In modernen Autos ist fast doppelt so viel Glas verbaut wie noch vor 30 Jahren. Im Gegensatz zu anderen Bauteilen – vom Innenspiegel mit Müdigkeitssensor bis zur Tachoanzeige in 3D – zählen die Scheiben aber noch nicht zur vernetzten Fahrzeugtechnik. Continental möchte das ändern und sie mit seiner Lösung Intelligent Glass Control zu einer aktiven Komponente machen.
Mittels neuer Folientechnologien sollen sich so etwa Panoramadächer auf Befehl hin verdunkeln, Teile der Frontscheibe bei tiefstehender Sonne tönen oder die Fenster hinter der B-Säule für mehr Privatsphäre abdunkeln lassen. Außerdem können Scheiben ohne Heizdrähte automatisch beheizt werden oder sogar als Display dienen.
„Intelligent Glass Control ist ein innovatives Konzept, das wir jetzt weiterentwickeln, um Fensterscheiben noch effektiver in die Benutzeroberfläche des Autos zu integrieren“, sagt Johann Hiebl, Leiter der Continental Geschäftsbereiche Body & Security und Infotainment & Connectivity. „Damit wird das Autofahren komfortabler und sicherer – und dank neuer Verdunklungs- und Wärmefunktionen lässt sich signifikant Energie sparen.“ Das sei besonders im Hinblick auf Elektromobilität und autonomes Fahren ein wichtiger Entwicklungsschritt.
Technologie auf Basis von Flüssigkristallen
Die intelligente Glasansteuerung arbeitet mit speziellen Folien, die in das Glas eingebunden sind und durch elektrische Steuersignale ihre Lichtdurchlässigkeit verändern. Dafür gibt es verschiedene Technologien, die unterschiedliche Vor- und Nachteile hinsichtlich der optischen Qualität oder der Verdunklungsgeschwindigkeit der Glasscheiben haben. Bisher konnten solche intelligenten Scheiben hauptsächlich im Bereich von Panoramadächern eingesetzt werden.
Continental setzt nun unter anderem auf eine Technologie, die sich für alle Scheiben im Fahrzeug eignet und das Potenzial der Glasansteuerung noch einmal deutlich steigert. Die sogenannte Liquid-Crystal- oder LC-Technologie soll zukünftig eine bisher nicht gekannte Qualität für schaltbare Verglasungen im Fahrzeugbereich ermöglichen.
Bei einer Form von LC-Autoglasscheiben schwimmen Flüssigkeitskristalle zusammen mit kleinsten Farbpartikeln in einer speziellen Suspension, die wiederum in eine feine Folie zwischen zwei dünnen Glasscheiben integriert ist. Unter Einfluss einer geringen Wechselspannung werden die Flüssigkeitskristalle gemeinsam mit den Farbpartikeln so ausgerichtet, dass sich die Scheibe verdunkelt oder aufhellt.
„Diese Technologie auf Basis des Liquid-Crystal-Prinzips hat das Potenzial, künftig das Nonplusultra für moderne, intelligente Glasscheibensysteme zu sein“, meint Dr. Tobias Frischmuth, Technical Project Leader Intelligent Glass Control bei Continental. Der Klarsicht- oder Verdunklungszustand einer Scheibe lasse sich mit ihr innerhalb von Millisekunden verändern. Entscheidend sei, dass die Scheiben im Klarsicht-Modus keine sichtbare Resttrübung mehr aufweisen, sagt Frischmuth. „Zudem lassen sich verschiedene Farbgebungen realisieren.“
Abgedunkelte Scheiben senken CO2-Emissionen
Mit schaltbaren Verglasungstechnologien kann somit jede Scheibe im Auto auf Wunsch einzeln abgedunkelt werden. Das ist derzeit aufgrund gesetzlicher Bestimmungen zwar noch nicht auf allen Fahrzeugscheiben erlaubt; die Einsatzgebiete für künftige Anwendungen sind jedoch zahlreich.
Werden die hinteren Scheiben abgedunkelt, etwa für die Privatsphäre im Fond, hat dies ebenfalls positive Auswirkungen auf das Innenraumklima. Dadurch besteht das Potenzial, die Klimaanlage zu entlasten und die CO2-Emissionen zu senken.
Wird die Tönungsfunktion in der Windschutzscheibe mit dem Bordnetz und der Cloud-Anbindung gekoppelt, können Bereiche der Scheibe entsprechend der Wetterlage und des Sonnenstands rechtzeitig automatisch abgedunkelt oder aufgehellt werden. Das erspart den riskanten Griff zur Sonnenblende und macht diese letztlich auch überflüssig. Hinzu kommen Vorteile beim Wärmemanagement: Scheiben könnten, vernetzt mit dem Schließsystem, im Winter sofort enteisen, wenn der Fahrer sich seinem Auto nähert.
Potenzial für die Mensch-Maschine-Interaktion
Auch die Effektivität adaptiver Kamerasysteme soll sich mittels einer intelligenten Glasansteuerung verbessern lassen. Kamerasysteme sind beispielsweise für Funktionen des autonomen Fahrens wichtig und werden, wenn sie im Bereich des Innenspiegels positioniert sind, bei tiefstehender Sonne beeinträchtigt.
Mit Intelligent Glass Control kann die Autoscheibe potenziell auch Funktionen in der Mensch-Maschine-Interaktion übernehmen: Auf der Glasscheibe ließen sich etwa Informationen der Fahrerassistenz- und Infotainmentsysteme einblenden. Die Scheibe könnte zudem mit Touchscreen-Elementen zu einem smarten Display werden.
Mit der Weiterentwicklung von Intelligent Glass Control will Continental dem allgemeinen Trend zu immer größeren Glasflächen in Autos begegnen. Laut dem Technologieunternehmen wird Glas, kombiniert mit Flüssigkeitslösungen, speziellen Kristallen, Nano- und Farbpartikeln sowie einer intelligenten und vernetzten Steuerung, künftig einer der wesentlichen Innovationsträger der Automobilindustrie sein.