Die Erfolgsgeschichte des Lkw beginnt in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Nach der Währungsreform verzeichnet Deutschland einen starken wirtschaftlichen Aufschwung. Immer mehr Güter werden hergestellt, transportiert werden sie jedoch zunächst meistens mit der Bahn. Nur 20,3 Prozent beträgt 1950 der Anteil des Lkw am Modalsplit. Im Jahr 2000 beträgt er 67,7 Prozent, das entspricht mehr als 350 Milliarden Tonnenkilometern. 2012 sind es bereits 450 Milliarden. Gleich mehrere Effekte sind dafür verantwortlich. Am wichtigsten dürfte die Entwicklung weg von Massengütern wie Stahl hinzu hochwertigem Stückgut sein. Zudem ist die Wirtschaft weitaus arbeitsteiliger und internationaler organisiert. Rund die Hälfte des deutschen Außenhandels findet mit den Mitgliedsstaaten der EU statt – in idealer Lkw-Entfernung also.
Was Ökonomen freut, ist für Klimaschützer ein Gräuel. Schwere Lkw verursachen mittlerweile rund 17 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Europa. Und der Verkehr wächst weiter: Um zirka 30 Prozent steigt das Aufkommen bis 2040, schätzt Anders Nielsen, Vorstandsvorsitzender der Nutzfahrzeug-Sparte von MAN. Das Wachstum könne nicht mehr über einfache technische Maßnahmen kompensiert werden, so der Schwede. Zwar ist das Kraftstoffsparen seit je Begehr des Spediteurs, da die Kraftstoffkosten noch vor den Anschaffungskosten und dem Fahrerlohn den größten Anteil an den Lebenszykluskosten ausmachen. So sank seit 1960 der Verbrauch pro Tonnenkilometer um mehr als 60 Prozent. Doch weiteren Einsparungen sind enge legislative, wirtschaftliche und technische Grenzen gesetzt. „Eine weitere Einsparung um 20 bis 30 Prozent funktioniert nicht allein über die Optimierung der Zugmaschine“, erläutert Wolfgang Bernhard, für das Lkw-Geschäft beim Weltmarktführer Daimler verantwortlich. Elektrotraktion und Brennstoffzellenantrieb brächten in den nächsten Jahren keine Entlastung. „Wir sehen für den schweren Lkw keine Technologie am Horizont, die als Alternative zum Dieselmotor taugt.“
„Monstertruck“-Zwischenbericht zu IAA?
Hoffnungslos ist die Situation allerdings nicht, denn die Hersteller erproben verschiedene Ansätze zur Verbrauchsreduktion. Eine der wichtigsten dürfte der Lang-Lkw darstellen. Die in der Öffentlichkeit immer wieder als „Monstertrucks“ kritisierten Lastzüge dürfen eine Länge von 25,25 Meter haben, sechseinhalb Meter mehr als eigentlich gesetzlich vorgeschrieben. Seit 2012 werden per Ausnahmeverordnung 69 Züge in einem von der Bundesanstalt für Straßenwesen durchgeführten Feldversuch erprobt.
Auch wenn die Ergebnisse erst für 2016 erwartet werden, so soll es im IAA-Umfeld doch eine Art Zwischenbericht geben. Und der lässt Umweltschützer aufhorchen: Im Durchschnitt sinkt der Verbrauch je Tonnenkilometer um 20 Prozent, bei Volumentransporten sogar um bis zu 30 Prozent. Die Langlaster ließen sich problemlos in den Straßenverkehr integrieren, berichtet VDA-Präsident Matthias Wissmann. Bislang habe sich kein einziger Zwischenfall ereignet. Verbesserungen in ähnlicher Größenordnung sind auf technischem Weg – etwa durch den Einsatz rollwiderstandsärmerer Reifen – nicht zu erreichen. Eventuell aber durch bessere Schulung der Fahrer. Zwischen dem besten und dem schlechtesten Fahrer, so Bernhard, lägen trotz automatisierter Getriebe noch immer 20 Prozent Verbrauchsunterschied.
Hinter den Kulissen wurde lange Zeit auch über CO2-Grenzwerte für schwere Lkw diskutiert. Dabei standen EU-Politiker vor den gleichen Problemen wie die Lkw-Hersteller. Denn Fahrzeug, Fahrzyklus und damit auch der Verbrauch unterscheiden sich zwischen einem Muldenkipper im Baustelleneinsatz und einem Fernverkehrs-Lkw erheblich. Geprüft wird unter anderem ein Verfahren, bei dem nur der Motor auf dem Prüfstand vermessen wird – ähnlich wie es heute bereits für die Messung von Abgasschadstoffen erfolgt. In einem zweiten Schritt könnte dann der Gesamtfahrzeugverbrauch mit einem Simulationsprogramm errechnet und für den Fahrzeugkäufer ausgewiesen werden. Von starren Grenzwerten scheint die EU-Kommission Abschied genommen zu haben.
Autonom fahren
Vielleicht aber werden die Lehrgänge zu verbrauchssparender Fahrweise, die nahezu alle Fahrzeughersteller anbieten, bald obsolet. Denn bis 2025 will Daimler den ersten autonom fahrenden Schwer-Lkw auf den Markt bringen. Wie der aussehen soll, präsentiert das Unternehmen mit der Studie „Future Truck“ bereits auf der IAA. Fahrbereite Prototypen, der Öffentlichkeit bereits auf der A14 in Magdeburg präsentiert, halten mit Hilfe eines „Highway Pilot“ genannten Systems den Lkw immer in der Spur. Kamera-, Karten- und Satellitendaten werden so fusioniert, dass das Fahrzeug Längs- und Querführung völlig selbständig übernimmt. Der Fahrer kann den Sitz um 45 Grad schwenken und derweil andere Aufgaben übernehmen – sich zum Beispiel mit der Logistikplanung beschäftigen. Eingreifen muss er nur, wenn ein deutlich langsameres Fahrzeug überholt werden soll. Denn im autonomen Modus bleibt der Lkw immer auf der rechten Spur.
Für den Fuhrunternehmer könnte der autonome Lkw durch geringere Kraftstoffkosten und gewonnene Fahrer-Arbeitszeit durchaus zum „Business Case“ werden. Eigentliches Ziel der Fahrzeughersteller ist es jedoch, die Sicherheit deutlich zu steigern. „Wir müssen Lkw-Unfälle in jedem Fall vermeiden“, sagt Bernhard und rechnet vor, dass ein 40-Tonner bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 80 km/h die gleiche kinetische Energie besitzt wie ein Pkw, der mit 400 km/h in ein Stauende rasen würde. Zwar sind die Unfälle mit Todesfolge, an denen Lkw beteiligt sind, seit dem Jahr 2000 in Europa um 60 Prozent gesunken, doch von der „Vision Zero“ ist die Branche noch weit entfernt.
Auch Wettbewerber Scania arbeitet am autonomen Lkw, setzt dabei jedoch vor allem auf „Platooning“. Gemeint sind Lastwagen, die über eine virtuelle Deichsel – also über WLAN – miteinander verbunden sind. Ein großer Vorteil dabei ist, dass der Abstand zwischen den Fahrzeugen sehr gering gehalten werden kann. Ähnlich wie bei einem Radrennen erfährt nur das Führungsfahrzeug den vollen Luftwiderstand. Durch das Windschattenfahren sind bis zu fünf Prozent weniger Verbrauch möglich – keine Schätzung, sondern reale Messungen von Scania. In dem europäischen Forschungsprojekt „Companion“ erproben die Schweden nun das Ein- und Ausfädeln aus dem Konvoi, regelungstechnisch eine Herausforderung. Im Herbst 2016 sollen die ersten Test-Konvois auf spanischen Autobahnen unterwegs sein. Ziel des Projekts ist es auch, der EU-Kommission Empfehlungen an die Hand zu geben, um den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand neu zu regeln.
Rangieren per Fernsteuerung
Eine ganz andere Anwendung für autonomes Fahren führte der Zulieferer ZF im Vorfeld der IAA auf einem Prüfgelände vor: Um das Rangieren auf Betriebshöfen zu erleichtern, steigt der Lkw-Fahrer der Zukunft aus und dirigiert das Fahrzeug auf einem Tablet mit dem Finger an den gewünschten Ort. Das Fahrzeug fährt dabei nahezu geräuschlos elektrisch.
Technisch stecken drei vernetzte Systembausteine hinter der Funktion: Erstens ist in das Traxon-Getriebe ein Hybridmodul integriert, dessen elektrische Maschine bis zu 1000 Newtonmeter Drehmoment aufbringt – und sehr exakt dosieren kann. Hinzu kommt zweitens eine elektrische Überlagerungslenkung, die im Normalbetrieb vor allem der Unterstützung der hydraulisch arbeitenden Servolenkung dient. Sie kann allerdings ausreichend hohe Kräfte aufbringen, um das Fahrzeug im Rangierbetrieb auch alleine zu lenken. Dritter Baustein ist eine „Connectivity“-Einheit, die für die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Tablet sorgt. Sie ist zudem mit den Sensoren verbunden, die den Knickwinkel an Auflieger und Anhänger aufnehmen. Die Kommunikation zum Tablet erfolgt über kleine Funkchips, die mit dem Bluetooth-Low-Energy-Standard arbeiten. Der Nutzen des Hybridmoduls erstreckt sich nicht nur auf das Parkieren: Im Fernverkehrseinsatz sind durch die Unterstützungsfunktion der E-Maschine laut ZF rund fünf Prozent Kraftstoff einzusparen.
Kleiner geht auch
So dominierend der schwere Lkw in den IAA-Messehallen auch wirkt: Einen Wachstumsmarkt stellen die kleinen Transporter ebenfalls dar. Ford-Geschäftsführer Bernd Mattes will sogar beobachtet haben, dass Transporter immer häufiger im Überlandverkehr eingesetzt werden. Hintergrund sei der Trend zum Handel über das Internet, der eine hohe Flexibilität bei der Belieferung erfordere. Auf 500 Milliarden Dollar schätzt Mattes den globalen Online-Handel im Jahr 2013 – Tendenz stark wachsend.
Die CO2-Emissionen für Transporter sind seit letztem Jahr in der EU ähnlich geregelt wie im Pkw-Bereich. In Stufen wird der Flottengrenzwert bis zum Jahr 2020 auf 147 Gramm CO2 pro Kilometer abgesenkt. Der firmenindividuelle Grenzwert hängt von dem Durchschnittsgewicht der verkauften Fahrzeuge ab. Noch größeren Druck machen einige Flottenbetreiber. So will die Deutsche Post, die immerhin 55.000 Fahrzeuge im Einsatz hat, bis 2020 ihren CO2-Ausstoß um 30 Prozent verringern. Und die Deutsche Telekom (46.000 Fahrzeuge) hat sich mit 110 Gramm pro Kilometer sogar ein eigenes Flotten-Emissionsziel gesetzt.
Elektrifizierung im Stadtlieferbetrieb
Technisch ist die Elektrifizierung vor allem im reichweitenbegrenzten Stadtlieferbetrieb durchaus zu realisieren. So betreibt Volkswagen Nutzfahrzeuge eine „Erfahrungsflotte“ mit realen Kunden, die eine Elektroversion des Caddy gestellt bekommen. Eckhard Scholz, Sprecher des Markenvorstands, sieht dennoch keinen wirtschaftlichen Einsatz: „Die Einsparungen durch den niedrigen Strompreis kompensieren im Alltagsbetrieb den derzeit zu hohen Anschaffungspreis noch nicht.“
Den Weg zu wirtschaftlicheren batterieelektrischen Lieferfahrzeugen will die RWTH Aachen aufzeigen: Das Institut für Kraftfahrwesen stellte kürzlich die Ergebnisse des Verbundforschungsprojektes „Deliver“ vor. Entstanden ist ein vollständig elektrischer Kleinlieferwagen mit einer Nutzlast von 700 Kilo. Er bietet 18 Prozent mehr Ladekapazität als konventionelle Fahrzeuge, weil er konsequent auf den elektrischen Antrieb hin gebaut wurde. So sitzen die Elektromotoren in den Radnaben. Möglich ist eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. Auf B-Säulen wurde verzichtet, um das Ein- und Aussteigen auf beiden Seiten zu erleichtern. Vielleicht ist der Umstieg auf Elektromobilität so ein Stück realistischer geworden. Kurzfristig wird er die Emissionen aus dem Straßengüterverkehr jedoch kaum mildern. Effektiver wäre es nach Meinung der Fahrzeughersteller, erst einmal die Flotten zu erneuern. Auf der IAA 2014 haben Fuhrparkbetreiber die Gelegenheit dazu: Mehr als 2000 Aussteller erwartet der Veranstalter in Hannover.