Ex-Schutz Wenn der Simulator zündelt

20.08.2014

Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Ganz so einfach ist es nicht, wenn man an das Brandrisiko von Gasen, Dämpfen, brennbaren Flüssigkeiten oder Stäuben in der Prozessindustrie denkt. Dennoch: Nur wer Gefahren kennt und versteht, kann mögliche Schäden vermeiden. Ein Industrieversicherer simuliert daher in seinem Forschungszentrum Explosionen und Brände.

31. März 2012, 13.30 Uhr, Marl: Bei der Produktion von Cyclododecatrien kommt es zur Überdosierung eines Katalysators. Zunächst ertönt ein enormer Knall, Millisekunden später eine Explosion, die das gesamte Werk erschüttert, gefolgt von einer gigantischen Staub- und Rauchwolke, die einer 100 Meter hohen Flamme entspringt. Der Chemiepark Marl brennt.

10. Februar 2014, 9.55 Uhr, Rhode Island, USA: Dunkler Rauch steigt aus der Produktionsanlage, ein bedrohliches Knistern füllt den Raum – plötzlich eine Explosion. Die Flammen greifen unmittelbar auf andere Geräte über, weitere Explosionen erschüttern die Halle, da der Brand immer wieder von umliegenden explosiven Stoffen entfacht wird.

Beide Situationen sind reale Gefahrenszenarien. Bei Letzterer handelt es sich jedoch um einen Versuch, den Ingenieure und Wissenschaftler zu Forschungszwecken durchgeführt haben. Gerade weil solche Gefahrenpotenziale in der Prozessindustrie allgegenwärtig sind, ist Forschung essentiell, um sie zu minimieren. Auf dem Research Campus, dem Forschungszentrum des Industrieversicherers FM Global, werden Brandtests unter realen Bedingungen durchgeführt, um ingenieurwissenschaftliche Erkenntnisse für die aktive Brandvorbeugung und effektives Risikomanagement zu gewinnen. Frank Drolsbach, Engineering Manager bei FM Global Deutschland, erläutert: „Wir versichern nicht nur, sondern investieren in aktive Ursachenforschung. Forschung ist für uns gelebtes Risikomanagement.“

Realer Brand als Forschungsobjekt

Der Research Campus in Rhode Island ist mit über 6,5 km² Fläche eines der größten Zentren für Schadensforschung weltweit. 140 Mitarbeiter entwickeln Methoden, um Elementar-, Explosions- und vor allem Brandschäden zu vermeiden oder zumindest so gering wie möglich zu halten. In vier großen Labors, ausgestattet mit modernster Technik, forschen dort die Ingenieure. Mit 10.000 m² Fläche und fast 20 Metern Höhe steht dort zudem eine der größten Brandhallen der Welt. Industriebrände mit einer Wärmefreisetzung von bis zu 1.000 °C lassen sich darin im Originalmaßstab nachstellen. Nicht nur Grundlagenforschung betreibt man. Regelmäßig sind konkrete Fragestellungen aus dem Alltag der Kunden Gegenstand der Untersuchungen.

Ergänzt wird der Research Campus seit 2011 durch ein Zentrum für Schadenverhütung. In Norwood, nahe Boston, steht die SimZone: ein hochmoderner Lernsimulator im Wert von rund fünf Millionen US-Dollar, an dem man Gefahren wie Feuer, Freisetzung brennbarer Flüssigkeiten, Materialrisiken, Anlagendefekte und Elektrogefahren realitätsgetreu untersuchen kann. Zündgefahren durch elektrostatische Aufladungen lassen sich dort beispielsweise nuanciert betrachten, um Brandrisiken zu identifizieren. Elektrostatische Aufladungen und damit verbundene potenzielle Funken entstehen bei Trennungsprozessen zweier Oberflächen, je nach elektrischer Leitfähigkeit mit unterschiedlichem Ausmaß. Diese Trennungsprozesse sind in der Industrie kaum vermeidbar. Auch die andauernde Reibung von Fördermitteln kann elektrostatische Spannungen erzeugen, die sich zum Beispiel in Lichtbögen entladen. Ebenso kann Staub Glimmnester bilden – dann reicht bereits eine kleine Luftzufuhr aus, um das Staub-Luft-Gemisch zu entzünden.

Brandpotenziale im industriellen Herstellungsprozess werden auf dem Research Campus untersucht. Die Forscher führen regelmäßig Staubexplosionen durch, um Schutzkonzepte für die jeweiligen Industrien zu entwickeln. Frank Drolsbach verdeutlicht: „In der Lebensmittelindustrie zum Beispiel kann die Gefahr von Staubexplosionen ständig gegeben sein. Die geringe Partikelgröße der Stäube von unter 0,4 mm ist ideal für eine Entflammung.“ Neben Staubbränden und -explosionen können in der Food-Branche auch Fettbrände entstehen. Besonders gefährlich ist die Selbstentzündung im hoch erhitzten Zustand der Fette und Öle. Diese Brände müssen mit Löschschaum oder anderen speziell entwickelten Schutzkonzepten bekämpft werden.

Sprinkler vom Versicherer

Diese Gefahren sind omnipräsent und nicht vollends vermeidbar – doch im Research Campus lassen sich effektive Schutz- und Löschmethoden entwickeln, die Schäden an Maschinen und im gesamten Prozessablauf reduzieren. FM Global hat beispielweise eine spezielle Sprinklerdüse entwickelt, die resistent gegen korrosive Gase ist. Bisher gab es keine Sprinkler­anlagen, die für längere Zeit in stark korrosiven, sauren Umgebungen gegen Brände resistent waren. Die neu entwickelten Sprinklerdüsen werden bereits in Energieerzeugungswerken und in der Papier-, Stahl- und Chemieindustrie eingesetzt. So kommen die Studien den FM-Global-Kunden ganz praktisch zugute: Alle Testergebnisse fließen in die Entwicklung individueller Lösungen für Industrieunternehmen ein.

Drolsbach gibt zu Bedenken: „Trotz aller Tests ist jeder Standort individuell. Jede Branche, jede Region und jeder Standort kann unterschiedliche Risiken aufweisen.“ Neben intensiver Forschung führt FM Global daher für jeden Kunden Risikoanalysen durch. Ziel ist es, die Risikosituation an jedem Standort genau zu verstehen, alle Risiken zu identifizieren und daraus praktikable, effektive Schutzmaßnahmen abzuleiten.

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