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Branchenreport Personalisierte Medizin Wenn Gene helfen, Leben zu retten

Bild: Bausch + Ströbel
20.04.2016

Ein Ruck geht durch die Medizinwelt – unterschiedliche Genkonstellationen werden als Anzeichen für Krankheiten interpretiert. Firmen, die in der Pharmaproduktion tätig sind, positionieren sich auf diesem Zukunftsmarkt.

2007 gelang Wissenschaftlern der TU Dresden und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf ein bahnbrechender Erfolg: Sie entwickelten eine Säure, die bei Mäusen im Labor infizierte HIV-Zellen „reinigt“. Neun Jahre später, im Februar 2016, beweisen ebenjene Forscher der Medizinwelt, dass sie keine Eintagsfliege sind. Bei menschlichen, vom HI-Virus befallenen Zellen gelingt ihnen die Säuberung – allerdings lediglich bei Mäusen und auch nur im Labor, aber der Erfolg hat sich fortgesetzt. In der nächsten Phase wollen sie ihre Methode, die infizierten Gene mittels der säurebasierten Genschere nach eigenen Worten „herauszuschneiden“, am Menschen testen. Bislang ist jedoch noch kein Fall belegt, in dem ein Menschenleben mit dieser Methode gerettet werden konnte.

Risikogene frühzeitig ausmachen

Anderer Schauplatz, weniger Risiko in der Behandlung. Eine junge Frau, nennen wir sie Maja, leidet verstärkt unter einem Taubheitsgefühl im linken Arm. Sie geht zum Arzt und wird gründlich durchgecheckt – das Ergebnis: leicht erhöhter Cholesterinspiegel, sonst alles in Ordnung. Drei Wochen später reißt Majas Hauptschlagader und sie verblutet binnen kürzester Zeit.

„Heute könnten wir Majas Leben retten“, ist sich Kardiologe Dr. Thomas Scheffold sicher. Der Leiter der Kardiologie-Abteilung am Medizinischen Versorgungszentrum Lahr beschäftigt sich seit dreißig Jahren mit den Möglichkeiten individualisierter Medizin. Einen Fall wie Majas hat er schon erlebt – und der jungen Frau im frühen Stadium helfen können. „Früher hat man eine vergrößerte Aorta erst bei einem Durchmesser von 55 mm operiert“, lag der Wert darunter, wurden die Betroffenen wieder nach Hause geschickt. Nicht nur für Maja eine tödliche Entscheidung. Denn reißt die Hauptschlagader, verbluten neun von zehn Menschen, bevor Hilfe eintreffen kann. „Heute muss schon bei 40 mm Durchmesser operiert werden, wenn Veränderungen in bestimmten Risikogenen zudem festzustellen sind“ – beispielsweise eine Bindegewebsschwäche, die das Risiko des Aortenbruchs erhöht.

Zwei Beispiele, die zeigen: Gene zu manipulieren ist gefährlich – sie ausfindig machen und für eine bestimmte Therapie zu klassifizieren hingegen nicht, ganz im Gegenteil. Und genau das ist der Ansatz der individualisierten Medizin. Genveränderungen hinsichtlich eines bestimmten Krankheitsbildes analysieren und so früher handeln können. „Nicht nur einzelne Symptome einer Krankheit sind mehr im Fokus“, so Dr. Scheffold. Daraus ergeben sich maßgeschneiderte Therapiemöglichkeiten. Aktuell sind 50 Wirkstoffe in Deutschland zugelassen, die erst eingesetzt werden können, wenn verschiedene Genkonstellationen abgeklopft wurden.

Die Zukunft der Krebsforschung?

Aber nicht nur Ärzte setzen sich mit den Chancen individualisierter Therapiemöglichkeiten auseinander. Beim Pharmaunternehmen Roche ist man von dem Ansatz überzeugt: „Personalisierte Medizin trägt dazu bei, die richtige Therapie für die richtige Gruppe von Patienten zum richtigen Zeitpunkt auszuwählen“, heißt es bei Roche auf Anfrage. „Die Erkenntnisse der molekularen Informationen gekoppelt mit modernsten Informationstechnologien eröffnen aktuell völlig neue Perspektiven für die Krebsmedizin.“ Das weltweit drittgrößte Pharma-Unternehmen ist im vergangenen Jahr Mehrheitsaktionär der amerikanischen Genspezialisten Foundation Medicine geworden. Die börsennotierte Firma mit Sitz in Massachusetts hat sich darauf spezialisiert, Veränderungen im Genom von Krebspatienten bereits auf molekularer Ebene zu erkennen. Denn Krebs ist nicht gleich Krebs. Foundation Medicine durchforstet mehr als 300 bekanntermaßen oft für eine Krebs-Erkrankung verantwortliche Gene in der Tumor-DNA nach möglichen Schaltstellen der Erkrankung. „Dadurch kann das Wachstum des Tumors eingeschränkt oder ganz gestoppt werden.“ Bei Roche ist man überzeugt, dass die Partnerschaft mit Foundation Medicine somit eine Investition in die Zukunft der Krebsforschung ist. „Das Wissen um potenzielle molekulare Veränderungen in Tumorzellen ist die Basis für die Entwicklung weiterer Krebsmedikamente.“

Nicht nur die Forschung beeinflusst die Qualität eines Wirkstoffs. Auch dessen Verarbeitung hat erhebliche Auswirkungen auf das Produkt. Deswegen beobachtet man bei Bausch+Ströbel den Markt individualisierter Medizin seit Längerem. Der Spezialist für pharmazeutische Verpackungsanlagen aus dem baden-württembergischen Ilshofen hat vor allem die Produktion von Medikamenten mit hohem Wirkstoffgrad im Blick. Sehr geeignet für das entwickelte Produktionssystem Vario-Sys, erläutert Thomas Bühler, Gruppenleiter für den Bereich Nordamerika in der Verkaufsabteilung bei Bausch+Ströbel. „Die zentralen Elemente dieses Systems sind ein kompakter Isolator von SKAN und passgenaue Maschinenmodule von B+S.“ Alle produktberührenden Komponenten, wie Verschlusszuführung, Eindrückwerkzeug oder Dosiernadel. werden als Single-use-Lösungen eingesetzt. „Somit werden Kreuzkontaminationen sicher ausgeschlossen.“ Zudem sollen Dosiertechnologien wie Advanced Fill sicherstellen, dass das Medikament, so Bühler, „bis zum letzten Tropfen optimal verwertet wird“.

Zum Einsatz kommen in der individualisierten Medizin oft Biopharmazeutika, die aus hochkomplexen Proteinmolekülen bestehen. Die Produktion ist entsprechend herausfordernd. Gemü aus dem fränkischen Ingelfingen will Unternehmen für diese immensen Anforderungen wappnen. „Das geht nur mit einem einfachen und flexiblen Design der Produktionsstrecke“, sagt Mareike Monninger, Applikationsspezialistin des weltweit tätigen Herstellers von Ventil-, Mess- und Regelsystemen. „Sicherheit hat immer noch absoluten Vorrang. Aber auch die Wirtschaftlichkeit muss mit bedacht werden: Mit dem Gemü-Baukastensystem lassen sich Anforderungen an die eingesetzten Ventilkomponenten für die unterschiedlichsten Einsatzgebieten vorteilhaft realisieren.“

Sicherheit hat Vorrang

Beispielsweise können mit den unternehmenseigenen Mehrwege-Ventilblöcken Anlagen auch hinsichtlich ihrer Größe effizienter gestaltet werden. „Mehrere Membranventile werden hier in einer entleerungsoptimierten Einheit zusammengefasst. Dadurch werden zahlreiche Rohrleitungen und Fittings eingespart. Die benetzte Fläche ist also kleiner, wodurch weniger hochwertige Substanz zurückbleibt.“ Auch hier legt Gemü den Fokus auf Sicherheit: „Gleichzeitig verringert sich die Zahl an Schweißnähten, was die Anlagensicherheit erhöht“, so Monninger.

Bei Gemü hat man die individualisierte Medizin als Trend erkannt und zur Unterstützung pharmazeutischer Single-Use-Prozesse das laut Unternehmen weltweit erste regelbare Single-Use-Membranventil Gemü-Sumondo entwickelt. „Wir haben das Know-how in der Membranventiltechnik auf den Single-Use-Gebrauch übertragen: Dank einer neuartigen Membranverbindungstechnologie können die aus dem konventionellen Anlagenbau bewährten manuellen, sowie pneumatischen Antriebseinheiten in Single-Use-Prozessen eingesetzt werden“, erklärt Monninger.

Die herrschenden Standards der Pharma- und Medizintechnik haben die Ingelfinger immer im Blick: „Der Ventilkörper aus PP-R natur und die darin eingeschweißte TPE-Membrane basieren auf umfassenden Zulassungsanforderungen.“ Pharmazeutische Single-Use-Prozesse hat Gemü benutzerfreundlicher gestaltet: „Bei der Installation wird der Single-Use-Membranventilkörper mittels Clamp am Antrieb befestigt. Nach Beendigung eines Prozesses wird nur der Ventilkörper abgetrennt und entsorgt, der Ventil-Antrieb bleibt für die Mehrfachnutzung in der Anlage. Bei pharmazeutischen Single-Use-Prozessen besteht nun wegen der Automatisierbarkeit auch die Möglichkeit der Rückmeldung an die Anlagensteuerung. „Dadurch werden Produktionszyklen nun einfacher dokumentier-, reproduzier- und validierbar. Außerdem sind sie durch den hohen Automatisierungsrad weniger fehleranfällig“, ist Monninger von Gemü überzeugt.

Wie viel Aufklärung Pharmaproduktion und Ärzte bei dem Thema Individualisierte Medizin noch leisten müssen, zeigt eine aktuelle Umfrage. Bei der Bevölkerung ist das Thema noch wenig präsent. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Demnach denken 65 Prozent der Befragten, individualisierte Medizin hieße, Ärzte nähmen sich viel Zeit für ihre Patienten.

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