Wie funktioniert … ... ein Multitouch-Panel?

SCHURTER AG ELECTRONIC COMPONENTS

Bild: vvvisual, iStock
22.04.2015

Die Multitouch-Technik steht im Fokus vieler Neuentwicklungen im Bereich HMI und Medizin. Basierend auf der projiziert-kapazitiven Technik wurden Multitouch-Panels zu einem industrietauglichen Eingabesystem weiterentwickelt. Die hohen Anforderungen zur EMV-Störfestigkeit, eine hinreichende Wassertoleranz und die Möglichkeit zur Handschuhbedienung qualifiziert sie für industrielle Anwendungen.

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Projiziert-kapazitive Touch-Sensoren bestehen mindestens aus zwei elektrisch getrennten Sensorflächen, Glas oder Polyesterfolien, die mit hochtransparentem Indium-Zinn-Oxid (ITO) leitfähig beschichtet sind. Durch einen Ätz- oder Laserprozess werden die ITO-Flächen in viele kleine Einzelfelder segmentiert und als X/Y-Schnittpunkte in Reihen und Spalten abgebildet. Die Designmöglichkeiten dieser Sensorfelder sind vielfältig und folgen unterschiedlichen Richtlinien der Hersteller von PCAP-Basischips.

Die Strukturen sind außerhalb des Sichtbereichs mit gedruckten oder gelaserten Leiterbahnen aus Silberleitfarbe kontaktiert und leitend zu den Anschlusskontakten geführt. Folienbasierende Sensoren werden hochtransparent und elek­trisch isolierend laminiert. Dadurch wird über die gesamte aktive Fläche ein ma­trix­förmiges Netz von einzel adressierbaren Sensoren mit ruhenden Referenzkapazitäten gebildet. Bei der Annäherung eines Fingers wird dessen Position durch Veränderung der Kapazität der Einzelsensoren erkannt. Durch Interpolation der angrenzenden Sensorkapazitäten kann der Controller die exakten Positionen der Betätigungen berechnen und in entsprechende X/Y-Koordinaten umwandeln. Die matrixförmige Anordnung der Sensoren benötigt keine Kalibrierung. Dadurch arbeiten industrietaugliche projiziert-kapazitive Multitouch-Systeme auch unter rauen Umgebungsbedingungen immer positionsgenau.

Eigen- und Gegenkapazität

Die elektronische Auswertung arbeitet bezüglich der Berührungserkennung mit zwei Hauptmethoden. Bei beiden Arten wird ein kapazitives Sensorfeld durch nichtleitende Medien, zum Beispiel Glas, projiziert. Dabei wird die Änderung der Eigenkapazität oder der Gegenkapazität der Sensoren ermittelt. Bei der Eigenkapazitätsmethode wird der durch eine Annäherung erhöhte Ladungsfluss der X- und Y-Sensoren zum Erdungsniveau gemessen. Die Betätigungsposition ist die Stelle, an der die Sensoren einen erhöhten Ladungsfluss aufzeigen. Die Methode der Gegenkapazität detektiert eine Änderung der Kapazität in der Sensormatrix infolge einer Parallelkopplung des Fingers zu den Schnittpunkten. Beide Verfahren besitzen Vor- und Nachteile. Die Elektronik eines industrietauglichen PCI-Touch-Controllers verwendet idealerweise eine Kombination beider Methoden.

Einer der wichtigsten Faktoren zur Erzielung der Industrietauglichkeit ist die Stabilität bei Einfluss von EMV-Störungen auf das System. Während den Qualifizierungsprüfungen sollte das TouchPanel mit mindestens zwei Aktoren betätigt werden. Nur so wird die absolute EMV-Beständigkeit qualifiziert. Zur Erzielung eines EMV-stabilen Multitouchpanels werden zwei Hauptstörquellen berücksichtigt: Erste Störquellen hinter dem Panel sind integrierte Displays und getaktete Netzgeräte. Auf diese Störungen bezieht sich die EMV-Norm nach IEC 61000-4-3. Des Weiteren definiert die EMV-Norm IEC 61000-4-6 leitungsgebundene Einkopplung von Spannungsspitzen und Frequenzen. Die Störsignale so zu eliminieren, dass das Multitouchpanel ohne Abweichung der Touch-Funktion positionsgenau arbeitet und keine Fehlauslösungen verursacht werden, ist Voraussetzung für das Erreichen der EMV-Konformität nach Klasse A.

Erzielt wird diese EMV-Festigkeit mit abgestimmten AD-Wandlern, integrierten RC-Filtern, erhöhten Drive-Spannungen und aufwendigen Algorithmen wie zum Beispiel dem frequency-hoping-Verfahren. Mit einem an die Elektronik angepassten Sensordesign wird zusätzlich eine erhöhte Signal-Rausch-Differenz erzielt. Diese Verbesserung der störfesten Sensorempfindlichkeit ermöglicht eine Fingerbetätigung durch mehrere Lagen Medizinhandschuhen und durch dickere Bauhandschuhe aus Leder. Wasser darf keinesfalls zu Fehlauslösungen des Panels führen. Besonders im Medizinbereich ist diese Anforderung zusätzlich ergänzt mit der Beständigkeit gegenüber Salzwasserlösung. Die Möglichkeit eine komplette Wasserbeständigkeit zu erzielen besteht in der Auswahl des Controllers und dessen Messmethodik. Somit sind PCI-Eingabesysteme sogar zum Einsatz unter fließendem Wasser bei gleichzeitiger Erkennung der Fingerbetätigung möglich.

Eine absolute Industrietauglichkeit wird jedoch nur erreicht wenn alle Anforderungen, das heißt EMV-Beständigkeit, Wassertoleranz und Handschuh­bedienbarkeit mit einem einzigen Setting der Software garantiert werden können. Handelsübliche PCAP-Controller und Sensoren im Standarddesign aus dem Consumerbereich genügen diesen hohen Industrieanforderungen auf keinen Fall.

Vom Screen zum Panel

Glasbasierende Sensoren bis 24 “ werden bei Schurter vollautomatisiert im Reinraum mit Frontgläsern flüssig gebondet. Extra konzipiert wurde eine Anlage die Glasdicken der Sensoren und der Frontgläser im ersten Schritt ermittelt, die notwendige Klebstoffmenge damit berechnet und die Gläser auf einen fest definierten Abstand bondet. Verwendet werden ausschließlich hochtransparente UV-Klebstoffe, die zusätzlich mit Luftfeuchtigkeit aushärten. Somit wird auch in Bereichen in denen UV-Licht zur Härtung nicht einwirken kann ein zuverlässiges Bonding realisiert.

Folienbasierende Sensoren werden mit automatisierten Wendetisch-Laminatoren hinter bedruckte Frontgläser ebenfalls im Reinraum hochtransparent verklebt. Die Farbstufe der Glasbedruckung im Fensterbereich erfordert im zweiten Schritt eine Lagerung im temperierten Autoklaven bei Überdruck. Dadurch wird der nach der Laminierung resultierende geringe Lufteinschluss des hochtransparenten Klebstoffes an der Bedruckungsstufe vollkommen eliminiert.

Die vom Multitouch-Nutzer gewohnte Fingergestik unterliegt bei unbehandelten Gläsern einer sehr hohen Haftreibung. Anti-Glare- oder Anti-Smudge-Oberflächen reduzieren diese Haftreibung wesentlich und ermöglicht ein angenehmes Gleiten des Fingers über das Multitouchpanel. Die Anti-Glare-Glasoberfläche bewirkt jedoch auch ungünstige Überla­ger­ungen der Displaypixel mit der geätzten Oberflächenstruktur. Um dies zu vermeiden, werden die Frontgläser mit einem Sparkling-Messgerät optisch passend zum Display qualifiziert und ausgewählt. Die rückseitige Bedruckung der Gläser erfolgt mit einer vollautomatisierten Siebdruckanlage im Reinraum. Die Gläser durchlaufen in dieser Bedruckungs­linie ein spezielles Vorbehandlungsverfahren, um eine bestmögliche Haftung der UV-Farben zu gewährleisten.

Eine spezielle Verklebungstechnik der Frontgläser in die Trägerplatte oder in ein Gehäuse ermöglicht sehr hohe Auspresskräfte. Der Einbau in eine Tiefenfräsung bewirkt einen mechanischen Schutz der Glaskanten. Der umlaufende Spalt zwischen Glas und Trägerrahmen beziehungsweise Gehäuse wird automatisiert vergossen; Schutz nach IP 67K ist somit über die komplette Fronteinheit möglich. Das qualifizierte Dichtmaterial ist chemisch resistent, temperaturstabil und schützt den rückseitigen Farbdruck der Frontgläser vor aggressiven Medien. Ebenfalls im Reinraum erfolgt die rückseitige Montage von Display mit Staubdichtungen und Elektronik. Für hohe optische Anforderungen wird der Luft­spalt zwischen Display und Rückseite des Sensors mit UV-Material flüssig vergossen. Dieses optical bonding bewirkt eine Kontrasterhöhung und somit eine verbesserte Lesbarkeit. Durch diese Flüssigverklebung werden Lichtbrechungen innerhalb des Panels reduziert. Zusätzlich ist das Touchpanel mit einem gebondeten Display widerstandsfähiger gegen mechanische Belastungen.

Für HMI-Eingabesysteme häufig geforderte Funktionstasten außerhalb der aktiven Fläche des PCI-Panels werden durch programmierbare kapazitive Einzeltasten hinter dem Frontglas realisiert. Flächige und punktuelle Beleuchtung von Symbolen und Tastpunktbeschriftungen sowie Status-LEDs werden hinter das Frontglas integriert. Bedruckte Beschriftungen im Verschwinde-Effekt sind nur bei rückseitiger Beleuchtung erkennbar. Zusätzliche Slider und Wheels können im oder auf dem Glas als haptische Fingerführung für den Anwender realisiert werden.

Bildergalerie

  • Die Skizze zeigt symbolisch einen zweilagigen Sensoraufbau, dessen Drive-Layer Fläche (grün) wesentlich größer ist als die Sense-Layer Fläche (blau). Dieses Design erhöht die Störfestigkeit des Sensors.

    Die Skizze zeigt symbolisch einen zweilagigen Sensoraufbau, dessen Drive-Layer Fläche (grün) wesentlich größer ist als die Sense-Layer Fläche (blau). Dieses Design erhöht die Störfestigkeit des Sensors.

    Bild: Schurter

  • Und so sieht ein zweilagiger Sensoraufbau aus.

    Und so sieht ein zweilagiger Sensoraufbau aus.

    Bild: Schurter

  • Produktmanager für Input Systems Roland Mauerer

    Produktmanager für Input Systems Roland Mauerer

    Bild: Schurter

  • Durch eine spezielle Flüssigverklebung werden Lichtbrechungen innerhalb diese Touch-Panels reduziert. Außerdem ist es mit seinem gebondeten Display widerstandsfähiger gegen mechanische Belastungen

    Durch eine spezielle Flüssigverklebung werden Lichtbrechungen innerhalb diese Touch-Panels reduziert. Außerdem ist es mit seinem gebondeten Display widerstandsfähiger gegen mechanische Belastungen

    Bild: Schurter

  • Bei projiziert-kapazitiven (PCAP) Touchscreens sind zwei Sensorflächen durch ITO-Schichten getrennt, die zusätzlich in kleine Einzelfelder unterteilt sind.

    Bei projiziert-kapazitiven (PCAP) Touchscreens sind zwei Sensorflächen durch ITO-Schichten getrennt, die zusätzlich in kleine Einzelfelder unterteilt sind.

    Bild: Schurter

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