Herr Dibold, Sie haben 2001 bei Hy-Line als Vertriebsingenieur gestartet. Damals hatte das Unternehmen noch sechs Mitarbeiter, mittlerweile sind es über dreißig. Der Umsatz hat sich in der Zeit versechsfacht. Was ist das Erfolgsgeheimnis von Hy-Line?
Das größte Erfolgsgeheimnis sind mit Sicherheit die Mitarbeiter, die langfristig bei uns tätig sind. Ja, wir sind zwar gewachsen, aber immer noch ein Unternehmen mit familiärer Struktur. Wir haben nicht viele Hierarchieebenen in der Firma, jeder kann sich hier frei entfalten.
Das bedeutet, Sie legen viel Wert auf die Individualität, die jeder Mitarbeiter mit sich bringt?
Absolut, das ist das Wichtigste bei uns. Wenn jeder seine Ideen und sein Kreativspektrum einbringt, dann profitieren wir als Unternehmen davon sowie unsere Kunden. Und das ist mit Sicherheit für mich eines der großen Erfolgsgeheimnisse neben unseren Lieferanten.
Hy-Line hat 2018 den 30. Geburtstag gefeiert. Einen großen Einschnitt in der Firmengeschichte stellt der Rückzug der Gründungsgesellschafter 2015 dar. Wie hat sich Hy-Line seitdem verändert?
Die Veränderung war nicht so groß, wie man meinen könnte. Die ehemaligen Gesellschafter haben relativ früh diesen Wandel eingeleitet, indem sie schon über Jahre hinweg ihre Nachfolge aufgebaut haben. Der Übergang war deshalb relativ einfach. Einen großen Einschnitt in unsere Firmengeschichte stellt stattdessen unser Wandel vom Distributor zum Systemanbieter dar.
Was war die Motivation für diesen Wandel?
Antreiber waren hier unsere Kunden, die immer mehr gefordert haben, dass wir uns als Systemanbieter positionieren. Gerade mit den neuen Technologien, zum Beispiel mit dem Umstieg von resistiven auf kapazitiven Touch, haben die Kunden mehr nach Unterstützung gefragt: Mit der neuen Technik haben sich für den Anwender viele neue Möglichkeiten eröffnet und somit auch viele Fragen, beispielsweise das Design betreffend. Außerdem war es früher relativ einfach, einen Touch zu kalibrieren; heute ist dies aufwendiger, ein gewisses Know-how und Erfahrungen werden benötigt - und genau hier konnten wir punkten. Folglich ging unser Tätigkeitsbereich immer mehr über den der klassischen Distribution hinaus; gleichzeitig konnte sich der Kunde wieder auf seine Kernkompetenz, beispielsweise den Verkauf von Produkten oder Software, konzentrieren.
Ganz so einfach vollzieht sich ein Wandel erfahrungsgemäß doch immer nicht. Mit welchen Herausforderungen hatten sie hier plötzlich zu tun?
Eine große Herausforderung ist natürlich der Wandel zum Hersteller: Denn sobald man mehrere Teile zusammenfügt, gilt man als Hersteller mit allen gesetzlichen Anforderungen. Eine weitere Herausforderung für uns ist natürlich die ganze RoHS-, REACh-, POP-Thematik. Deswegen haben wir personell aufgerüstet, wir beschäftigen Mitarbeiter, die sich voll und ganz mit den Normen und deren Einhaltung beschäftigen. Das ist in den letzten Jahren immer mehr geworden. Eine weitere Herausforderung, die als Systemanbieter ständig aktuell ist, ist, dass man mit seiner Technik immer auf dem Stand der Zeit sein muss beziehungsweise sich fragen muss, womit wir unseren Kunden beispielsweise in fünf Jahren einen Mehrwert bieten können.
Gerade für diesen Blick in die Zukunft bedarf es tiefes Fachwissen. Achten Sie bei der Einstellung Ihrer Mitarbeiter darauf, dass sie einen großen Themen-Background haben?
Klassisch hatten wir früher nur Außendienst- und Vertriebsinnendienstmitarbeiter. Das hat sich mittlerweile stark gewandelt. Heute haben wir neben dem Innen- und Außendienst, der sehr technisch orientiert ist, auch Produktmanager. Daneben haben wir noch Projektleiter installiert, die die Qualität beim Hersteller überwachen. Das sind viele neue Stellen, die wir geschaffen haben. Und eine ganz wichtige Schlüsselposition bei uns ist unser CTO, der sich nur mit den neuen Technologien beschäftigt und diese auf Herz und Nieren testet. Es gibt viele Themen, die durch die Medien geistern, wie beispielsweise Quantum Dots, Micro LED und OLED. Und wir sehen es als unsere Aufgabe, auch den Kunden dahingehend zu beraten, ob diese Themen für ihn wirklich relevant sind.
Warum sind Sie Ihrer Ansicht nach der richtige Partner für Systemlösungen?
Wir wollen nichts verkaufen, von dem wir auch nicht wirklich überzeugt sind. Folglich beschäftigen wir uns zunächst sehr lange mit der Frage, was der Bedarf des Kunden ist. Früher haben sich Anwender mit einem direkten Produktwunsch an uns gewandt und wir haben lediglich nach der Stückmenge gefragt. Heute ist der Fragenkatalog viel ausführlicher: Welche Applikation, welche Umgebung? Wie sehen die rechtlichen und technischen Anforderungen aus? Und vieles mehr. Erst wenn dies alles geklärt ist, bieten wir dem Kunden ein passendes System an - von welchem Lieferanten dieses stammt, spielt dabei keine Rolle.
Wie haben die Mitarbeiter auf diese andere Vorgehensweise reagiert? Veränderung ist nicht immer einfach …
Es hört sich leichter an, als es war, da haben Sie genau richtig gefragt. Der Umstieg war hart. Wir haben unsere Mitarbeiter viel geschult, gerade die im Außendienst, Immerhin muss der Mitarbeiter nun thematisch noch tiefer gehen, noch mehr Verständnis für das System haben, noch mehr die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Komponenten verstehen. Wir müssen als Systemanbieter einfach gut aufgestellt sein, weil die Technik immer komplexer wird. Eine große Hilfe sind hier die Produktspezialisten, die beim Zweitgespräch mit dem Kunden dabei sind
Mit welchen Anliegen wenden sich Kunden hauptsächlich an Sie?
Das ist verschieden. Es kommen Kunden zu uns, die ein komplettes System wollen. Es gibt aber auch Kunden, die wünschen sich erst ein, zwei Bauteile und im Laufe des Gesprächs entwickelt sich mehr. Im Prinzip sind wir oft gefragt, wenn es schwierig wird.
Bedienen Sie mit Ihren Produkten spezielle Branchen oder sind Sie branchenübergreifend tätig?
Wir haben eine Branche, in der wir momentan sehr tief unterwegs sind. Das ist Smart Home - dies hat sich so aus mehreren Projekten ergeben. Hier haben wir uns mittlerweile ein großes Know-how aufgebaut, das es in dem Umfang nicht so oft in Deutschland gibt. Abgesehen davon, sind wir offen. Die Anforderungen an die Technik wiederholen sich: Es ist egal, ob das Display mit Touch in einem Park-Ticketautomat an der See, im Handy oder in einem Baumaschinenfahrzeug genutzt wird. Es ist egal, ob es Deutschland, Indien oder Kanada ist. Die Anforderungen sind hier ähnlich, folglich können wir das System in verschiedene Branchen adaptieren.
Gibt es Herausforderungen, die immer wieder dazu führen, dass erst ein Umdenken bei den Kunden stattfinden muss?
Absolut, ja. Deswegen ist es für uns immer schön, wenn wir von Anfang an mit einbezogen werden. Schwierig wird es, wenn wir erst in der Mitte des Projekts einsteigen: Wenn der Kunde schon ein Design oder eine Konstruktion hat und nur einige Komponenten noch unklar sind. Dann kann es sein, dass wir Schwierigkeiten haben, das Produkt fein zu tunen und EMV-technisch perfekt umzusetzen. Wenn wir von Projektbeginn an dabei sind, können wir weitreichende Verzögerungen im Nachhinein vermeiden, weil bei uns Konstruktion und Design Hand in Hand gehen. Wir achten folglich schon beim Design darauf, dass es EMV-technisch gut umsetzbar ist. Deswegen fertigt unser Konstrukteur den ersten Prototypen selbst - so hat er sofort im Blick, was noch verbessert werden muss.
Disruptives Denken bedeutet, anders vorzugehen als bisher. Nicht jedes Unternehmen ist dazu bereit. Wie schafft man es, diese Firmen für neue Wege zu begeistern?
Wenn der Kunde eine andere Denkweise hat, ist das in Ordnung - solange wir technisch mitgehen können. Wir möchten für unseren Kunden die beste Lösung, folglich ist es an uns, dem Unternehmen die Vorteile dieser Lösung näherzubringen.
Kommt es vor, dass Unternehmen zu sehr an den bisherigen Strukturen oder Prozessen festhalten und sich gar nicht für Neues öffnen möchten, sodass eine Zusammenarbeit letztendlich nicht möglich ist?
Früher war dem so; dies hat sich aber gewandelt - vor allem durch die Konkurrenz aus China. Wir können es uns in Deutschland nicht mehr leisten, an alten Strukturen, an alten Denkweisen festzuhalten. Wer das macht, ist auf lange Sicht nicht erfolgreich. Und das wissen die Unternehmen. Die Kunden hören uns immer mehr zu, immerhin möchten sie ihr Produkt schnell erfolgreich an den Markt bringen.
Sie hatten vorhin schon Ihre Lieferanten erwähnt, Sie kooperieren mit weltweit führenden Display-Touch- und Embedded Board-Herstellern. Welche Kriterien stehen bei der Auswahl der Hersteller bei Ihnen im Mittelpunkt?
Zunächst ist hier die rechtliche Thematik zu nennen. Kann uns der Lieferant alle Dokumente bringen: RoHS, REACh, POP? Das ist gar nicht so einfach. Viele Lieferanten sind günstig und haben vielversprechende Produkte, können aber nicht die rechtlichen Normen aufweisen, damit wir das Produkt in der EU verkaufen dürfen. Außerdem ist uns eine langfristige Verfügbarkeit der Produkte wichtig, ebenso wie natürlich eine gute Qualität.
In den letzten Jahren ist China immer mehr in Ihr Blickfeld gerückt. Zum einen als Konkurrenz mit günstigen Endprodukten, zum anderen aber auch mit neuen Einkaufsmöglichkeiten. Hat die Mehrheit Ihrer Lieferanten Ihren Sitz in China?
Nein, es ist ein bunter Mix aus mehreren Ländern. Wir arbeiten mit Lieferanten aus Taiwan, Korea, Deutschland, Kanada, USA und China zusammen.
Sie werben mit Entwicklung und Projektmanagement 100 Prozent in Deutschland. Wäre es da nicht sinnvoll, in erster Linie mit Herstellern und Lieferanten aus Deutschland zusammenarbeiten?
Herzlich gerne, wenn das funktionieren würde. Fakt ist aber: Wir finden keinen Touch-Hersteller in Deutschland, wir finden keine LCD-Hersteller und keinen Akkuzellen-Hersteller in Deutschland. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als über die Grenze Deutschlands und die der EU zu blicken.
Vor gut zehn Jahren haben Sie Produkte unter den Namen des Herstellers verkauft. Heute agieren Sie als Lösungsfinder. Hat dieser Wandel zum Systemanbieter vereinzelt auch Konflikte mit Bestandskunden zur Folge gehabt?
Vereinzelt haben Kunden die Befürchtung geäußert, dass wir nun Konkurrenten von ihnen werden. Dies hat sich aber schnell als unbegründet herausgestellt. Nehmen wir beispielsweise den Bereich „HMI für Werkzeugmaschinen“. Hier haben wir viele Kunden, sind aber selbst nicht vertreten: Wir liefern zwar einzelne Komponenten, aber nicht die fertigen Systeme.
Inwiefern hilft Ihnen als Entwicklungsunterstützer Ihr Know-how aus der jahrelangen Tätigkeit als Distributor?
Ein sehr großer Vorteil ist, dass wir gute Kontakte zu den Herstellern haben. Wir können bei der Auswahl folglich auf unsere jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen. Außerdem bringen wir aus unserer Tätigkeit als Distributor das tiefe technische Know-how zu den Produkten mit und wissen, wie was zusammenspielt.
Wie kann sich Hy-Line neben den großen Playern der Branche behaupten?
Wie können sich die Großen neben Hy-Line behaupten? (lacht) Nein, wir können uns natürlich durch unsere deutliche Spezialisierung von den Großen abgrenzen. Ein großer Tanker ist nicht so schnell und nicht so wendig wie ein kleines Boot. Um bei dem Bild zu bleiben: Hy-Line ist extrem schnell und flexibel. Auch in Bezug auf die Technik müssen wir uns vor keiner Konkurrenz verstecken.
Ohne eine konkrete Vision lassen sich Ziele nicht erreichen. Wie sieht Ihr Fünf-Jahres-Plan aus?
Unser Plan ist eher eine Vision: Wir möchten das beste Arbeitsklima haben. Denn wenn sich jeder Mitarbeiter wohlfühlt, bringt er automatisch seine beste Leistung. Technisch knüpft unser Plan an unserem Slogan „Leader in Technology“ an: Wir möchten dies nicht nur als Slogan haben, sondern möchten technisch federführend unterwegs sein. Deshalb setzen wir unseren Fokus mittlerweile nicht mehr nur auf die Hardware, sondern auch auf die Software. Denn: Die Software gibt die Hardware vor und ist somit der Schlüssel zum Erfolg - und das können wir immer mehr bestätigen.