Im Zeitalter einer schnell wachsenden Flotte von Satelliten im Weltraum ist die genaue Vorhersage von Weltraumwetterphänomenen wie sturmartigen Verstärkungen von elektromagnetischen Feldern und Teilchenströmen unerlässlich, um die Satelliteninfrastruktur vor Schäden und Systemausfällen zu schützen. Ähnlich wie die Genauigkeit von Wettervorhersagen auf der Erde von der genauen Kenntnis der aktuellen atmosphärischen Bedingungen abhängt, erfordert die Vorhersage der Wetterphänomene des erdnahen Weltraums ein tiefes Verständnis des aktuellen Zustands der dynamischen Strahlungsgürtel, die die Erde umgeben.
Ein internationales Forschungsteam um Bernhard Haas und Yuri Shprits vom Deutschen Geo-Forschungszentrum GFZ hat – in Zusammenarbeit mit dem Sonderforschungsbereich „Data assimilation“ der Universität Potsdam – am Beispiel eines geomagnetischen Sturms gezeigt, wie das in der terrestrischen Wettervorhersage sehr leistungsfähige Prinzip der Datenassimilation hierfür genutzt werden kann. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, das aus einer Fülle von punktuellen Echtzeit-Messungen, in diesem Fall per Satellit, mithilfe physikalisch basierter Modelle fortlaufend einen stimmigen Gesamt-Ausgangszustand für die weiteren Prognosen ermittelt. Die Studie ist im Fachmagazin Nature Scientific Reports erschienen.
Notwendigkeit und Herausforderung bei der Weltraumwettervorhersage
Die Strahlungsgürtel und der Ringstrom, die die Erde im Weltraum umgeben, stellen eine Bedrohung für Satelliten dar: Die dort fliegenden geladenen Teilchen können durch Effekte wie Aufladung oder Oberflächenladung an elektronischen Komponenten vorübergehende Fehlfunktionen oder irreversible Schäden verursachen. Bei geomagnetischen Stürmen, die die Teilchenströme verstärken und „verwirbeln“, steigt diese Gefährdungslage. Eine rechtzeitige Vorhersage solcher Gefahren kann Satellitenbetreibern helfen, ihre wertvollen Anlagen zu schützen.
Um die Teilchenströme um die Erde räumlich und zeitlich möglichst präzise vorhersagen zu können, ist es notwendig, den Ausgangszustand permanent möglichst genau zu kennen. Hierfür stehen aber nur punktuelle Messungen von einigen spezialisierten Satelliten zur Verfügung. Das globale Bild muss daraus mithilfe von Modellen errechnet werden.
Zwar sind in der Modellierung und Beschreibung der Ringströme grundsätzlich Fortschritte zu verzeichnen. So hat eine Mitte 2023 von Forschern des GFZ publizierte Studie einen bislang nicht berücksichtigten Verlustmechanismus von Teilchen im Ringstrom entdeckt, der die Genauigkeit der Weltraumwettervorhersage entscheidend verbessern könnte. Und mit physikalischen Modellen lässt sich die grundlegende Dynamik des Ringstroms in geomagnetisch ruhigen Zeiten bereits gut darstellen.
„Insbesondere bei hochdynamischen Ereignissen wie geomagnetischen Stürmen sind globale Zustandsbeschreibungen in nahezu Echtzeit aber immer noch eine Herausforderung“, sagt Bernhard Haas, Doktorand in der GFZ-Sektion Weltraumphysik und Weltraumwetter und Erstautor der Studie.
Übertragung einer Methode aus der Meteorologie: die Datenassimilation
Daher machten sich Haas und sein Team vom GFZ um Yuri Shprits, Leiter der Sektion und Professor an der Universität Potsdam, zusammen mit weiteren Forschenden des Sonderforschungsbereichs „Data Assimilation“ der Universität Potsdam sowie aus den USA und Japan die Vorteile der sogenannten Datenassimilation zunutze. Dieses Verfahren hat sich bereits in der Meteorologie als unverzichtbar erwiesen, wo ebenfalls kleine Unsicherheiten in der Kenntnis des aktuellen Zustands zu erheblichen Fehlern in zukünftigen Vorhersagen führen können.
Als Datenassimilation bezeichnet man das Zusammenführen von Informationen aus Messungen und physikalischen Modellen. Ein zugrundeliegender Algorithmus ist beispielsweise der auch in der vorliegenden Studie verwendete Kalman-Filter. In einer iterativen Schleife wird der zukünftige Zustand auf Basis der jeweils aktuell verfügbaren Messdaten und des zugrundeliegenden physikalischen Modells permanent neu abgeschätzt, inklusive Angabe der dazugehörigen Unsicherheit.
Auch im Bereich der Weltraumwettervorhersage ist die Assimilierung von Echtzeitdaten der Teilchenflüsse, die von Satelliten bereitgestellt werden, ein Schlüssel, um Erkenntnisse über den gegenwärtigen Zustand der Weltraumumgebung zu gewinnen und Analysen nach extremen Ereignissen wie geomagnetischen Stürmen durchzuführen.
Validierung des Ansatzes mit Daten aus einem geomagnetischen Sturm 2017
Während bisherige Bemühungen, mit diesem Ansatz zu arbeiten, aufgrund begrenzter Datenmengen nicht quantitativ validiert werden konnten, boten die Van-Allen-Sonden der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA und der Arase-Satellit der japanischen Raumfahrtbehörde JAXA der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine einzigartige Gelegenheit hierfür: Es umkreisten gleich mehrere hochspezialisierte Satelliten gleichzeitig die Erde.
Sie konnten während des geomagnetischen Sturms am 7. September 2017 hochpräzise Daten über die Teilchenflüsse liefern. Dabei befanden sich die Van-Allen-Sonden auf der Tagseite der Erde, Arase auf der gegenüberliegenden Nachtseite. Diese Kombination ermöglichte es den Forschenden, die Ergebnisse der Assimilierung von Daten eines Satelliten durch die des anderen zu validieren und die globale Reaktion des Ringstroms während dieses Ereignisses zu untersuchen.
Fazit
„Die Ergebnisse unserer Studie unterstreichen, dass die Datenassimilation bei geomagnetischen Stürmen, bei denen die Vorhersage des dynamischen Systems schwierig ist, zu einem entscheidenden Instrument wird. Dabei reicht die Assimilierung von Messungen eines einzigen Satelliten aus, um die globalen Modellergebnisse erheblich zu verbessern. Das stellt die traditionellen Annahmen in der Meteorologie in Frage, wo oft große Datenmengen für die Assimilierung verwendet werden“, resümiert Bernhard Haas.
Yuri Shprits betont: „Das am GFZ betriebene Ringstrommodell kombiniert alle verfügbaren Daten, auch von anderen Satelliten, mit unserem hochmodernen Modell und liefert so die genaueste Rekonstruktion des aktuellen Zustands der gefährlichen Weltraumumgebung sowie präzise Vorhersagen für die Zukunft. Diese Forschung ebnet den Weg für eine neue Art von Vorhersagen auf der Grundlage von Messungen, die zum Schutz unserer wertvollsten Güter im Weltraum beitragen werden.“