Über 66.000 m² hinweg erstreckt sich Festos Technologiefabrik im baden-württembergischen Ostfildern-Scharnhausen, in der der Automatisierungsspezialist Ventile, Ventilinseln und Elektronik fertigt. Auf drei Ebenen arbeiten hier über 1.200 Mitarbeiter. Ein gigantisches Unterfangen, das das Unternehmen bis zur Eröffnung im September 2015 gestemmt hat.
Dabei standen schlanke und energieeffizente Prozesse – neben einer nachhaltigen und umweltbewussten Produktion – ganz oben auf der Bauagenda. Wertstromoptimierung lautete das zentrale Konzept. Verteilten sich unterschiedliche Komponenten und Fertigungsschritte bis dato oft auf unterschiedliche Produktionsstandorte im In- und Ausland, sollen diese nun in der Scharnhauser Technologiefabrik gebündelt werden.
„Bei der Produktion des pneumatischen Minischlittens DGSL haben sich die gesamten Transportwege von 32 km auf nur noch 240 Meter reduziert, weil wir alle Prozessschritte jetzt an einem einzigen Standort durchführen“, erklärt Stefan Labonde, der in der Fabrik das Materialmanagement leitet. Die Durchlaufzeiten für den Schlitten konnten so um 66 Prozent verbessert werden.
Das Lager denkt mit
Dass der Wertstrom im Fluss bleibt, Engpässe vermieden werden, dafür sorgt auch ein zentrales, vollautomatisches Lager. 20.000 Komponenten, die sich zu unzähligen Varianten kombinieren lassen, werden in 20 m hohen Regalen gelagert. Routenzüge mit hoher Packdichte werden automatisch beladen und liefern täglich 2.000 bis 3.000 Bestellungen aus. Bei geringer Nachfrage verlangsamt die Auslieferung automatisiert die Geschwindigkeit, damit kein Leerlauf entsteht.
Alle Produkte lassen sich über Datenmatrix-Codes zurückverfolgen, die bereits in der Vorfertigung angebracht werden. Eine ausgeklügelte IT erhebt eine Vielzahl von Daten aus dem Fertigungsprozess, sodass sich der aktuelle Aufgabenstatus ermitteln lässt. Davon profitieren Mitarbeiter aus der Fertigung ebenso wie das Maintenance-Team, das für die maximale Maschinenverfügbarkeit zuständig ist.
„Jeder von uns hat ein Tablet dabei“, erklärt Florian Fuchs von der Instandhaltung. „Uns werden nicht nur detaillierte Störungsverläufe angezeigt und priorisiert, das Programm läuft auch im Echtzeitmodus und berechnet, wann die nächste Instandhaltung fällig wird.“ Digitalisierung und Vernetzung ziehen sich so durch die gesamte Fabrik.
Flexible Zellen
Besonders ausgeprägt sind sie im modularen Automatisierungskonzept, das zum Beispiel bei der Fertigung der Ventile der VUVG-Reihe zum Einsatz gelangt. Die voll automatisierte Produktionslinie ist dabei in mehrere Zellen unterteilt, in denen sich zwei, vier oder sechs Prozessstationen befinden. Stationen und Zellen können flexibel kombiniert und erweitert werden. 70 verschiedene Ventile entstehen hier in Taktzeiten von 13 Sekunden, in zwei Linien kommen auf diese Weise über 2,5 Mio. Einzelstücke pro Jahr zusammen.
Doch nicht jede Kundenanfrage ist mit hohen Stückzahlen verbunden. Oft sind auch geringe Losgrößen und an spezielle Bedarfe angepasste Einzellösungen gefragt. „Üblich sind geringe Stückzahlen zum Beispiel im Schaltschrankbau für Food & Beverage oder die Automobilbranche“, erklärt Carsten Titze vom Leistungszentrum für Kundenlösungen. In der Technologiefabrik werden so auch einzelne komplett montierte Schaltschränke zusammengesetzt und geliefert. In der Vormontage und Montage ist dabei immer ein Mitarbeiter zuständig für den reibungslosen „One Piece Flow“. Komplikationen lassen sich vermeiden, indem die Schränke immer gleich aufgebaut sind – und auch die jeweiligen Komponenten stets an denselben Stellen sitzen.
Faktor Mensch
Wer sich in der Fabrik umsieht, stellt schnell fest, dass sich an verschiedenen Stellen Freiraum findet, dass die Räumlichkeiten auch nach der Eröffnung keineswegs komplett ausdefiniert sind. Kein Zufall: Bewusst wurden in der Planungsphase Wachstumsmöglichkeiten vorgesehen. Eine Planung übrigens, in die der „Faktor Mensch“ nicht nur abstrakt mit einberechnet wurde, sondern sich an vielen Stellen aktiv miteinbrachte, wie Sven Seeger, Mitglied des Planungsteams, erklärt.
Im Entwicklungsprozess wurde zunächst ein Fabrikplan als Layout am Computer entworfen und als eine Art digitales Streetview Mitarbeitern zugänglich gemacht. Dies übertrug man über sogenanntes Wrapped Prototyping in über 800 3D-Modelle, die auf drei Ebenen gruppiert wurden. An zentraler Stelle konnten sich Mitarbeiter einen Eindruck verschaffen. „So gab es nach der Eröffnung in der Fabrik für keinen mehr unangenehme Überraschungen“, fasst Sven Seeger zusammen.
Um den Informationsflow unter den Abteilungen zu optimieren, wurden Büro- und Fertigungsbereiche auf drei Ebenen um ein offenes Atrium herum geplant; die zentralen Verwaltungsbereiche der einzelnen Einheiten liegen jeweils an den Fenstern zum Atrium hin. Zwischen den einzelnen Abteilungen herrscht Sichtkontakt. So lässt sich unkompliziert herausfinden, ob der Ansprechpartner am Platz ist – oder ob man ihm besser eine E-Mail schickt. Passenderweise wird das Atrium selbst als gemeinsamer Pausenraum genutzt.
7.500 Stunden Durchlauf
Zentral organisiert ist auch die Energieversorgung. Die 2.300 m², auf denen Pumpen, Kältetechnik und Heizung untergebracht sind, wurden im Hinblick auf die Energieeffizienz vor den anderen Gebäudeteilen geplant. Nach Möglichkeit sollen die Maschinen jeweils 7.500 Stunden im Jahr durchlaufen. Im Blockheizkraftwerk sorgen so dieselben Maschinen, die im Winter heizen, im Sommer für Kühlung. Ein Multifunktionsverteiler reagiert flexibel auf Produktionsengpässe und -hochzeiten.
Ein Mitarbeiter der anderen Art findet sich in der Ventiltechnik: Ein Roboter übernimmt im Rahmen einer Mensch-Roboter-Kooperation das Einpressen von Dichtpatronen – eine besonders unbeliebte Aufgabe. „Wir hatten keine Probleme mit der Akzeptanz innerhalb der Belegschaft“, sagt Standortleiter Stefan Schwerdtle lachend. Dass der Kuka-Roboter die filigranen Bewegungen durchführen kann, verdankt er einer Weiterentwicklung: Festo konzipierte zusammen mit dem iwb Anwenderzentrum Augsburg und den Firmen Müko, Kuka und MRK in enger Kooperation und Abstimmung mit der Berufsgenossenschaft eine Kunststoffhaut mit entsprechender Sensorik. Eine Norm zu seinem Einsatz steht kurz vor der Einführung, Weiterentwicklungen sind vorstellbar.
Think Tanks und Nice Walls
Gut möglich, dass die Anstöße dazu in der Ideenschmiede entwickelt werden: vier unterschiedlich gestaltete Räume, die die Kreativität der einzelnen Abteilungen zum Fließen bringen sollen. Neben einem klassischen Besprechungstisch finden sich dort Einzelarbeitsplätze, aber auch Sofa-Elemente und eine Kaffeeküche. Teams können auf einer sogenannten Nice Wall Ideen sammeln – einer Wand, die auf den ersten Blick wie ein Whiteboard erscheint, aber jede Menge smarte Technik verbirgt: „Stifte“ (eigentlich Mini-Kameras) wechseln per Scan ihre Farbe, Skizziertes wie Notiertes lässt sich in Dateien umformatieren und direkt an den Platz mailen.
Gezielter gestaltet sich die Wissensvermittlung in der sogenannten Lernfabrik. Im Sinne eines holistischen Weiterbildungskonzepts schulen hier erfahrene Praktiker aus dem Unternehmen in Montage, Fertigung, Technologien oder Produkt-Know-how. Das Besondere: Konkrete Trainings lassen sich an verschiedenen Stationen in Minuten und Stunden absolvieren. Flexibel können sie in den Tagesablauf integriert werden, ohne dass gleich ein ganzer Fortbildungstag investiert werden muss.
Auch die Einarbeitungszeit für „Neue“ verkürzt sich. „2015 haben 400 neue Mitarbeiter bei Festo in Scharnhausen angefangen“, erklärt Manfred Zahn von der Lernfabrik die Hintergründe. „Viele davon sind Ferienjobber.“ Großes Hintergrundwissen ist hier nicht unbedingt erforderlich. Oder anders gesagt: Selbst der Wertstrom der Wissensvermittlung wird in der Technologiefabrik mit Augenmaß gehandelt.