Echtzeit-Daten und Bilder aus der Luft können eine wertvolle Hilfe in Katastrophengebieten darstellen. Die Erstellung von Luftaufnahmen in Katastrophengebieten, etwa von überschwemmten Regionen, durch ein automatisiert fliegendes, unbemanntes Luftfahrzeug (UAV/Drohne) spielt bei einem solchen Erkundungssystem eine bedeutende Rolle. Kombiniert mit bodengebundenen Systemen, sollen die gewonnenen Informationen über die Situation im betroffenen Gebiet die Einsatzkräfte vor Ort unterstützen. Alle Daten, die von den Luft- und Bodeneinheiten gesammelt werden, können innerhalb einer gemeinsamen Karte dargestellt und somit für die Einsatzkräfte bereitgestellt werden.
Dieser Thematik haben sich mehrere Wissenschaftler angenommen und gemeinsam ein automatisiertes Erkundungssystem entwickelt. Zu den Beteiligten gehörten die Ingenieure Martin Becker, Simon Batzdorfer und Markus Bobbe vom Institut für Flugführung der Technischen Universität Braunschweig (TUBS) und Jan Schattenberg, Hannes Harms sowie Julian Schmiemann vom Institut für mobile Maschinen und Nutzfahrzeuge, ebenfalls TUBS. Das DLR Raumfahrtmanagement förderte das Projekt der TU-Ingenieure mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie mit rund einer Million Euro. Das Unternehmen AirRobot aus Arnsberg beteiligte sich als weiterer Partner an diesem Projekt.
Hochauflösende Luftaufnahmen
Die Bilder aus der Luft liefert eine Manta-Kamera von Allied Vision an Bord der Drohne „Hugin“. Den Namen der Drohne wählte das Projektteam mit Bedacht. Hugin ist in der nordischen Mythologie einer der Raben Odins, die ausgesandt werden, um über die Erde zu fliegen und alles zu berichten, was sie sehen. Als Auge dient der Drohne Hugin eine GigE-Vision-Kamera Manta G-917 von Allied Visions. Die Kamera enthält einen 1-Zoll-ICX814-Sensor von Sony mit Exview-HAD-II-Technologie und 9,2-Megapixel-Auflösung. Der Sensor zeichnet sich durch hohe Bildqualität und Auflösung aus, sodass die generierten Aufnahmen auch Details am Boden erkennen lassen. Zudem fällt das Gewicht der Manta-Kamera sehr niedrig aus, worauf es den Entwicklern des Systems ebenfalls ankam. Weitere entscheidende Merkmale waren die vorhandene Ethernet-Schnittstelle und der Global Shutter. Hugin sollte möglichst wenig zusätzliches Gewicht tragen müssen, um möglichst lange in der Luft bleiben zu können.
Je nach äußeren Bedingungen kann Hugin mit einer Akku-Ladung bis zu 30 Minuten in der Luft bleiben. Die Reichweite des Kommandolinks der Drohne beträgt etwa einen Kilometer. Ausgestattet mit einer auf Positionsdaten und Lageinformationen basierenden Steuerung, fliegt die Drohne auch bei Böen bis Windlasten von 12 m/s einen vordefinierten Bereich ab. Während des Fluges werden, je nach Anwendung, aus Flughöhen von in der Regel 100 Metern, Einzelbilder gemacht, die dann in der Datenverarbeitung im System zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. Auch wechselnde Lichtverhältnisse sind dank automatischer Belichtungsanpassung handhabbar.
Da eine umfassende Bildvorverarbeitung in der Kamera stattfindet (wie zum Beispiel Bildoptimierung, Belichtungskorrektur, Weißabgleich, Farbkorrekturen, Binning und Decimation), werden bereits aussagekräftige, zweidimensionale Bilder an die am Boden befindliche Bodenstation übermittelt. Dazu wird ein selbstentwickeltes, lokales Kommunikationsnetz genutzt, das basierend auf verschiedenen Kommunikationstechnologien den gezielten Austausch von Nachrichten ermöglicht. In Katastrophenfällen können Einsatzkräfte die Lage anhand der Aufnahmen schneller und besser einschätzen. Da sie sehen können, an welchen Stellen Schutzmaßnahmen ergriffen oder verstärkt werden müssen, können sie erforderliche Schritte in die Wege leiten.
Die Bedienung des Systems muss im Notfall schnell und intuitiv erfolgen. Damit die Einsatzkräfte möglichst wenig Aufwand bei der Steuerung der Drohne haben, ermittelt das System die Flugbahn basierend auf wenigen Parametern. Der verantwortliche Einsatzleiter kann an der Bodenstation des Systems ganz einfach den Bereich, der beflogen werden soll, wählen. Die Flugplanung ergibt sich dann anhand des Öffnungswinkels der Kamera und der notwendigen Überlappung zur photogrammetrischen Verarbeitung. Die Durchführung und (Live-)Auswertung erfolgt anschließend automatisiert. Außerdem kann über die Bodenstation angegeben werden, welche Drohnen angesteuert werden und Bilder oder andere Sensorinformationen liefern sollen.
Erfolgreiche Praxistests sind absolviert
Die Stadtentwässerung Braunschweig sah sich im Sommer 2017 mit einem starken Hochwasser konfrontiert und benötigte dringend Informationen über die aktuelle Wasserstandsituation im Bereich des Okerverlaufs im südlichen Stadtgebiet von Braunschweig. Über einen bestehenden Kontakt bei der Feuerwehr Braunschweig, bat sie das Team der TU Braunschweig um Hilfe.
Ein besonders gefährdetes Gebiet (vom Eisenbütteler Wehr bis zur Volkswagenhalle) wurde überflogen und in einer Vielzahl von Luftbildern dokumentiert. So erlangte die Stadtentwässerung nicht nur Kenntnis darüber, wie sich das Hochwasser ausgeweitet hatte, sie konnte auch nachvollziehen, ob Schutzmaßnahmen, die nach den letzten Überschwemmungen im Jahr 1994 durchgeführt worden waren, nun erfolgreich griffen. Auf Basis der Aufnahmen konnten wichtige Entscheidungen getroffen und Fragen, wie: „Müssen Warnungen ausgesprochen werden, sind Sperrungen erforderlich, an welcher Stelle werden Sandsäcke benötigt, auf welchem Weg sind die Gebiete überhaupt zugänglich?“, beantworten werden. Auch zur Langzeitbeobachtung von Hochwasserschutzmaßnahmen und Überprüfung von Prognosemodellen, möchte die Stadtentwässerung in Braunschweig in Zukunft auf das System der TU Braunschweig setzen.
In einem weiteren Anwendungsfall hat das Braunschweiger Forscherteam Hugin im Bereich Küstenschutz erfolgreich getestet. Auf der ostfriesischen Insel Langeoog entstanden bei einem Überflug aufschlussreiche Luftbilder von Dünen und Deichen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf einer aktuellen Strandaufspülung. Während eines Spülvorgangs wurden zahlreiche Luftbilder von der Stelle gemacht. Den lokalen Verantwortlichen für Küstenschutz demonstrierten diese Bilder deutlich, wie nah die Flut den Dünen im noch nicht fertig gestellten Bereich der aktuellen Strandaufspülung kam und wie weit die Brandung im gleichen Moment vom Dünenfuß entfernt war, wenn das Strandniveau durch zusätzlichen Sand angehoben wurde.
Auch an andere Anwendungen und Randbedingungen denken die Ingenieure der TU Braunschweig. So lässt sich die Drohne beispielsweise auch mit einer Wärmebildkamera ausstatten, um bei Dunkelheit Verletzte finden zu können.