Anlagenbau & Betrieb Individuell mit System

WAGO GmbH & Co. KG

Bild: Avatar_023, Wago
06.11.2015

Der Ruf nach Individualisierung und Losgröße 1 ist einer der wichtigsten Trends in der Prozessindustrie der vergangenen Jahre. Das geht am besten mit modularen Anlagen. Wago hat mit dem Dima-Projekt ein Konzept ins Rennen geschickt, das mit etwas Geschick die Prozessindustrie nachhaltig verändern könnte

Die Prozessindustrie unterliegt einem stetigen Wandel – hin zur Individualisierung der Produktion. Doch die Entwicklung weg von der Serienfertigung hin zu Losgröße 1 bringt große Herausforderungen für die Industrie mit sich. Anlagen werden nicht mehr ein für alle Mal errichtet, sondern sollen mit möglichst geringem Aufwand angepasst werden können. So sollen nicht nur kleinere Mengen produziert werden können, sondern auch eine einfache Anpassung des Produktionsprozesses möglich sein.

Dieser Wunsch nach Individualität geht einher mit einem hohen Grad an Modularität in der Produktion, respektive Automatisierung. Mit Dima (Dezentrale Intelligenz für modulare Anlagen) hat der Mindener Automatisierungstechnik-Spezialist Wago auf der Namur-Hauptsitzung 2014 ein Automatisierungskonzept für modulare verfahrenstechnische Anlagen vorgestellt, das zur Individualisierung von verfahrenstechnischen Anlagen beitragen könnte. Das Ziel dahinter ist es, die Zeit zwischen der Entwicklung eines Produkts und dem Start der Produktion um 50 Prozent zu verkürzen.

Teilen und gemeinsam herrschen

Doch bereits bei Vorstellung des Konzepts war klar, dass Wago Dima kaum alleine am Markt positionieren könnte – weder auf Anbieter-, noch auf Kundenseite. Der schlüssige, daraus resultierende Schritt war es, das Konzept auch anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen und so eine weitere Verbreitung zu forcieren. „Wir brauchen eine breite Akzeptanz für diese Idee“, begründet Ulrich Hempen, Leiter Market Management Industry & Process bei Wago, den nur scheinbar uneigennützigen Schritt des Unternehmens.

Derzeit findet innerhalb der Namur-Arbeitskreise die Ausdifferenzierung des Systems statt. Auch wenn die Spezifizierung in den letzten Monaten gut voran gekommen ist, warnt Ulrich Hempen vor überzogenen Erwartungen: „Wir sind ja da erst seit einigen Monaten dran und dafür ist schon sehr viel passiert“, gibt er zu bedenken und verweist auf die Entstehungsprozesse anderer Spezifikationen, etwa rund um den Profibus-Standard, wo es deutlich länger gedauert hat, bis man sich einigen konnte. „Die Komplexität ist enorm – wir beschreiben hier ein verfahrenstechnisches Modul, das zum jetzigen Zeitpunkt vom Komplexitätsgrad her nicht begrenzt ist.“

In den vier Arbeitskreisen, die das Konzept derzeit weitertreiben, findet sich eine große Zahl an Unternehmen – „von Siemens über Emerson und Yokogawa bis hin zu Endress+Hauser auf der Herstellerseite, von BASF über Bayer bis Sanofi Aventis auf der Nutzerseite“, wie Hempen erklärt. Auch die Technischen Universität Dresden und der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg sind mit im Boot.

Prototypische Anlage auf der SPS IPC Drives

Einen Zwischenstand der Verhandlungen um die genauen Spezifikationen gab’s heuer Anfang November auf der Namur-Hauptsitzung, eine erste prototypische Anlage wird dagegen schon auf der SPS IPC Drives Ende November in Nürnberg zu sehen sein – eine Anlage, die alle Anforderungen der NE 148 und der vergleichbaren Normen erfüllt. „Wir haben auf die komplette Anlage das Dima-Konzept angewandt. Jedes Modul hat seine eigene Steuerung, aus deren Quellcode heraus wir die Einbindung in ein Prozessleitsystem unterstützen. Über das Leitsystem können wir dann den gesamten Prozess ablaufen lassen", erklärt Thomas Holm, Global Key Account Manager bei Wago, der noch bis vor einigen Monaten auf Universitätsseite an dem Projekt mitgearbeitet hat.

Abgebildet wird ein vierstufiger Prozess, der, angelehnt an reale industrielle Anwendungen, eine Vermischung und Reaktion von drei Grundstoffen darstellt. Diese werden mit einer Destillationseinheit getrennt, danach gefiltert und abgefüllt. Der Fokus liegt dabei weniger auf der Darstellung der Prozesse, sondern vielmehr auf der fehlerfreien Einbindung des Moduls und auf der fehlerfreien Ausführung des Prozesses.

Jedes der vier Anlagenmodule ist mit einer eigenen Wago-Steuerung PFC 200 ausgestattet, über die sämtliche Abläufe innerhalb des Moduls gesteuert werden: unter anderem die Kommunikation zu den Feldgeräten, die mittels unterschiedlicher Protokolle realisiert werden, die Überwachung von Verriegelungen innerhalb des Moduls und die Berechnung modulinterner Regelkreise.

Die Visitenkarte des Moduls

All das wäre nicht möglich ohne ein wichtiges technisches Element der Dima-Idee: das Module Type Package, kurz MTP. In diesem Modulbeschreibungsmodell wird die Information abgelegt, die zur anwenderunabhängigen Integration eines Anlagenmoduls in die Prozessführungsebene (PFE) einer Anlage notwendig ist. „Das MTP ist die Visitenkarte des Moduls“, fasst es Thomas Holm vereinfacht zusammen. „Es enthält alle Informationen über das Modul, die während der Integration in ein Prozessleitsystem notwendig sind – Informationen darüber, wie und mit welchen Variablen es anzusprechen ist, welche Bedeutungen sich hinter den Variablen verstecken und wie sich das Modul in einem Bedien- oder Beobachtungssystem visualisieren lässt, ferner Werte für Diagnose und Wartung.“ All diese Daten sind standardisiert abgelegt und werden mithilfe eines Engineering-Tools in die proprietären Formate der jeweiligen Scada- oder HMI-Systeme überführt und in deren Leitsystem geladen.

In der prototypischen Dima-Anlage wird das Prozessleitsystem Zenon der Firma Copa-Data eingesetzt. Dieses verfügt über eine MTP-Schnittstelle und liest darüber die erforderlichen Informationen des Moduls ein. Hierfür haben Wago und Copa-Data ein MTP-Handling- und Managementsystem entwickelt, mit dem der Nutzer verschiedene MTPs einlesen und nachverfolgen kann, welche Artefakte im Prozessleitsystem durch welches MTP erzeugt wurden.

Dabei soll der Tausch der Module prinzipiell auch im laufenden Betrieb möglich sein. Das spart Kosten, weil die Anlage prinzipiell nicht in Stillstand gehen muss. In der Praxis dürfte es aber doch bei vielen Anwendungen aus Sicherheitsgründen sinnvoll sein, die Anlage in den Standby-Modus zu bringen. Sicher ist indes, dass der Engineering-Prozess durch die Modularität deutlich schneller und einfacher vonstatten geht.

Vertrauen in den Modulhersteller

Eine Verschiebung der Verantwortung könnte das System für die Marktakteure bedeuten, die mit der Installation und dem Betrieb der Anlagen betraut sind. „Wir haben den Engineering-Aufwand verlagert – hin zu den Modulherstellern, die in Zukunft einen Teil der Arbeit der Anlagenbauer übernehmen und mehr Verantwortung und Gestaltungsspielraum bekommen“, erklärt Hempen. Dies sei Chance und Risiko zugleich, weil der Modulhersteller sicherstellen müsse, dass das Modul genau das macht, was es soll.

Schwerer sollten es aber wohl auch die Modulhersteller nicht haben. „Der Hersteller baut und programmiert seine Module wie bisher auch. Das Einzige was dazukommen wird ist das MTP, das sich aber über das Engineering-Tool von Wago in kürzester Zeit aus dem Quellcode generieren lässt“, erklärt Holm. Der Modulhersteller kann dabei kundenindividuelle Dienste und Bedienbilder auswählen und exportieren. Diese Auswahlfunktion erlaubt es ihm, ein umfangreiches Wiederverwendungskonzept aufzubauen – eine weitere Möglichkeit projektbezogene Kosten zu verringern.

Für den Kunden, also den Betreiber einer Anlage, dürfte es auf jeden Fall einfacher werden. Er kann sich weiterhin auf seinen Anlagenbauer verlassen und zudem in Zukunft auf eine größere Auswahl und Kombinierbarkeit von Modulen unterschiedlicher Anbieter hoffen. Dennoch dürfte der Weg zur Modularität im Anlagenbau ein weiter und steiniger sein. „Es wird nicht auf einen Schlag modulare Anlagen geben, sondern wir werden uns für einen längeren Zeitraum mit gemischten Anlagen beschäftigen, die sowohl klassische als auch modulare Anlagenteile enthalten“, ist sich Thomas Holm sicher. Wichtig sei allen Teilnehmern am Spezifizierungsprozess, dass man sich an schon heute geläufigen Systemen, wie Scada- oder Batch-Systemen orientiere, um Dima auch in hybriden Anlagen einsetzen zu können.

Also eine klassische Win-win-Situation? Möglicherweise. Wenn der Trend von monolithischen Anlagen hin zu mehr Modularität anhält, könnte Wagos Rechnung aufgehen. Doch dann muss sich das System immer noch international durchsetzen. Die Namur kann dabei nur bedingt Hilfestellung leisten. Gefordert sind hier nicht nur die Anbieter von Anlagen, sondern auch die Endkunden, die ja möglicherweise an Standorten weltweit auf ein solches Konzept setzen wollen. „Es reicht nicht, wenn nur eine Seite Treiber ist“, erklärt auch Namur-Vorstand Dr. Thomas Tauchnitz und führt aus, warum alle Akteure im selben Boot sitzen: „Ohne Hersteller, die diese Schnittstelle implementieren, gibt es keine Projekte. Ohne Betreiber, die den Mut und die unternehmerische Initiative für Pilotprojekte haben, geht es allerdings auch nicht.“

Auch Hempen ist bewusst, dass die Namur als Organisation zwar die Anforderungen mit gestalten, nicht aber die Arbeit der Durchsetzung am Markt erledigen kann. „International müssen wir uns andere Stakeholder mit ins Boot holen. Entscheidend ist dabei, dass der weltweite Rollout umgehend erfolgt, sobald wir die Spezifikationen haben. Die Anbieter von Automatisierungskomponenten müssen dabei mit den Kundenunternehmen an einem Strang ziehen.“

Bildergalerie

  • Jedes der vier Anlagenmodule der prototypischen Dima-Anlage, die Wago auf der SPS IPC Drives zeigt, ist mit einer Steuerung vom Typ PFC 200 ausgestattet (im Bild links).

    Jedes der vier Anlagenmodule der prototypischen Dima-Anlage, die Wago auf der SPS IPC Drives zeigt, ist mit einer Steuerung vom Typ PFC 200 ausgestattet (im Bild links).

    Bild: Wago

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