Prozessautomation & Messtechnik Wenn der Elefant Yoga lernt

African elephant (Loxodonta africana) balancing on a blue ball.

Bild: abadonian
01.02.2015

Eine Anfrage aus der Nahrungs- und Genussmittelindustrie! Über die freuen sich Michael Nuber und seine Vertriebskollegen doppelt. Denn sie wissen: Zusammen mit dem Produktmanagement werden sie zahlreiche Spezialanforderungen erfüllen müssen. Die haben Food-Anlagenbauer eigentlich immer. Und der scheinbar träge Koloss Siemens darf einmal mehr seine Beweglichkeit unter Beweis stellen. Der Bereich Prozessinstrumentierung hat sich genau dafür neu aufgestellt.

Von weitem wirkt er sehr ruhig und gemächlich. Pure Masse, pure Kraft. Einem Elefanten würde man nicht gerade die Attribute Schnelligkeit und Beweglichkeit zuordnen. Stürmt das scheinbar gemütliche Tier aber in der Savanne plötzlich los, werden Safari-Teilnehmer mit gutem Grund nervös. Respekt nötigt es uns ab, wenn der große Graue mit seinem Rüssel kleinste Leckerbissen angelt – oder sogar vollen Körpereinsatz zeigt, um über den Zoo-Wassergraben hinweg ein wenig grünes Gras zu zupfen. Selbst den Balance-Akt auf einem Riesenball hat er drauf.

Die Großen auf ihre Größe zu reduzieren, greift oft zu kurz. Bei Siemens in der Prozessinstrumentierung hat man manchmal damit zu kämpfen. Aber Dr. Dieter Stolz, Leiter des Produktmanagements, und der neue Vertriebsleiter der Prozessinstrumentierung, Michael Nuber, freuen sich immer wieder, wenn sie bei aller Größe Gelenkigkeit beweisen können. Sie meinen: „Unser Elefant kann Yoga.“

Sicher sei es menschlich, wenn man einem Full-Supplier nicht zutraut, dass er sich bei Spezialwünschen seiner Kunden ebenso ins Zeug legt, wie ein Spezialanbieter mit nur einem Messprinzip im Portfolio. Doch genau dafür sorgt die neue Struktur, die sich Siemens in der Prozessinstrumentierung 2014 gab. Branchenorientierte Vertriebseinheiten nehmen Kundenbedarfe besser denn je auf, und das Produktmanagement stellt schon mal die bestehende Entwicklungs-Roadmap auf den Kopf, wenn nur dadurch ein Kundenwunsch erfüllt werden kann. (lesen Sie dazu das Interview ab S. 20)

Exakt die Lösung für das Problem des Kunden sei gefordert. Nuber konkretisiert: „Im seltensten Fall ist das die Komplett-Ausrüstung für eine Großanlage. Viel öfter sind es kleine, innovative Kombinationen von Leittechnik und Prozessinstrumentierung, Antrieben und Software.“ Dezentrale Engineering-Hubs werden diese Kombinationen ermöglichen. Die ersten Hubs sind bereits entstanden: für die Öl &Gas-Kunden im Nahen Osten und in Texas. Der Ingenieur des Kunden kann sich dort mit einem Siemens-Ingenieur direkt austauschen. So entstehen Pakete, die den speziellen Bedarf an Anlagen-, IT- und Investitionssicherheit erfüllen.

Etwa für die Ivar-Aasen-Offshore-Plattform in der Nordsee. Eine Siemens-Projektgruppe arbeitet dort mit dem weltweit tätigen Engineering-Unternehmen Wood Group Mustang und dem auf Marine-Projekte spezialisierten Anlagenbauer SMOE zusammen. Wie Nuber meint, „ein schönes Beispiel, wie Komplexität über ein breit aufgestelltes weltweit vernetztes Konglomerat an Partnern zu meistern ist.“ Natürlich muss aber auch die Hardware geeignet sein. 20 Jahre Laufzeit, raueste Bedingungen – Stolz sagt: „Unsere Geräte halten das aus.“

Ganz andere Anforderungen, nicht minder anspruchsvoll, erfüllt Siemens in Projekten für die Food & Beverage-Industrie. Als wohl eines der hippsten Unternehmen gilt dort Mymuesli. Seine Müslimischungen können vom Verbraucher individuell im Internet zusammengestellt werden. Über 500 Milliarden Variationen sind möglich. Der Erfolg des 2007 gegründeten Start-ups lässt Handmischung längst nicht mehr zu. Es funktioniert nur dank einer überaus modernen Dosierlösung. Das Abfüllsystem für die individuellen Rezepturen stammt vom Maschinenbauer Supertek. Der wählte Siemens-Wägetechnik: eine schnittstellenfreie Lösung aus den Wägemodulen Siwarex MS, kombiniert mit Siemens-Steuerungen, Wägezellen für eine Plattformwaage und einem Simatic-Touch-Panel.

Custom-fit, tailor-made erwartet fast jeder

Keine Lösung von der Stange war das. „Die gibt es in den seltensten Fällen“, erklärt Nuber. Custom-fit, tailor-made, das erwarte nahezu jeder Kunde. Eine Abteilung seiner neu aufgestellten Vertriebseinheit kümmert sich daher nur darum, Anforderungen, die der Katalog nicht abdeckt, aufzunehmen – und zu erfüllen: Egal, ob dazu ein bestehendes Produkt nur leicht modifiziert werden oder die F&E-Abteilung nochmal grundsätzlich ran muss. Der Elefant ist beweglich. Produktmanagement-Leiter Stolz betont: „Und wenn er notfalls abheben und zum Fliegen kommen muss, wir schaffen es.“

Beweglich ist Siemens auch, wenn ein OEM den gewählten Coriolis-Durchflussmesser physisch nicht im engen Skid unterbekommt, bei der Anbindung des Radar-Füllstandmessgeräts Hilfestellung benötigt oder den Drucktransmitter schlichtweg diesmal nicht im gewohnten Petrolblau, sondern in Pink haben möchte. Nuber sagt: „Wir helfen dabei, alles komplett zu inte­grieren – bei Bedarf inklusive Engineering und Leitsystem. Auf keinen Fall heißt es: Das haben wir nicht im Angebot.“

Hört das Prozessinstrumentierungs-Produktmanagement erst seit der Neustrukturierung der Vertriebsmannschaft zu, was der Kunde will? „Vielleicht haben wir unsere Gehörgänge besser geputzt“, meint Stolz lachend. Aber schon vorher seien zahlreiche neue Produkte aufgrund von Kundenbedürfnissen entstanden. Den Drucktransmitter P500 und das Ultraschall-Messgerät Sitrans LUT400 zählt er dazu, die beide äußerst genau messen. Und das Radar-Füllstandmessgerät Sitrans LR560. Es arbeitet bei einer Frequenz von 78 GHz. Bei Schüttgütern führt die kurze Wellenlänge zu besonders zuverlässigen Ergebnissen, dank einer sehr engen Strahlkeule nahezu unbeeinflusst von Siloeinbauten. Überzeugt hat das den Futtermittel-Hersteller Bröring. Dort waren über 1.500 Füllstandmesser unterschiedlichster Bauart an diversen Silos im Einsatz. Nach ausführlichen Tests entschied man sich, die Gerätevielfalt standortübergreifend durch den Einsatz des Sitrans LR560 radikal zu reduzieren. Bei der Anzahl dürfte sich die Plug-and-Play-Installation, unterstützt durch applikationsspezifische Wizards, schnell bezahlt gemacht haben.

Auch mit dem Coriolis-Messgerät Sitrans FC430 und seinem kleinen Bruder Sitrans FC410 hat Siemens bereits zahlreiche NuG-Projekte gewonnen: unter anderem dank der äußerst kompakten Bauweise. Anlagenbauern kommt die Kommunikationsfähigkeit über Modbus sehr entgegen, die die Einbindung in die Leittechnik erleichtert.

Die neuste Entwicklung betrifft den Stellungsregler Sipart PS2, seit 25 Jahren auf dem Markt und seitdem immer wieder innoviert, zuletzt im Dezember 2014. Weitere Diagnose-Features liefern in die Leittechnik nicht nur Informationen über das Gerät selbst, sondern auch über den Prozess. Im Fehlerfall erhält der Operator genaue Instruktionen, was zu tun ist. Nuber verdeutlicht: „Hier reden wir nicht über den Preis, sondern über die Kosten. Stillstand und Instandhaltung kommen richtig teuer. Da rechnet sich ein Gerät, das mit Selbstdiagnose ausgestattet ist, schnell.“

Siemens hat noch so manches in der Entwicklungspipeline der Prozessinstrumentierung. Stolz verrät: „Wir werden den Weg zur weiteren Integration in die Leittechnik und die entsprechenden Planungswerkzeuge konsequent fortsetzen. Da wird es in der nächsten Zeit Erweiterungen geben. Spätestens zur Achema.“ Neue Geräteausführungen werden weitere Lücken schließen, etwa bei der Füllstandmessung für Flüssigkeiten und bei bestimmten Nennweiten der Prozessanschlüsse. Nuber ergänzt: Genau zugehört haben seine Vertriebs-Teams in den letzten Monaten. Und dem Elefanten wieder einige neue Yoga-Figuren abgenötigt. „Daher dürfen sich unsere Kunden auf viele Paketlösungen freuen. Speziell für ihre Branche, ihre Applikation wird es Angebote geben, die einen Mehrwert versprechen.“

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