Die Braunüle hat es geschafft: Sie ist einer der wenigen generischen Markennamen, der eine ganze Produktgattung beschreibt – in diesem Fall die Venenverweilkanüle. Entwickelt wurde die Braunüle in der 1950er Jahren vom nordhessischen Medizintechnik- und Pharmaunternehmen B. Braun. Sie wurde schnell zu einem Kassenschlager, weil sie sich für die Patienten deutlich angenehmer anfühlte als die bis dahin verwendeten starren Kanülen aus Metall.
Parallel zur Entwicklung der Braunüle vollzog B. Braun auch einen Wechsel von der zerbrechlichen Glasflasche zum Infusionssystem aus flexiblem Kunststoff – ein weiterer Meilenstein in der Geschichte von B. Braun, wo mittlerweile weltweit 60.000 Menschen in 64 Ländern beschäftigt sind und im Jahr 2016 knapp 6,5 Milliarden Euro erwirtschaftet wurden.
Vollautomatische Fabrik
Hergestellt werden die Infusionslösungen im LIFE-Produktionsbereich, kurz für Leading Infusion Factory Europe. Hinter diesem Namen verbirgt sich Europas erste vollautomatische Fabrik für Infusionslösungen, die B. Braun an seinem Stammsitz in Melsungen aufgebaut hat. Die Fertigungstiefe reicht dort von der Herstellung der sogenannten Standbeutel mit Extrudern und Blasanlagen über die Produktion des destillierten Wassers bis hin zum eigentlichen Ansetzen der Infusionslösungen.
Nachdem die Standbeutel gefüllt und verschlossen sind, werden die Einheiten final sterilisiert, etikettiert und verpackt. „Mit Blick auf die sterile Fertigung ist es sehr gut, die PE-Flaschen in einem Zug zu extrudieren, aufzublasen und zu füllen. Doch produktionstechnisch ist das auch ein sehr aufwendiges Verfahren“, beschreibt Klaus Sonntag, Leiter des technischen Services im Pharmawerk Melsungen.
Im Grunde genommen gibt es kein intralogistisches Zwischenlager zwischen dem PE-Granulat und der verkaufsfertigen Verpackungseinheit. Zudem müssen unterschiedliche Herstellungsströme synchron zusammengeführt werden – etwa die Verpackungsherstellung mit der Abfüllung.
Füllmaschine voll auslasten
Die Abfüllung ist es auch, die bei B. Braun den Ton angibt. „Die Füllmaschine muss ständig laufen. Deshalb braucht es in der Produktion Zu- und Abführungspuffer“, erklärt Ralf Köhler von der Gronemeyer Maschinenfabrik, der dort im Vertrieb für die Automatisierung verantwortlich ist. Der Fördersysteme-Lieferant Gronemeyer zählt zu den bewährten Partnern von B. Braun, wenn es um Fragen des Materialflusses geht. Gronemeyer zählt seit jeher auch zu den Systempartnern von SEW-Eurodrive: „SEW hat uns von Beginn an in die Entwicklung seines mechatronischen Antriebssystems Movigear eingebunden“, erinnert sich Ralf Köhler.
Das Materialflusssystem bei B. Braun gehört zu den typischen Applikationen, bei denen Movigear seine Vorteile als Antrieb für horizontale beziehungsweise ansteigende Fahrbewegungen voll ausspielen kann. Im Vergleich zu Standardgetriebemotoren liefert Movigear dank eines integrierten Permanentmagnetmotors ein deutlich höheres Überlastverhalten bis zum 3,5-fachen des Nennmomentes. „Diese Kraft brauchen wir in der Fördertechnik zum Starten“, erklärt Ralf Köhler. „Ist die Last erst in Bewegung, dann ist weniger Energie notwendig, weil man nur noch die Gleitreibung überwinden muss.“ Laut Ralf Köhler hat Gronemeyer im Praxiseinsatz Energieeinsparungen von 66 Prozent im Vergleich zu herkömmlichen frequenzgesteuerten Asynchron-Getriebemotoren gemessen.
Keine Verwirbelungen im Reinraum
Auch im Reinraumbereich leistet Movigear einen wertvollen Beitrag zur Energieeffizienz – und das über die eigentliche Antriebsaufgabe hinaus. Denn aufgrund des hohen Systemwirkungsgrades der mechatronischen Einheiten – und entsprechend geringen Wärmeverlusten – kommt der Antrieb mit glatten Konturen und vor allem ohne Lüfter aus.
In Reinräumen wird der Luftstrom von oben nach unten geführt, wobei Staubpartikel in Richtung Boden gedrückt werden. Kämen im Materialfluss Antriebe mit Lüfter zum Einsatz, so würden sich im Luftstrom unweigerlich Verwirbelungen bilden. Das wiederum hätte einen höheren Leistungsbedarf für die Lüftungstechnik zur Folge, weil diese einen definierten Luftstrom sicherstellen muss. „Insofern haben lüfterlose Motoren gerade hier echte Vorteile, weil die Anlagen kleiner dimensioniert werden können und weniger Strom brauchen“, fasst der Automatisierungsspezialist Ralf Köhler zusammen.
Ein weiterer Vorteil von Movigear resultiert aus der Standardisierung, weil die mechatronische Antriebseinheit das volle Drehmoment in einem Drehzahlstellbereich von 1:2.000 erreicht. Damit lassen sich die Antriebe variabel verwenden und die Variantenvielfalt sinkt: „Wir nutzen am besten nur einen Typ, der sich überall einsetzen lässt“, erklärt Klaus Sonntag. Dadurch sinken sowohl das in der Ersatzteillagerung gebundene Kapital als auch der Schulungsaufwand beim Service- beziehungsweise Wartungspersonal.
Materialfluss einfach projektieren
Der weite Einsatzbereich von Movigear macht auch für den Maschinenbauer Gronemeyer die Projektierung einfacher, weil man das Materialflusssystem mit ein und demselben Motor in unterschiedlichen Geschwindigkeiten laufen lassen kann und das System dabei sehr effektiv auf schwankende Produktivitätskennzahlen reagiert. Hierzu zählen Materialpuffer auf der Strecke, die je nach Situation durch Tempoanpassungen voll- oder leergefahren werden.
„Wir müssen intelligent fördern – nicht nur möglichst schnell“, betont Ralf Köhler. „Der Materialfluss bei B. Braun ist als Kreislauf aufgebaut. Dieser arbeitet hoch dynamisch, um die Füllmaschine unterbrechungsfrei durchlaufen zu lassen.“