Vereisungen rechtzeitig erkennen Big Data für bessere Windprognose

Wenn die Rotorblätter anfrieren, ist eine Abschaltung ganzer Windparks zu erwarten.

Bild: iStock, wmaster890
15.02.2022

Technologie von MeteoServe hilft APG künftig dabei, die Strommenge aus Wind noch exakter vorherzusagen, Vereisungen rechtzeitig zu bemerken und Maßnahmen zu ergreifen um so Ausgleichsenergiekosten zu sparen.

Ein kleiner Rückblick: Am Freitag den 26. November wurde der Osten Österreichs von einem Wintereinbruch überrascht. Temperaturen um den Gefrierpunkt, die ersten Schneeflocken fallen vom Himmel. Was im normalen gesellschaftlichen Leben eigentlich für erste Vorweihnachtsstimmung sorgt, versetzt die Experten von Austrian Power Grid (APG) in ihrer Steuerzentrale im zehnten Wiener Gemeindebezirk in erhöhte Bereitschaft.

Ihr Blick liegt auf der im Osten konzentrierten Windkraft, wo Schneefall, dichte Wolken und Wind die Windräder eisigen Witterungsbedingungen aussetzen. Der Grund: Bei diesen Wetterverhältnissen kann aufgrund von vereisten Rotorblätter ein Ausfall der Stromproduktion aus Windkraft drohen. Eisen die Rotorblätter an, ist eine Abschaltung ganzer Windparks zu erwarten.

„Strom ist ein Just-in-Time-Produkt, wenn ganze Windparks abgeschaltet werden, müssen unsere ExpertInnen aus der Steuerzentrale den Wegfall der Produktion aus Windkraft kompensieren. Je kurzfristiger diese Maßnahme ergriffen wird, umso teurer ist sie. Diese systemischen Zusammenhänge der nachhaltigen Stromwelt betrieblich managen zu können sind der Schlüssel, um die sichere Stromversorgung in Österreich zu gewährleisten und dem Ziel näher zu kommen, 100 Prozent des österreichischen Stromverbrauchs bis 2030 aus erneuerbaren Energien zu decken. Derartige Projekte sind Teil unseres Investitionsprogramms von rund 3,5 Milliarden Euro bis 2032 und sind wesentlich für die sichere Transformation des Energiesystems“, erklärt Christoph Schuh, APG-Unternehmenssprecher.

Software hilft Aneisung frühzeitig zu identifizieren

Seit wenigen Wochen hat APG für vergleichbare Situationen eine Software von MeteoServe im Einsatz, die eine mögliche Aneisung vorzeitig melden und so dabei helfen kann, frühzeitig alternative betriebliche Maßnahmen zu ergreifen und somit auch Kosten zu sparen – etwa die Hälfte der rund 1.200 Windkraftanlagen in Österreich werden in Echtzeit überwacht und ihre Stromerzeugung laufend mit aktuellen Wetterdaten abgeglichen. Die dahinterstehenden Algorithmen wurden von APG und MeteoServe, einer 100-Prozent-Tochter der Austro Control, entwickelt.

Lukas Strauss, Mitinitiator des Projekts aufseiten MeteoServe, erzählt, wie diese Kooperation zustande kam: „Zur Vereisung an Windkraftanlagen wird schon seit einigen Jahren geforscht. Der Austausch mit den KollegInnen von APG hat uns aber ganz klar den Anwendungsfall vor Augen geführt, für den sich die Erkenntnisse umsetzen lassen.“

Ausgleichsenergiekosten in bis zu Millionenhöhe

Im Extremfall können durch Vereisung ausgelöste, großflächige Abschaltungen von Windparks die sichere Stromversorgung massiv gefährden und eine kritische Umverteilung der Stromflüsse im Energienetz verursachen. Einer der schwerwiegendsten Fälle dieser Art fand am 27. und 28. Dezember 2020 statt. Dabei traten maximale Abweichungen von der prognostizierten Erzeugung von bis zu 1.500 MW auf Das entspricht in etwa dem Verbrauch der gesamten Stadt Wien beziehungsweise der Produktion von 7 Donaukraftwerken.

Über ein 24-stündiges Zeitfenster summierte sich die fehlende Erzeugung auf rund 27.000 MWh. Das entspricht dem Stromverbrauch von etwa 2,5 Millionen Haushalten im gleichen Zeitraum. Bei einem weiteren Vereisungsfall hatte man neben der plötzlich unerwartet einbrechenden Erzeugung mit Gradienten (Änderungsgeschwindigkeit der Erzeugung) von rund 2.000 MW innerhalb einer Stunde zu kämpfen.

Warum das ein Problem ist, erklärt Misak: „Die Fehlmengen, die bei Vereisung auftreten, müssen durch den Einsatz von Regelreserven – Reservekraftwerken – laufend ausgeglichen werden – das ist teuer. Innerhalb einiger Stunden können Ausgleichsenergiekosten in bis zu Millionenhöhe entstehen. Abgesehen von der zusätzlichen monetären Belastung stellen uns unerwartet hohe Gradienten vor betriebliche Herausforderungen, bis hin zu Situationen, die die Versorgungssicherheit gefährden. Um dem gezielt entgegenwirken zu können, ist ein möglichst feingranularer und flächendeckender Überblick zur Lageeinschätzung und Kategorisierung essenziell. Dafür sind Messwerte an den Windturbinen und Statuswerte in Echtzeit erforderlich. Die Beschaffung und Echtzeitanalyse dieser Daten gestaltete sich bisher aber als aufwändig.

In dieser Hinsicht ist das mit MeteoServe entwickelte Überwachungssystem für uns ein Game Changer. Seit vergangenem Herbst können wir etwa von der Hälfte aller in Österreich installierten Windturbinen jede einzelne Anlage auf Anomalien in der Erzeugung überwachen. Das mit dem entwickelten Algorithmus bestimmte Vereisungspotenzial warnt uns zudem vor zu erwartenden Anlagenabschaltungen.“

„Big-Data“-Ansatz

Wie man sich der Lösung angenähert hat, erklärt Strauss: „Die Überwachung von Windkraftanlagen ist an und für sich nichts Neues – die Betreiber wissen sehr genau, was sich an ihren Anlagen tut, oft sind sogar eigene Eisdetektorsysteme installiert. Womit wir es in diesem Projekt zu tun haben, ist aber eine Größenordnung darüber. Aufgrund der riesigen Datenmengen brauchte es einen „Big-Data“-Ansatz, zunächst vor allem geeignete Visualisierungen, um die Zusammenhänge zwischen Anlagenverhalten und meteorologischen Umgebungsbedingungen für ganz Österreich sichtbar zu machen. Als Datenwissenschaftler versucht man diese Korrelationen dann auf so wenig entscheidende Parameter wie möglich herunterzubrechen; beispielsweise den richtigen Temperaturschwellwert, ab dem das System in den ‚Warnmodus Vereisung‘ übergeht.“

Den Überblick im „Datenhaufen“ zu behalten wird in Zukunft entscheidend sein. Strauss: „In der Endausbaustufe des Systems wollen wir auf die Echtzeitüberwachung der gesamten österreichischen Windkraft hinaus – das sind derzeit rund 1.200 Windkraftanlagen oder 3.600 MW an installierter Leistung.“

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