Dicht ohne Ende Lebensdauer von Getriebedichtungen verlängern

Bild: iStock, Sharlotta
25.08.2017

Antriebe in Industrieanwendungen werden immer öfter rund um die Uhr mit hoher Dynamik und in wechselnden Drehrichtungen betrieben. Dabei ist der Radialwellendichtring oft das schwächste Glied im Getriebemotor. Ein neu entwickeltes Dichtsystem punktet durch eine optimierte Schmierung im Dichtspalt, reduzierten Verschleiß und eine erhöhte Dichtsicherheit.

Radialwellendichtringe (RWDR) aus Elastomer sind nach wie vor die erste Wahl, wenn es darum geht ein Getriebe in beide Drehrichtungen wirtschaftlich und zuverlässig gegen anstehendes Öl abzudichten. Eine Berechnung der RWDR-Lebensdauer ist nach dem Stand der Technik nicht möglich. Häufig können die heutigen extrem hohen Lebensdaueranforderungen einer Anlage nur erreicht werden, wenn Wartungsintervalle für den Radialwellendichtring und den Schmierstoff berücksichtigt werden. Typische Langzeitausfallursachen bei Dichtringen sind Elastomeralterung und -verschleiß sowie Welleneinlauf an der Dichtstelle – die Verträglichkeit von Elastomer und Schmierstoff vorausgesetzt.

Die Möglichkeiten diesen Mechanismen entgegenzuwirken, sind begrenzt. Grundsätzlich gilt jedoch: Je weniger Reibung und Temperatur, desto länger ist die zu erwartende Lebensdauer eines RWDR, insbesondere auf der schnelldrehenden, dynamischen Motorseite.

Gestiegene Anforderungen

Industrielle Antriebssysteme sind vor allem durch ihre Robustheit und Langlebigkeit gekennzeichnet. Die Notwendigkeit dieser Eigenschaften wird sehr deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass immer mehr Applikationen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr betrieben werden. Unter diesen Bedingungen werden in einem Jahr etwa 8.700 Betriebsstunden erreicht.

Ebenso wie die Zuverlässigkeit der Antriebe steht bei Applikationen mit einer hohen Auslastung, zum Beispiel mobile Logistikassistenten, bei denen für gewisse Fahrstrecken Energie zwischengepuffert werden muss, die Effizienz der Antriebe absolut im Vordergrund. Der Betrieb moderner Applikationen unterscheidet sich oft grundlegend von den bisher üblichen Anwendungen. Wo früher beispielsweise kontinuierlich drehende Montagebänder eingesetzt wurden, werden heute autonom fahrende Logistikassistenten eingesetzt. Die Bewegungskinematik der Antriebe hat sich bei vielen Applikationen deutlich verändert. Die Lebensdauer von Dichtsystemen in Antrieben, die im Dauerbetrieb betrieben werden, erwiesen sich bereits in der Vergangenheit oft als kritisch. Jedoch wird die Lebensdauer heute durch variable Drehzahlen, wechselnde Drehrichtungen und häufige Anfahrvorgänge noch weiter reduziert.

Nicht zuletzt werden aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen Antriebe immer öfter mit Frequenzumrichtern geregelt. Start-Stopp-Betrieb, hohe Dynamik sowie wechselnde Drehzahlen und -richtungen sind heute Bedingungen, mit denen moderne Antriebssysteme sicher betrieben werden müssen. Aus der klassischen, mechanischen Sichtweise lassen sich diese Anforderungen mit modernen Berechnungs- und Simulationswerkzeugen berücksichtigen. Die einzelnen Komponenten können entsprechend zeit- oder dauerfest ausgelegt werden. Je nach Temperatureinsatzbereich kann auch ein Schmierstoff gewählt werden, der eine Lebensdauerschmierung ermöglicht.

Die Lebensdauer eines Dichtsystems hingegen lässt sich bis heute nicht berechnen. Die Robustheit des Gesamtsystems wird immer durch das schwächste Glied bestimmt, in diesem Fall durch das Dichtsystem. Klassische Dichtsysteme in der Antriebstechnik sind nach wie vor Radialwellendichtringe. Erfahrungswerte der Hersteller zu den Lebensdauern helfen, das geeignete Dichtsystem zu wählen. Jedoch sind auch hier Grenzen gesetzt. Applikationen, die unter den oben genannten Bedingungen betrieben werden, erreichen bereits in dem gesetzlichen Gewährleistungszeitraum von zwei Jahren oft bis zu 16.000 Betriebsstunden. Die Lebensdauererwartungen an Premium-Antriebssysteme gehen heute jedoch weit darüber hinaus.

Wechselwirkung Schmierstoffe

Eine der grundlegenden Voraussetzungen für eine möglichst hohe Lebensdauer der RWDR ist die Schmierstoffverträglichkeit. Entscheidend ist die Frage, in welchem Maß und in welcher Geschwindigkeit die chemisch-physikalischen Interaktionen stattfinden. Die Geschwindigkeit der Wechselwirkungen zwischen Schmierstoff und Elastomer wird vor allem durch die Öltemperatur und die Zeit beeinflusst. Die im Dichtkontakt entstehende Reibung führt zu einer zusätzlichen Temperaturüberhöhung, die entscheidend für die Lebensdauer einer Dichtung ist. Die Übertemperatur im Dichtkontakt lässt sich z. B. über die Anpressung der Dichtlippe auf die Welle beeinflussen. Radialwellendichtringe mit Sonderfeder (reduzierte Anpresskraft der Dichtlippe) zeigen im Vergleich zu RWDR mit Standardfeder eine deutliche Verbesserung der Lebensdauer. Doch selbst diese Dichtringe können teilweise die Lebensdaueranforderungen nicht erfüllen.

Premium Sine Seal im Vorteil

Dichtsysteme mit einer sinusförmigen Dichtlippe sind beispielswiese aus dem MSS1-Dichtsystem von FST bekannt. Jedoch wird bei dem MSS1-Dichtsystem eine Kombination aus einem klassischem RWDR und einer sinusförmigen Vorschaltdichtung gewählt, um eine radiale Verlagerung der Welle kompensieren zu können. Bewährt hat sich das MSS1-Dichtsystem vor allem für die abtreibende Getriebewelle. Basierend auf den positiven Erfahrungen mit dem MSS1-Dichtsystem, wurde der sinusförmige Teil der Dichtung für die motorseitige Getriebeabdichtung weiterentwickelt. Im Gegensatz zur abtreibenden Getriebewelle, sind auf der Motorseite die radialen Verlagerungen der Welle vernachlässigbar. Insofern kommt die neue motorseitige PSS-Dichtung ohne RWDR-Feder und ohne zusätzlichen „klassischen“ RWDR-Teil aus, wie es bei der MSS1-Dichtung am Abtrieb der Fall ist.

Das Funktionsprinzip des PSS basiert wie bei einem klassischen RWDR auf einer berührenden Elastomerdichtlippe. Im Gegensatz zum klassischen RWDR ist der Kontakt beim PSS jedoch nicht mehr geradlinig, sondern sinusförmig. Die im Dichtspalt entstehende Wärme wird somit auf eine größere Wellenoberfläche übertragen. Das Elastomer wird dadurch thermisch deutlich weniger beansprucht und es altert langsamer.

Der sinusförmige Verlauf der Dichtlippe fördert weiterhin aktiv den Schmierstoffaustausch im Dichtkontakt - Schmutzpartikel werden aus dem Dichtkontakt "herausgepumpt“, was den Verschleiß reduziert. Dichtsysteme mit wellenförmiger Dichtlippe sind von weiteren Herstellern auf dem Markt zu finden. Diese werden nach wie vor mit einer Feder ausgeführt, wie beim Standard-RWDR. Ebenfalls zeigt der Vergleich der effektiven Berührbreite, dass sie beim PSS um ein Vielfaches höher liegt.

Geringere Wärmeentwicklung

Vergleicht man die Verlustleistungen verschiedener FKM-Dichtsysteme mit identischem Elastomer, so stellt der RWDR mit Standardfeder, wie er meist in der Anwendung zum Einsatz kommt, die typische Referenz dar. Durch den Einsatz einer Sonderfeder wird die Radialkraft an der Dichtlippe reduziert, was eine um etwa 25 Prozent geringere Verlustleistung zur Folge hat. Mit dem neuen PSS-Dichtsystem lassen sich die Verluste um bis zu 45 Prozent reduzieren, verglichen mit dem Standardwellendichtring.

Unter höchsten dynamischen Belastungen über 2.016 Stunden wurden Versuche zur Verschleißentwicklung an der Dichtlippe und am Welleneinlauf durchgeführt (Tests nach SEW-Spezifikation 070040312). Unter identischen Bedingungen verschleißt ein PSS Dichtsystem an der Dichtlippe um circa 50 Prozent weniger als ein vergleichbarer RWDR mit Sonderfeder. Aus der gleichen Versuchsreihe wurde ebenfalls der Welleneinlauf ermittelt. Standard RWDR aus FKM führen immer wieder, je nach Schmierstoff, zu einem deutlichen Welleneinlauf. Mit dem PSS aus identischen Elastomer konnte in keinem der zahlreichen Versuchen ein Welleneinlauf festgestellt werden.

Sinusform für höhere Effizienz

Die Versuchsergebnisse mit dem neuen PSS Dichtsystem zeigen sehr deutlich, dass die Effizienz sowie auch der funktionsbedingte Verschleiß eines Radialwellendichtrings durch eine sinusförmige Dichtlippenform sehr positiv beeinflusst werden können. Die sinusförmige Dichtlippengeometrie ist bereits aus modularen Dichtungen seit mehreren Jahren bekannt. Die Versuchsergebnisse zeigen: Wenn man die radiale Verlagerung der Welle vernachlässigen kann (beispielsweise bei der Abdichtung der Motorwelle), lässt sich die Abdichtung auch durch die Bauform B1 sicher gewährleisteten. Aktuell lassen sich noch keine aussagekräftigen Lebensdauerprognosen stellen, jedoch zeigen die gemessenen Verschleißwerte, dass die zu erwartende Lebensdauer deutlich höher sein wird, als bei den bisher nach SEW-Spezifikation getesteten RWDR. Auf Basis des Vergleichs zwischen einem RWDR aus 75FKM585 mit Sonderfeder und einem PSS aus 75FKM585 kann bei letzterem von einer Lebensdauererhöhung um den Faktor 2 ausgegangen werden. Antriebe aus der Praxis, die erst nach mehreren Tausend Betriebsstunden aufgrund von Undichtigkeit ausfallen, zeigen an der Dichtstelle (RWDR mit Standardfeder oder auch mit Sonderfeder) sehr häufig deutlichen Welleneinlauf und große Laufspurbreiten am RWDR. Mit dem PSS-Dichtsystem wirkt man den Mechanismen, die Welleneinlauf und Verschleiß an der Dichtlippe erzeugen, sehr effektiv entgegen.

Um eine möglichst lange Lebensdauer mit dem PSS zu erzielen, werden zum jetzigen Zeitpunkt alle Schmierstoffe, die für SEW-Getriebe in Frage kommen, anhand dynamischer 2.016-Stunden-Tests gemäß SEW-Spezifikation 070040313 bei maximaler Dynamik getestet. Dabei erhalten die Schmierstoffe, die besonders gut abschneiden, die Auszeichnung „SEW Longlife".

Bildergalerie

  • Ein Premium Sine Seal (PSS) ist ein Dichtsystem, das ausschließlich aus einer sinusförmigen Dichtlippe ohne Radialfeder (und ohne Sekundärdichtung) besteht.

    Ein Premium Sine Seal (PSS) ist ein Dichtsystem, das ausschließlich aus einer sinusförmigen Dichtlippe ohne Radialfeder (und ohne Sekundärdichtung) besteht.

    Bild: SEW

  • Vergleich der Berührbreiten eines Standarddichtrings der Bauformen BA und eines PSS: durch den sinusförmigen Verlauf der Dichtlippe wird die effektive Berührbreite auf der Welle um den Faktor 3 vergrößert.

    Vergleich der Berührbreiten eines Standarddichtrings der Bauformen BA und eines PSS: durch den sinusförmigen Verlauf der Dichtlippe wird die effektive Berührbreite auf der Welle um den Faktor 3 vergrößert.

    Bild: SEW

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel