Studie zur Prozessgestaltung Zehn Richtlinien für zukunftsfähige Produktionssysteme

Die Studie ist Teil der Forschungsarbeiten im Future Work Lab und basiert auf einer zweistufigen Erhebung.

Bild: Fraunhofer IPA
04.05.2021

Digital, lean und menschzentriert: Zehn Richtlinien für die Gestaltung zukunftsfähiger Produktionssysteme haben Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA entworfen. Ihre praktischen Anforderungen an die Gestaltung von Methoden und Werkzeugen bieten einen konkreten Handlungsrahmen für Manager und Fabrikbetreiber.

Die Digitalisierung verändert die Produktion. Sie markiert unter dem Stichwort Industrie 4.0 eine Zäsur. Welche Rolle spielen der Mensch und Lean Production in der Gestaltung von Produktionssystemen mit neuen Industrie-4.0-Technologien? Welche Anforderungen werden an die Gestaltung gestellt und wie wirkt sich die Digitale Transformation auf die einzelnen Ebenen Ganzheitlicher Produktionssysteme aus?

Zu diesen und weiteren Fragen wurden zahlreiche Experten aus der Praxis in der vom Fraunhofer IPA erstellten Studie befragt.

Mit Lean und Industrie 4.0 zu Flexibilität

Eines zeigt die Fraunhofer-Studie klar: Die Digitale Transformation rüttelt nicht an den Grundsätzen der Ganzheitlichen Produktionssysteme (GPS). „Das unternehmensspezifische methodische Regelwerk, das der kontinuierlichen Orientierung aller Unternehmensprozesse am Kunden dient, gilt weiter, zumal die Ganzheitlichen Produktionssysteme in Deutschland als Industriestandard etabliert sind“, resümiert Simon Schumacher, Projektleiter des Future Work Lab und Hauptautor der Studie.

Die Methoden der Lean Production werden also weiter die Abläufe in den Fabriken bestimmen. Allerdings entwickeln sie sich im Verbund mit einer zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung stetig fort. Ziel dieses Wandels ist es, die Produktion flexibler zu gestalten. Ein Unternehmen soll rasch auf Kundenwünsche eingehen können, auch auf sehr spezielle.

Industrie 4.0 macht es sogar möglich, Einzelanfertigungen zum Preis von Massenware herzustellen. Dabei hilft, dass das Fließband künftig nicht mehr das Maß aller Dinge ist. In der Fabrik der Zukunft kann die herkömmliche Linienfertigung mit Band und Takt aufgelöst werden, bei reduzierten Kosten.

Kooperatives Datenmanagement

Das gelingt freilich nur mit einem guten Datenmanagement. Es muss gewährleistet sein, dass alle Daten von jeder Maschine und jedem Vorgang stets verfügbar sind. Mehr noch: Künftig genügt nicht die Optimierung der eigenen Produktionsabläufe. Ein Unternehmen muss auch über den Tellerrand schauen und die Daten seiner Kunden und Zulieferer in seine Abläufe integrieren. Schumacher spricht von „End-to-End-Prozessen ohne Systembrüche“. Die Vernetzung geht also weit über den eigenen Maschinenpark hinaus.

Toolbox und Use Cases

All das erhöht die Komplexität in der Produktion enorm. Um die Abläufe dennoch beherrschen zu können, sind Hilfen für das Industrial Engineering nötig. Das ist ein wichtiges Ergebnis der Studie. Ein Werkzeugkasten muss her. Eine Toolbox soll es ermöglichen, Probleme nach standardisierten Verfahren zu lösen.

Bei jeder Veränderung von Abläufen oder an Maschinen gibt die gut strukturierte Toolbox Hinweise, was zu tun ist. Voraussetzung: Sie muss leicht zu handhaben und möglichst intuitiv bedienbar sein. Bestandteil der Toolbox sollten auch Anwendungsbeispiele, sogenannte Use Cases, sein.

Die Forschungsgruppe Umsetzungsmethoden für die Digitale Produktion will im Sommer einen Industriearbeitskreis „Ganzheitliche Produktionssysteme 4.0“ gründen, in dem die Ausgestaltung einer solchen Toolbox praktisch mit Expertinnen und Experten aus dem Industrial Engineering durchgeführt wird.

Zweistufige Studie

Die Studie ist Teil der Forschungsarbeiten im Future Work Lab und basiert auf einer zweistufigen Erhebung. Am ersten Teil der Umfrage, einer Web-Survey, beteiligten sich 73 Fachleute. Dabei wurden sieben allgemeine Hypothesen aus der Forschung in der Praxis überprüft.

Die wichtigsten Ergebnisse aus dem Web-Survey

  1. Lean Production ist eine notwendige Grundlage für die Gestaltung von Produktionssystemen mit neuen Industrie-4.0-Technologien.

  2. Die Weiterentwicklung von Produktionssystemen muss in einem integrierten Ansatz aus Lean Production und Industrie 4.0 geschehen.

  3. Alle Ebenen der GPS unterliegen Veränderungen, wobei der Einfluss der Digitalen Transformation auf Methoden und Werkzeuge am größten ist.

  4. Die GPS-Struktur ist geeignet für die Gestaltung bestehender und zukünftiger Produktionssysteme.

Im zweiten Teil hat das Projektteam 18 ausführliche Interviews mit Fachleuten aus produzierenden Unternehmen geführt. „Unsere Studie gibt Einblicke in den aktuellen Stand der Gestaltung von Produktionssystemen führender deutscher Unternehmen aus der Automobilindustrie sowie dem Maschinen- und Anlagenbau.

Dabei konnten unsere Hypothesen aus der Forschung weitestgehend durch die Industrie bestätigt werden. Unternehmen berichten darüber hinaus, mit der Kombination aus Industrie 4.0 und Ganzheitlichen Produktionssystemen jährliche Verbesserungen im zweistelligen Prozentbereich erzielen zu können“, so Schumacher.

Die wichtigsten Ergebnisse aus den Experteninterviews

  1. Der Ordnungsrahmen Ganzheitlicher Produktionssysteme wird für die Gestaltung zukünftiger Produktionssysteme evolutionär weiterentwickelt.

  2. Der Erfolg Ganzheitlicher Produktionssysteme ist abhängig von der Einbindung der Mitarbeitenden und der Berücksichtigung individueller menschlicher Bedürfnisse.

  3. Die Gestaltung zukunftsfähiger Produktionssysteme muss Rollen und Prozesse für das Datenmanagement umfassen, um Transparenz und datenbasierte Optimierung zu ermöglichen.

  4. Im Industrial Engineering steigt die Komplexität durch neue digitale Methoden und Werkzeuge, die in einer Toolbox systematisch abgebildet, erprobt und ausgerollt werden müssen.

Weitere Forschungsaktivitäten zur Produktionsarbeit der Zukunft werden am Fraunhofer IPA im neuen Leit- und Zukunftsthema „Technologien für die menschzentrierte Produktion“ gesammelt, das Simon Schumacher für das IPA koordiniert.

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