Derzeit ist das Design und Engineering von verfahrenstechnischen Anlagen exakt auf die jeweilige Aufgabe zugeschnitten: Produktion eines Erzeugnisses in Stück/Zeiteinheit oder Durchsatz eines Stoffes in Menge/Zeiteinheit. Die mechanische Ausführung einer Gesamtanlage soll die Spezifikation erfüllen und die gewünschten Leistungsdaten über den projektierten Lebenszyklus gewährleisten. Für die zugehörige Automation kommen Leitsysteme mit prozessnahen (Steuerungs-)Komponenten, Bedien- und Beobachtungsstationen und Engineeringstationen zum Einsatz. Der gesamte verfahrenstechnische Prozess wird zentral von einem Leitsystem gesteuert.
Für Änderungen/Optimierungen des Prozessablaufs, auch von Teilprozessen, sind detaillierte Kenntnisse der gesamten Applikationssoftware erforderlich. Eine vom Anlagenbetreiber gewünschte Erweiterung der Produktionskapazität kann nicht oder nur aufwendig realisiert werden und resultiert häufig im Bau einer neuen Anlage. Auch die Produktionskapazität zu verringern, ist problematisch: Das kann Auswirkungen auf die Produktqualität haben und die Rentabilität der Anlage beeinträchtigen. Wartung und Instandhaltung derartiger Anlagen stellen besondere Herausforderungen an den Betreiber, zum Beispiel eine sich jährlich wiederholende Unterbrechung eines kontinuierlichen Prozesses, einen sogenannten Shutdown.
Insbesondere in den Industriesegmenten Biotech/Pharma, Feinchemie, Nahrungsmittel & Getränke und Wasseraufbereitung fordern die Märkte zunehmend kurze Produktentwicklungszeiten und zugleich individualisierte Produkte. Daraus resultieren wesentlich veränderte Anforderungen an Design und Engineering verfahrenstechnischer Anlagen. Die erforderliche Flexibilität wird durch konsequente Modularisierung erreicht: durch die Aufgliederung einer Gesamtanlage in funktionale Einheiten. Über die Kombination solcher Produktionsmodule werden spezifische Prozessanlagen zusammengestellt. Durch Hinzufügen von Modulen sind sie nahezu beliebig erweiterbar und können somit unmittelbar an Markt- und Produktionserfordernisse angepasst werden. Kapazitätserweiterungen erfolgen über Numbering-up anstatt durch Scale-up. Durch die Möglichkeit, Produktionsmodule aus dem laufenden Produktionsprozess temporär herauszulösen, hat das modulare Konzept auch positive Auswirkungen auf den Betrieb und die Instandhaltung von verfahrenstechnischen Anlagen.
Beispiel: Modulare Wasserfiltrationsanlagen
Die herkömmliche Ausführung einer Wasserfiltrationsanlage weist Ventile, Pumpen, Behälter, Filtermodule, Sensoren und Rohre auf. In einem Schaltschrank sind die erforderlichen Komponenten zur Ansteuerung der Feldgeräte montiert und eine Ventilinsel als Remote-IO-System mit integriertem Pneumatikteil ist über einen Feldbus mit einer zentralen Steuerung mit Visualisierung (Leitsystem) verbunden. Derartige Anlagen können auf einfache Art und Weise modularisiert werden: der verfahrenstechnische Prozess wird in Teilprozesse zerlegt und für jeden Teilprozess wird ein Modul definiert, das alle mechanischen und automatisierungstechnischen Komponenten enthält, die für einen autarken Betrieb erforderlich sind.
Gleichermaßen wird die Automatisierung modularisiert: die Schaltschrank-Komponenten und die „zentrale Intelligenz“ – die verfahrenstechnische Applikations-Software – werden so aufgeteilt, dass die Module mit eigenen Controllern, Remote-IO-Komponenten und Pneumatikansteuerungen ausgestattet sind. Jedes Modul stellt dabei seine spezifische Funktionalität gekapselt an einer Datenschnittstelle zur Verfügung, das heißt, Betriebsart, Status, Prozessmesswerte, Alarme und sonstige Eigenschaften können nach der Zusammenschaltung von Modulen zu einer verfahrenstechnischen Anlage gelesen/geschrieben werden, um somit die Funktionalität der Gesamtanlage zu realisieren. Für die Koordination der Modulfunktionalitäten im Gesamtsystem, also die Führung des verfahrenstechnischen Prozesses, ist ein Prozess-Managementsystem erforderlich, das im Vergleich zu herkömmlichen Leitsystemen einen reduzierten Funktionsumfang aufweist, weil die prozessnahen Steuerungsfunktionen in den autarken Modulen realisiert sind.
Flexible Automatisierung
Mithilfe derartiger Module lassen sich jeweils kundenspezifische Anlagen in beliebigen Ausprägungen aufbauen, nämlich durch das Hinzufügen von bau- und funktionsidentischen Modulen: Numbering-up statt Scale-up.
Ventilinseln sind ideale Komponenten für die Automatisierung von modularen Anlagen, da hier in kompakter Bauweise die erforderlichen Funktionen integriert sind:
Controller für die Applikationssoftware eines Moduls (IEC 61131 / Codesys)
Remote-IO für den Anschluss von binären Signalen und analogen Messgrößen
Pneumatikteil für die Ansteuerung von Aktoren
Schließlich kann eine Ventilinsel mit der entsprechenden Schutzklasse IP65/IP67 ohne Schaltschrank direkt im Feld – im Anlagengestell – montiert werden.
Die oben gezeigte Ausführung der Modularisierung wurde konsequent für Wasserfiltrationsanlagen umgesetzt und kann sinngemäß für verfahrenstechnische Prozesse und Anlagen anderer Industriesegmente angewendet werden. Nicht nur die Anlagenbetreiber profitieren von der Flexibilität der Modularen Automation hinsichtlich der Anpassung von Anlagengrößen an unterschiedliche Produktionserfordernisse. Auch die Anlagenhersteller profitieren vom modularen Konzept:
Module sind exakt definierte Einheiten mit gut überschaubarer Funktionalität.
Module werden mit ihrer spezifischen Applikationssoftware ausgestattet und dies bedeutet eine Reduzierung der jeweiligen Software-Komplexität.
Module sind bezüglich ihrer Funktionalität einfach zu ändern/zu erweitern.
Module können in Kleinserien hergestellt und vor Auslieferung komplett getestet werden.
Kundenspezifische Gesamtsysteme werden aus verschiedenen baugleichen Modulen zusammengestellt – Numbering-Up.
Module werden mit Codesys gemäß IEC 61131, keine Lizenzkosten, programmiert, das bedeutet Unabhängigkeit bei der Auswahl der Automatisierungshardware.
Die modulare Automation wird im Kontext mit „Industrie 4.0“ und basierend auf der Namur-Empfehlung „NE 148“ grundlegende Veränderungen für das Design und Engineering von verfahrenstechnischen Anlagen bewirken. Modularisierung wird nicht für alle Industriesegmente beziehungsweise jeden verfahrenstechnischen Prozess möglich sein, aber die technische Ausführung jeder Anlage sollte im Hinblick auf modulare Konzepte überprüft und beurteilt werden.