Erklärung atomarer Prozesse 200-mal bessere Katalysatoren durch Kohlenstoff

Weniger Edelmetall, mehr Kohlenstoff: Ein Nanopartikel aus Silber (spiegelnde Atome oben) wird auf einem Kohlenstoff-Träger viel aktiver. Das betrifft besonders die Positionen des Grenzbereichs (farbige Markierungen).

Bild: TU Wien
12.11.2024

Werden Metall-Nanopartikel auf Kohlenstoff platziert, werden sie aktiver – bislang handelte es sich dabei nur um eine Vermutung. Forscher an der TU Wien haben jetzt erstmals die Prozesse im Detail erklären können. Für die Chemieindustrie bedeutet das: teure Edelmetalle durch günstigen Kohlenstoff auszutauschen.

Edelmetalle wie Silber, Platin oder Palladium spielen in der chemischen Industrie eine wichtige Rolle als Katalysatoren. Oft werden sie in Form winziger Nanopartikel eingesetzt. Wie gut sie wirken, hängt allerdings auch vom Untergrund ab, auf dem sie platziert werden.

Nanopartikel auf einer Kohlenstoff-Unterlage scheinen besonders gut zu funktionieren – der Grund dafür war aber lange Zeit unbekannt. An der TU Wien ist es nun erstmals gelungen, das Zusammenspiel von Metall-Nanopartikeln und Kohlenstoff-Untergrund präzise zu vermessen und zu erklären. Silber-Atome auf einem Kohlenstoff-Träger stellten sich dabei als 200-mal aktiver heraus als Atome in einem Stück reinen Silbers.

Von Magie zu Wissenschaft

Wie Computersimulationen zeigen, ist vor allem die Zone entscheidend, in der das Silber in direkten Kontakt mit dem Kohlenstoff gerät. Mittels Wasserstoff-Isotopenaustausch entwickelten die Forscher eine Methode, Katalysator-Träger schneller und einfacher auf ihre Effektivität zu testen.

„Der Einsatz von Kohlenstoff als Trägermaterial für die Katalyse hatte lange Zeit fast etwas Magisches“, sagt Prof. Günther Rupprechter vom Institut für Materialchemie der TU Wien. Die Herkunft des Kohlenstoffs stellte sich als wichtig heraus: Für manche Prozesse setzte man etwa Kohlenstoff ein, der aus Kokosnussschalen, -fasern oder speziellen Hölzern gewonnen wurde. Sogar in offiziellen Patentschriften sind solche „Rezepturen“ zu finden – dabei sollte die Herkunft chemischer Substanzen doch eigentlich relativ egal sein. „Es erschien immer ein bisschen wie schwarze Kunst“, sagt Rupprechter.

Die Idee dahinter war, dass unterschiedliche Herstellungsmethoden zu minimalen chemischen oder physikalischen Unterschieden führen könnten. Vielleicht ordnet sich der Kohlenstoff je nach Herstellungsart auf unterschiedliche Weise an? Vielleicht enthält er Spuren anderer chemischer Elemente? Oder an der Oberfläche lagern sich funktionale Gruppen an – kleine molekulare Bausteine, die in die chemische Reaktion eingreifen?

„In der chemischen Industrie gibt man sich naturgemäß oft damit zufrieden, dass ein Prozess funktioniert und man ihn zuverlässig wiederholen kann“, erklärt Rupprechter. „Wir wollten der Sache aber auf den Grund gehen und auf atomarer Ebene genau verstehen, was hier eigentlich vor sich geht.“ Neben Rupprechters Team war auch das das Zentrum für Elektronenmikroskopie der TU Wien und die Universität Cádiz in Spanien beteiligt.

Präzisionsmessungen in Mikroreaktor

Das Team stellte zunächst extrem präzise charakterisierbare Proben her: Silber-Nanopartikel bekannter Größe auf einem Kohlenstoff-Untergrund und eine dünne Silberfolie ohne Kohlenstoff. Beide Proben wurden dann in einem chemischen Reaktor untersucht.

„Silber kann eingesetzt werden, um Wasserstoffmoleküle in einzelne Wasserstoffatome zu zerlegen“, erklärt Thomas Wicht, Erstautor der Studie. „Dieser Wasserstoff kann dann zum Beispiel für die Hydrierungsreaktion von Ethen verwendet werden. In analoger Weise kann man aber auch ‚gewöhnliche‘ Wasserstoffmoleküle mit Molekülen aus schwerem Wasserstoff (Deuterium) mischen. Beide Moleküle werden dann durch das Silber dissoziiert und neu kombiniert.“

Je aktiver der Katalysator, umso häufiger kommt es zum Austausch der beiden Wasserstoffisotope. Daher kann man auf diese Weise sehr zuverlässig Auskunft über die Katalysatoraktivität erhalten.

Der Aktivitätsunterschied zwischen Silberatomen mit und ohne Kohlenstoff-Träger ließ sich somit zum ersten Mal genau quantifizieren. „Pro Silberatom erreicht man durch den Kohlenstoff-Untergrund eine 200-fach höhere Aktivität“, sagt Wicht. „Das ist natürlich für industrielle Anwendungen sehr wichtig. Man braucht nur ein Zweihundertstel der Menge an teuren Edelmetallen, um dieselbe Wirkung zu erzielen – und das einfach, indem man vergleichsweise kostengünstigen Kohlenstoff dazu nimmt.“

Spannender Effekt an der Grenze

Alexander Genest aus dem TU-Team führte entsprechende Computersimulationen durch, die die Aktivierung von Wasserstoff durch Silber-Nanopartikel auf Kohlenstoff und reinem Silber vergleichen. Dadurch wurde klar: Entscheidend ist die Grenzregion zwischen Silberpartikel und Kohlenstoff-Träger. Genau dort, wo beide in Kontakt treten, ist die Katalysator-Wirkung am größten.

„Es liegt also nicht an der Größe der Kohlenstoff-Oberfläche oder an irgendwelchen Fremdatomen oder funktionalen Gruppen“, sagt der Forscher. „Eine extreme katalytische Wirkung tritt dann auf, wenn ein Molekül direkt an der Kontaktstelle sowohl mit einem Kohlenstoff- als auch mit einem Silberatom in Berührung kommt.“ Je größer dieser Bereich des direkten Kontakts, umso größer auch die Aktivität.

Durch diese Erkenntnis lassen sich nun auch unterschiedliche Kohlenstoff-Chargen aus mehreren Quellen recht einfach auf ihre Wirksamkeit überprüfen. „Jetzt, wo wir den Wirkungsmechanismus verstanden haben, wissen wir genau, worauf man achten muss“, erklärt Rupprechter. „Unser Experiment, bei dem wir die Katalysatoren einer Mischung aus gewöhnlichem und schwerem Wasserstoff aussetzen, ist relativ einfach durchzuführen und es gibt sehr verlässlich darüber Auskunft, ob diese Variante des Kohlenstoff-Trägers auch für andere chemische Reaktionen geeignet ist oder nicht.“

Die Abläufe auf atomarer Ebene erklären zu können, soll nun im industriellen Einsatz Zeit und Geld sparen und die Qualitätssicherung vereinfachen.

Bildergalerie

  • Das Team der TU Wien (von links): Günther Rupprechter, Andreas Steiger‑Thirsfeld, Michael Stöger‑Pollach, Alexander Genest, Thomas Wicht und Thomas Haunold

    Das Team der TU Wien (von links): Günther Rupprechter, Andreas Steiger‑Thirsfeld, Michael Stöger‑Pollach, Alexander Genest, Thomas Wicht und Thomas Haunold

    Bild: TU Wien

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