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Effizienterer Personaleinsatz Wie AR-Technik die Auswirkungen des Fachkräftemangels reduziert

Die Microsoft Hololens.

Bild: Microsoft
27.09.2018

Der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern wird auch in den kommenden Jahren eine der größten Herausforderungen der Industrie bleiben. Dem lässt sich mit dem Einsatz moderner Technik und digitaler Hilfsmittel – zum Beispiel Augmented Reality – entgegen wirken. Schon heute gibt es vielfältige Ansätze, wie Unternehmen ihre personellen Ressourcen besser einsetzen können.

Der Fachkräftemangel in der Industrie verschärft sich. Nach aktuellen Schätzungen fehlen allein der Elektro­industrie bereits 50.000 qualifizierte Mitarbeiter – so weit, so wenig überraschend. Doch damit nicht genug: „Unternehmen und Hochschulen richten sich auf einen viele Jahre andauernden Mangel an Spezialisten ein“, berichtet beispielsweise der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) in seinem Tec-Report 2018.

Es wird also immer deutlicher, dass der Mitarbeitermangel sowohl eine langfristige Herausforderung für die betroffenen Industrieunternehmen darstellt als auch bereits angestoßene Gegenmaßnahmen eher wie ein Tropfen auf den heißen Stein wirken. Das zeigen aktuelle Zahlen: Im Maschinenbau, der Elek­troindustrie und der Informationstechnik bleiben immer noch zehntausende Stellen unbesetzt. Deutschlands Maschinenbauer meldeten unlängst durchschnittlich 10.700 offene Stellen; das sind 50 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Und in der Elektroindustrie fehlen laut Branchenverband ZVEI weiterhin bis zu 50.000 Mitarbeiter.

Moderne Technik gegen den Fachkräftemangel

Wer also behauptet, dieses Problem kurzfristig lösen zu können, ist nicht ernst zu nehmen, aber „es ist durchaus möglich, die negativen Auswirkungen dieses Mangels durch moderne Technologie zu lindern“, ist Lars Vogel, Experte für digitale Transformation in der Industrie bei der T-Systems Multimedia Solutions, überzeugt. Sein Credo lautet daher: „Wir können mit moderner Technologie dafür sorgen, dass Industrieunternehmen ihre personellen Ressourcen besser einsetzen können – und das auf gleich mehreren Ebenen.“

Bestes Beispiel dafür ist die vorausschauende Wartung von Maschinen und Anlagen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 setzt bereits ein Viertel der Unternehmen eine Predictive-Mainte­nance-Lösung ein. 16 Prozent befinden sich in der Pilotphase. Ein Drittel der Befragten planen die Einführung innerhalb der nächsten drei Jahre, nur ein geringer Teil will erst später damit loslegen. Ihre Maschinen liefern über Sensorik und eine Schnittstelle Daten und Messwerte. Auf diese Weise lassen sich mit weniger Wartungsteams mehr und bessere Ergebnisse erzielen. Prüfintervalle von Anlagen, die gar keinen Check benötigt hätten, werden weniger; Ausfallzeiten von schwächelnden Maschinen, deren Fehler frühzeitiger erkannt werden, ebenso.

Doch clevere Unternehmen könnten ihre Wartung außerdem auf mehrere Einsatzfelder ausweiten. Analoge Wartungsbücher lassen sich digitalisieren und so wesentlich effizienter nutzen. Oder Trainings und Schulungen mittels Virtual und Artificial Reality (VR, AR) anreichern: Der Mitarbeiter kann auf diese Weise deutlich realistischer angelernt werden als im klassischen Schulungsraum mit Whiteboard und Papier. „Und ist er dann im Einsatz, können ihm Techniker in der Firmenzentrale durch VR und AR buchstäblich über die Schulter schauen und ihm beim Wartungsprozess zur Seite stehen. Kommt es etwa zu Problemen, kann er so bestimmte Fehler gleich vor Ort lösen und muss nicht wieder unverrichteter Dinge abziehen“, erläutert Lars Vogel.

Mit AR Kosten sparen und Wissen skalieren

Das ist längst nicht alles: Unternehmen erproben bereits, dass ein Roboter dem Produktionsmitarbeiter Daten übermittelt und auf einem Dashboard anzeigt. Im Umkehrschluss kann er den Roboter per Gestik über seine Datenbrille steuern. Mitarbeiter können dadurch nicht nur das Zusammenspiel von Daten und Maschine einfach erfassen und schnell darin eingearbeitet werden. Zudem ist die Bedienung des Roboters vollkommen ortsunabhängig: Es ist egal, ob der Mitarbeiter sich in Sichtweite des Roboters befindet oder am chinesischen Produktionsstandort.

Die AR-Lösung erlaubt es einer einzelnen Person sozusagen, in mehreren Fabriken gleichzeitig Einfluss auf die Produktion zu nehmen. Auf diese Weise lässt sich Expertenwissen schnell und einfach teilen und skalieren. Die Fachkraft kann ihr Wissen virtuell in mehreren Fabriken zur Verfügung stellen. Unternehmen sparen Reiseaufwände, die Mitarbeiter können viel effizienter eingesetzt werden.

Zahlreiche Einsatzgebiete

Dieser Ansatz ist längst nicht auf Wartungsprozesse beschränkt. In vielen anderen industriellen Abläufen können Unternehmen solche digitalen Tools gewinnbringend einsetzen: „Für Anlageplanungen und Ablaufsimulationen lassen sich mithilfe von Augmented Reality effizientere Lösungen finden. Die AR-­Simulation eines Autoteils kann etwa Aufschluss darüber geben, ob die Komponente in die angedachte Karosserie passt, und die Anschlüsse überprüfen. So lassen sich Fehlerquellen minimieren und Prozesse schneller vorantreiben“, berichten die Unternehmensberater von PwC in ihrer Studie Digital Trend Outlook 2016.

Darüber hinaus profitieren auch Vertrieb, Marketing und Service in der Industrie von diesen Technologien. Die Produktionsplanung wird moderner und greifbarer gestaltet. In unterschiedlichen Unternehmensbereichen lassen sich Visualisierungen realisieren, Simulatoren aller Art sind möglich, und auch Prototypen werden dadurch auf eine neue Ebene gehoben. Das Unternehmen verbessert zudem sein Image und macht sich für den Nachwuchs durch den Einsatz innovativer Technologie interessanter.

Der Vertrieb kann darüber hinaus Produkte auf kleinstem Raum präsentieren und den Kunden selbst komplexe Sachverhalte einfacher darstellen. Durch realistische Simulationen schaffen Firmen authentische virtuelle Erlebnisse. Sie beeinflussen damit Kaufentscheidungen positiv und sparen im Idealfall auch Kosten für Prototypen. Letztlich bekommt der Vertrieb damit auch ein ideales digitales Hilfsmittel für den Messe­einsatz an die Hand.

Fakt ist aber auch, dass der Umgang mit diesen Werkzeugen nicht vom Himmel fällt. So konstatiert das Bündnis für Industrie – es vereint Gewerkschaften, Industrie- und Arbeitgeberverbände sowie das Bundeswirtschaftsministerium – in einem Arbeitspapier: „Als wahrscheinlich gilt aber, dass digital abbildbare Standardprozesse durch intelligente Technologie in weiten Teilen autonom bearbeitet werden. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass qualifizierte MINT-Fachkräfte mit übergreifendem Prozess- und Technologie-Know-how sowie ausgeprägten Soft Skills wie interdisziplinäres Denken, Selbstorganisation und Teamfähigkeit besonders gefragt sein werden.“ Das heißt, die Einführung digitaler Technologien und Hilfsmittel muss mit einem besonderen Fokus auf Aus- und Weiterbildung einhergehen.

Behutsame Einführung

Das hat auch Lars Vogel beobachtet: „Durch digitale Arbeitsmittel und technologische Prozessunterstützung darf kein zusätzlicher Generationenkonflikt entstehen. Es hilft nicht, wenn sich die Produktion digital weiterentwickelt, die älteren Mitarbeiter aber dabei auf der Strecke bleiben und sich der Technologie-Einsatz auf die Generation der Digital Natives beschränkt.“ Die Auswirkungen des Fachkräftemangels lassen sich also durchaus digital eindämmen – wenn entsprechende digitale Werkzeuge unternehmensweit eingeführt werden. Dies muss aber behutsam mit entsprechender Aus- und Weiterbildung geschehen, entsprechend dem Grundsatz: „Digitalisierung hilft Mensch!“ und nicht „Digitalisierung statt Mensch!“.

Dieser Artikel ist Teil des Fokusthemas „Fachkräfte 4.0“ der A&D-Ausgabe 10-18.

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