Ein ICE der dritten Generation mit einem Leergewicht von 270 bis gut 400 Tonnen setzt sich trotzdem aus kleinsten Komponenten zusammen. Gerade diese kleinen Bauteile sind es, die zur großen Herausforderung werden können. Wo eine handelsübliche Schraube noch kein Problem darstellt, sind es viele kleine, eigens angefertigte Produkte, die bei Ausfall oder Verschleiß nicht eben beim Hersteller nachgeordert werden können. In vielen Fällen hat der Hersteller die Fertigung eingestellt oder ist insolvent. Außerdem handelt es sich häufig um kleine Stückzahlen, die sich mit konventionellen Verfahren auf Grund von hohen Werkzeugkosten und Mindestabnahmemengen nicht wirtschaftlich abbilden lassen.
Erschwerte Lagerlogistik im Ersatzteilbereich
160 ausgelieferte Einheiten sind in üblichen Industriemaßstäben eine eher bescheidene Losgröße. Zum Vergleich: Ein Mittelklassefahrzeug erreicht Produktionszahlen von mehreren Hunderttausend Autos pro Jahr; selbst erfolgreiche Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge kommen in diesem Zeitraum auf mehrere Tausend Auslieferungen. Mag das auch für die Nachhaltigkeit des Verkehrsmittels Bahn sprechen, erschwert es doch sowohl die Produktions- als auch Lagerlogistik im Ersatzteilbereich. Ein Phänomen, das für viele weitere Spezialbauteile gilt. Im konkreten Fall ging es um recht filigrane Leuchtröhrenhalterungen für die Displaybeleuchtung von elektronischen Informationstafeln in ICE-3- und ICE-T-Zügen. Die Monitore zeigen Fahrgästen etwa Geschwindigkeit, Uhrzeit oder den nächsten Halt an.
Normaler Verschleiß und Versprödung setzten den im Spritzgussverfahren hergestellten Teilen mit Maßen von 240 x 9 x 6,5 mm im Lauf der Zeit zu, so dass ein Austausch nach zehn bis 15 Jahren fällig ist. Die vorgesehene Nutzungsdauer von Schienenfahrzeugen liegt bei mindestens 25 Jahren; nicht selten sind die Fahrzeuge jedoch 40 bis 50 Jahre oder in Ausnahmen auch länger im Einsatz. Der Zulieferer hatte die Teile dennoch abgekündigt. Der jährliche Bedarf beläuft sich auf etwa 40 Stück. Aus diesem Grund machte sich das für die Aufarbeitung zuständige Elektronikzentralwerk (EZW) in München auf die Suche nach Alternativen und Partnern, die bei der Umsetzung eines entsprechenden Projekts helfen konnten. Der Weg führte die Bahntechnik-Experten geradewegs zu den Möglichkeiten der additiven Fertigung.
Neuwertige Ersatzteile auch bei kleinen Stückzahlen
Die Technologie ist prädestiniert, da sie eben auch für kleine Losgrößen nutzbar ist. Umfassendere Vorarbeiten, wie der Bau von Werkzeugen oder dergleichen, sind nicht nötig. „Erfahrungsgemäß würde ein entsprechendes Aluminium-Werkzeug mit Handentnahme mehrere Tausend Euro kosten. Hinzu kämen Ausgaben für Handlings- und Rüstkosten pro Abruf und jährliche Kosten für Werkzeugverwahrung und Pflege. Außerdem würden für die Werkzeuge etwa drei Monate und für die Erstmuster ein Monat Lieferzeit anfallen“, erklärt Florens Lichte, Leiter Konzernprojekt 3D-Druck bei der DB Fahrzeuginstandhaltung.
Um Bauteile additiv herzustellen, müssen Unternehmen nicht selbst entsprechende industrielle 3D-Drucker erwerben und Know-how aufbauen. Lohnfertiger haben hier ein Geschäftsmodell erschlossen, von dem alle Beteiligten profitieren. Diesen Weg ging auch die Deutsche Bahn: Mit der Hasenauer & Hesser GmbH hat das Logistikunternehmen schon mehrfach erfolgreich zusammengearbeitet. Die Her-ausforderungen lagen dabei im Detail, wie Hans-Jörg Hesser, Geschäftsführer von Hasenauer & Hesser, verrät: „Elementar ist, dass die Funktion des Bauteils erhalten bleibt. Deshalb müssen beim Re-Engineering die Daten der Bauteile an die Schicht-für-Schicht-Fertigung angepasst werden. Der 3D-Druck ist normalerweise einfach. Doch in diesem Fall war viel Erfahrung notwendig, denn das für die ICE-Züge angefragte Bauteil ist dünnwandig, lang und schmal. Damit besteht die Gefahr, dass es sich leicht verzieht. Außerdem spielt die Positionierung des Werkstücks im Bauraum eine entscheidende Rolle, zumal wir in einem Bauauftrag gute 200 Halterungen auf einmal herstellen.“
Folgeaufträge könnten innerhalb von 24 Stunden abgewickelt werden
Die Halterungen wurden mit der Formiga P 110 hergestellt. Da weder 3D-CAD-Daten noch Zeichnungen vorhanden waren, musste für das Re-Engineering ein niedriger vierstelliger Betrag aufgewendet werden. Verglichen mit dem Spritzguss sind die Fertigungskosten um über 80 Prozent niedriger. Vom Projektstart bis zur ersten Auslieferung verging ein Monat. Die 3D-gedruckten Teile waren in einem Viertel der Zeit verfügbar. Folgeaufträge könnten sogar in nur 24 Stunden abgewickelt werden. „Wir verfügen über zehn Jahre Erfahrung im Bereich der additiven Fertigung und setzen dabei seit jeher Systeme von Eos ein. Wir sind begeistert von der Bauteilqualität und der Zuverlässigkeit der Systeme. Damit können wir unsere Kunden termingetreu mit erstklassigen Ersatzeilen versorgen.“, sagt Hans-Jörg Hesser.
Neben dem Bestehen der funktionalen Tests gab es für ihn und die bayerischen Kollegen jedoch noch weitere Dinge zu berücksichtigen. Bei Kunststoffwerkstoffen sind im Schienenfahrzeugbereich grundsätzlich die Brandschutzanforderungen nach EN 45545-2 / DIN 5510-2 (für Bestandsfahrzeuge) zu beachten. Je nach Größe der Bauteile, Gewicht, Einbauort im Fahrzeug und Abstand zu anderen Komponenten gelten dabei unterschiedliche Anforderungssätze, die im Einzelfall auch noch abweichen können. Der eingesetzte Eos Werkstoff PA 2210 FR wurde umfangreichen Brandtests unterzogen und erfüllte die Anforderungen für diesen speziellen Anwendungsfall. So ist auch die Sicherheit gewährleistet – ebenso wie die Tatsache, dass die Züge nicht nur weiterhin mit Höchstgeschwindigkeit über die Gleise gleiten, sondern ihre Passagiere dabei auch mit Informationen versorgen können