Das Ufo ist sicher gelandet, mitten im Industriepark Gersthofen, und darüber ist Dr. Herbert Rauscher richtig erleichtert. „Mit jeder neuen Problemstellung wird man einmal mehr zum Experten.“ So resümiert der Leiter Medienver- und -entsorgung der Servicegesellschaft des Industrieparks (IGS) seine Wissenskurve, bis „seine Ufo-Idee“ Gestalt annehmen konnte. Anfang Oktober 2012 hat der Maschinenbauingenieur zusammen mit seiner Mannschaft die letzten Erfahrungen gesammelt, um mit diesem Ufo warm zu werden. Denn U, F und O sollen künftig die Versorgung der Chemiebetriebe mit Prozesswasser sicherstellen. Die drei Buchstaben stehen für eine Ultrafiltrations- und eine Umkehrosmose-Anlage, die Wasser aus dem am Werk vorbeifließenden Lech in ausreichend reines Kesselspeisewasser umwandeln. Bis dahin mussten Rauscher und sein Kollege Dr. Joachim Lucas, Leiter ESHA-Standortleistungen, viel bewegen - vor allem viel Information: von den Kunden, also den Firmen am Standort, zu Vorgesetzten, Mitarbeitern, Lieferanten. Und das Ganze wieder retour. Einen wichtigen Part innerhalb dieser Informationsdrehscheibe haben die Behörden inne. „Wassergesetzgebung ist die älteste Umweltgesetzgebung in Deutschland“, so Lucas. Schon früh habe man gelernt: Beim Wasser kann es kritisch werden für die Umwelt - zumal an den großen Chemiestandorten, die Flusswasser nutzen, so wie das ehemalige Hoechst-Werk nördlich von Augsburg. Die Behörden lieferten auch den Anlass für die Investition in die Wasseraufbereitungsanlagen. Denn als Rauscher vor zwei Jahren feststellte, dass die Genehmigung zur Nutzung von Tiefengrundwasser demnächst ausläuft, beschied die Behörde: Eine Erweiterung ist nicht in ausreichendem Umfang möglich. Es muss stattdessen sogenanntes Oberflächenwasser genutzt werden, also Wasser aus dem Lech. Das ist eigentlich nicht rein genug, um als Kesselspeisewasser eingesetzt werden zu können. So gingen die Wasserexperten von IGS auf die Suche nach Alternativen. „Tiefengrundwasser ist von Haus aus extrem rein“, erläutert Lucas. „Doch wir dürfen die Ressourcen nicht überstrapazieren, sonst sinkt der Grundwasserspiegel.“ Es sei letztlich immer ein Zielkonflikt. „Wir brauchen Wasser als Medium für unser Geschäft hier unbedingt. Auf der anderen Seite wollen unsere Nachbarn, dass der Fluss für die Freizeit und das Tiefenwasser zur Trinkwassernutzung erhalten bleibt. Dieses Spannungsfeld auszugleichen, ist für mich die größte Herausforderung.“ Das umfasst zahlreiche Aspekte: Wasser, das zur Kühlung genutzt wird, wird wärmer in den Fluss zurückgeleitet, als es entnommen wurde. Doch die Wärmefrachten dürfen Flora und Fauna im Lech nicht schädigen.
Havarieschutz - eine Erfahrung, auf die Lucas gerne verzichtet
Und natürlich muss das Abwasser der angesiedelten Chemiefirmen in der zentralen Abwasserreinigungsanlage des Industrieparks gereinigt werden, bevor es zurück in den Lech fließt. Auch die Werkfeuerwehr würde im Falle eines Brands Lechwasser nutzen. Damit es jedoch nicht mit Chemikalien belastet zurückfließen kann, muss eine Anlage zur Wasserrückhaltung als Havarieschutz betrieben werden. All das unterstützt Lucas mit den ESHA-Services (die englische Abkürzung steht für Umweltschutz, Sicherheit, Gesundheit und Behördenmanagement). „Die Mitarbeiter müssen Anlagen wie etwa die Wasserrückhaltung auch dann richtig bedienen, wenn sie nur einmal alle zehn Jahre benötigt werden. Da muss auch nachts um 4 jeder Handgriff sitzen“, beschreibt Lucas. Regelmäßige Trainings sorgen dafür. Denn auf Erfahrungen aus einem Ernstfall kann und will Lucas hier gerade nicht bauen. Rauscher dagegen wollte beim aktuellen Projekt zur Wasserversorgung jegliche Erfahrung nutzen, derer er habhaft werden konnte. Der Lech führt im Frühjahr große Sedimentfrachten und die kommunale Kläranlage Augsburg flussaufwärts trägt organische Rückstände ein. Um sicherzustellen, dass das gewählte Verfahren unter solchen Randbedingungen geeignet ist, fuhr Rauscher bis Belgien, wo Wasser aus einem Hafenbecken mit ähnlichen Methoden aufbereitet wird. Neben der Ultrafiltration zur mechanischen Vorreinigung hätte IGS auch mit Flockungsmitteln arbeiten und den Schlamm absetzen und entsorgen lassen können. „Dagegen sprach der sehr große Flächenbedarf“, erläutert Rauscher. Naheliegend wäre die Nutzung von oberflächennahem Grundwasser gewesen. Doch der mäandernde Urlech hat die Bodenschichten so unregelmäßig gestaltet, dass IGS aus fünf bis sechs Meter Tiefe nicht ausreichend Wasser fördern kann. Die Umkehrosmose schließlich konkurrierte mit Ionenaustauschern. „Für die Reinigung mit der Umkehrosmose-Anlage benötigen wir praktisch keine Chemikalien“, stellt Rauscher den Vorteil gegenüber Ionenaustauschern heraus, die immer wieder mit Säure und Lauge regeneriert werden müssen. So fiel die Entscheidung für die Ufo-Kombination. Sie steht in einem nicht mehr genutzten Gebäudeteil des Kesselhauses, im ersten Stock. 20 Einheiten für die Umkehrosmose und 35 Ultrafiltrationseinheiten erlauben einen Durchsatz von 90 m³ Wasser pro Stunde. 75 Prozent des Rohwassers werden zu dampfkesseltauglichem Reinwasser mit einer Leitfähigkeit von unter 10 µS; der Rest wird zur Regeneration der Filtereinheiten genutzt und fließt dann direkt zurück in den Lech. Lieferant war das Unternehmen Osmo: „Dessen Referenzen haben uns überzeugt. Außerdem ist unsere Ufo-Anlage wartungsfreundlich und aus langlebigen Materialien gebaut und das regelungstechnische Konzept bringt Vorteile beim Energieverbrauch“, so Rauscher. Das Preis-Leistungsverhältnis müsse stimmen, die Life-Cycle-Kosten stünden ganz klar im Vordergrund, nicht der niedrigste Anschaffungspreis. Da die Dampfabnehmer kontinuierlich versorgt werden wollen, waren Betreiber und Anlagenbauer gefordert, sie „stoßfrei“ in die bestehende Wasserversorgung einzubinden. Rauscher: „Der Schichtbetrieb stellte uns vor Herausforderungen bei der Mitarbeiterschulung. Typischerweise ergeben sich in der Inbetriebnahmephase immer wieder �?nderungen. Darüber mussten bereits geschulte Schichtarbeiter wiederum informiert werden.“avarieschutz - eine
Absicherung vor ungerecht- fertigtem Regressanspruch
Wieder und wieder drehte sich die Informationsdrehscheibe - bis die Anlage Mitte Oktober endlich stabil lief und sich alle Mitarbeiter mit Fug und Recht als echte Ufo-Experten bezeichnen konnten. Information ist auch bei der Entsorgung das A und O. Lucas: „Die Technik der Abwasserkontrolle und -überwachung ist natürlich wichtig. Doch noch wichtiger sind organisatorische Aspekte.“ Jeder Betrieb leitet sein Abwasser in die zentrale biologische Kläranlage - und das funktioniert nur, wenn über jeden Teilstrom Klarheit besteht. Bereits im Jahr 2000 wurden hierfür die Grundlagen gelegt: im Rahmen eines Antrags für den Wasserrechtsbescheid. Dazu wurden sämtliche Reaktionsverfahren genau begutachtet, zum Teil sechs oder sieben pro Betrieb, jedes davon mit mehreren Abwasserteilströmen. So entstand ein Abwasserkataster. Lucas: „Nur auf Basis einer Gesamtsicht des Standorts können wir beurteilen: Kann unsere Kläranlage das jeweils anfallende Abwasser überhaupt verkraften?“ Nach der Bestandsaufnahme kamen die eigentlichen Herausforderungen: die Sicherung dieses Bestands und das Festschreiben in vertragliche Regelungen. Vier große chemische Produzenten erzeugen hier den Hauptteil des Abwassers. Sollte es zu einer Gewässerverunreinigung durch die Abwassereinleitungen der Kläranlage kommen, muss aber die IGS als Kläranlagenbetreiber mit hohen zusätzlichen Kosten rechnen. Zum Schutz der Kläranlage, aber auch zur Abwehr von ungerechtfertigten Regressansprüchen hat sie daher in den vergangenen Jahren technisch aufgerüstet. An allen Einleitern, die große, potenziell gefährliche Abwasserströme liefern, wurden Sammler und teilweise kontinuierlich messende Analysatoren installiert. An weniger kritischen Einleitern werden täglich Proben gezogen. Bei Trendänderungen schlägt das IGS-Labor Alarm. „Mehr und mehr nutzen wir ergänzend Schnelltests. Diese verleihen uns einen schnellen Überblick, sind kostengünstig und auch von Nicht-Laborpersonal anwendbar“, so Lucas. Als anstehende Aufgabe für das Jahr 2013 sieht er unter anderem die Erneuerung und weitere Automatisierung der Analytik. „Doch die beste Technik nutzt nichts, wenn die Organisation nicht stimmt. Wir haben unsere Prozesse geregelt und beschrieben - und stellen uns auch externen Überprüfungen. Unser Abwasserlabor haben wir 2007 nach der DIN 17025 zertifizieren lassen. Zudem sind wir ein eingetragener Standort nach der europäischen EMAS-Norm (EMAS = Eco-Management and Audit Scheme). Wassernachschub durch die Ufo-Anlagen gesichert, die Abwasserüberwachung steht, organisatorisch alles in trockenen Tüchern - was bleibt noch zu tun in Sachen Wasser für die IGS? Rauscher: „2013 wollen wir die Neutralisation optimieren. Ich träume davon, das wir durch intelligentes Verschalten und Nutzen von sauren oder alkalischen Abwasserströmen die Zugabe von Säuren und Laugen deutlich vermindern können.“ �?hnliches würde er sich auch für das Kühlwasser wünschen. Um für Spitzen im Hochsommer gerüstet zu sein, muss eine Menge vorgehalten werden, die bei normalen Temperaturen überdimensioniert ist. Kollege Lucas ist skeptisch: „Die Betriebe sind gefordert, immer flexibler auf Kundenanforderungen zu reagieren - schnell aufs Gas und wieder auf die Bremse zu steigen.“ IGS muss seiner Meinung nach technische Lösungen finden, um Kühlwasser, Dampf und andere Medien ebenso flexibel zur Verfügung zu stellen. Die Ultrafiltrations-Umkehrosmose-Anlagenkombination trägt dazu bei. Doch bis die Wasserversorgung allen Eventualitäten Rechnung trägt, sieht Lucas noch einen mittleren Behördenmarathon bis weit ins nächste Jahr vor sich. Die Genehmigungsanträge für eine weitere Tiefenentnahme sind bereits in Arbeit. Auch ein noch so modernes Ufo braucht eben ab und an mal Unterstützung.