eine Porengröße von 0,01 bis 0,05 µm aufweisen. Durch Ultrafiltration werden sämtliche Schlammstrukturen und kolloidalen Stoffe aus dem Wasser entfernt. Das Filtrat ist nun schon relativ klar, enthält aber noch immer hohe Anteile von Arzneimittelwirkstoffen, Schwermetallen und Hormonen. In der zweiten Reinigungsstufe wird daher hochkonzentriertes Ozon eingeblasen, das durch sein hohes Oxidationspotenzial pathogene Keime und Medikamentenrückstände eliminiert.
In einem letzten Schritt werden die verbliebenen Arzneimittelrückstände und hormonverändernden Spurenstoffe durch den Einsatz von Aktivkohlefiltern aus dem Wasser entfernt. Der gesamte Reinigungsprozess ist sehr effektiv. Das aufbereitete Wasser weist einen sehr geringen Phosphat- und Nitratgehalt auf, die durchschnittliche Säuberungssrate bei Arzneimitteln, Röntgenkontrastmitteln und hormonverändernden Substanzen beträgt mindestens 98 Prozent. Damit liegen die Werte weit unter den gesetzlichen Vorschriften, teilweise sogar unterhalb der Nachweisgrenze. So darf das Wasser entweder in Oberflächengewässer eingeleitet oder zur Bewässerung von Grünflächen eingesetzt werden.
Messtechnik sichert Qualität
Das Pharmafilter-Konzept kombiniert moderne Verfahren mit Hightech auf kleinstem Raum – gerade einmal 380 m² Platz benötigt die gesamte Anlage für das Krankenhaus in Delft. Es kann je nach Anforderung verfahrenstechnisch angepasst werden, ist mittlerweile praxiserprobt und lässt sich beliebig skalieren. Rund um den Globus herrscht großes Interesse am Einsatz dieser Technologie. Die Kombination von spezieller Abwasseraufbereitung und Biogaserzeugung bringt eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich, auch und gerade für die Messtechnik. Für beide Hauptprozesse werden fortlaufend Informationen über Temperatur, Durchfluss, Füllstand oder Druck benötigt.
Bereits in der Testphase überzeugte hier das Siemens-Portfolio für Prozessanalytik und -instrumentierung. Als Temperaturmessgeräte, etwa für die Überwachung des Fermenters, der nur in einem kleinen Temperaturfenster von ± 2 Grad Celsius optimal arbeitet, sind hochpräzise Sitrans TH Kopfmessumformer im Einsatz. An anderen Stellen sorgen acht Sitrans Probe LU Kompaktmessumformer für die kontinuierliche Füllstandmessung per Ultraschall, zum Beispiel im Zulauf zum Membranbelebungsreaktor oder bei den Aktivkohlefilter-Modulen.
Bei den Zulauf-, Ablauf- und Rückspülvorgängen in der Filtration setzen die Projektingenieure auf 20 magnetisch-induktive Durchflussmesser vom Typ Sitrans FM MAG 5100, die mit getaktetem Gleichstrom-Magnetfeld den Volumenstrom messen. Für das Monitoring der MBR-Aktivität wird der Sitrans P DS III eingesetzt. Der Druckmessumformer gibt Auskunft über die Filterwirkung der Membranen. Und er leistet auch in der Biogasproduktion wichtige Arbeit, in dem er den Gasdruck im Fermenter präzise ermittelt.
Für die Verfahrenssteuerung in der Biogaserzeugung sorgt der Mehrkomponenten-Gasanalysator Ultramat 23. Er misst vier Gaskomponenten gleichzeitig: Methan, Kohlendioxid, Sauerstoff und Schwefelwasserstoff. Damit sind alle wichtigen Gase kontinuierlich ermittelbar. Der Gasanalysator ermöglicht in diesem Zusammenhang sowohl die Überwachung des Gärprozesses im Fermenter als auch die Qualitätskontrolle des erzeugten Biogases.
Abfälle reduziert, Hygiene vermehrt
Auch Siwarex Wägezellen sind auf der Anlage im Einsatz: Sie sind für die exakte Erfassung des eingesetzten Substrats im Fermenter zuständig. Mit ihrer Hilfe wird ermittelt, wann wie viel organische Feststoffe zugeführt beziehungsweise abgezogen werden müssen, um eine optimale Reaktionsumgebung für den Abbauprozess zu gewährleisten. Das umweltbewusste Konzept führt zu sichtbaren Ergebnissen.
Die Abfallmenge hat sich um mehr als die Hälfte reduziert, das Abwasser ist nahezu frei von Schadstoffen, dank der Einwegprodukte ist der Hygienestandard gestiegen und der logistische Aufwand gesunken.
Einen großen Einfluss auf die Effizienz und Ausfallsicherheit der Anlage hat die zuverlässige und langlebige Technologie. Die Innovationskraft von Idee und technischer Umsetzung spiegelt sich auch in zahlreichen internationalen Auszeichnungen wider: Das Projekt wurde unter anderem mit dem Aquatech Innovation Award, dem European Environmental Press Award und mehreren niederländischen Innovationspreisen ausgezeichnet.