Kommentar Bitte neugierig bleiben

Alexander Gerfer ist Geschäftsführer und Chief Technology Officer bei Würth Elektronik eiSos. Sein Fach hat der Diplom-Ingenieur in Elektrotechnik als Radio- und Fernsehtechniker gelernt und gründete die Produktentwicklung sowie das Qualitätsmanagement bei Würth Elektronik eiSos. Heute verantwortet er die Produktstrategie und damit die Bereiche Produktmanagement, Qualitätswesen, Supply-Chain-Management, Forschung und Entwicklung. Gerfer ist zudem Autor des Fachbuches „Trilogie der Induktivitäten“ und Co-Autor verschiedener weiterer Fachbücher.

Bild: Würth Elektronik eiSos
30.07.2019

Viele Entwickler werden in den Grundlagen nicht mehr gut ausgebildet. Denn EMV und induktive Bauelemente sind in den Lehrplänen von Hochschulen und Universitäten meist Randthemen. Ingenieure sollten ihre Wissenslücken schnell in der Praxis befüllen – und dabei wie ein Start-up denken.

Alexander Gerfer war mit diesem Beitrag im E&E-Kompendium 2019/2020 als einer von 100 Machern der Elektronikwelt vertreten.

EMV-Experten wundern sich oft, wenn sie Prototypen auf den Tisch bekommen, die durch die EMV-Prüfung gefallen sind. Schwächen im Layout und die Auswahl der Bauteile lassen den Eindruck entstehen, dass die grundlegenden elektromagnetischen Zusammenhänge und Grundlagen nicht mehr präsent sind. Gelegentlich kommt es einem so vor, als ob Magnetismus eine esoterische Wissenschaft des 18. Jahrhunderts oder schwarze Magie sei. Da werden Ferrite willkürlich eingesetzt wie Heilzauber. Dabei wäre es besser, frühzeitig die elektromagnetische Verträglichkeit des geplanten Designs zu analysieren und zu berücksichtigen. Der späte Blick auf die EMV-Aspekte führt zu unnötigen Kosten und Verzögerungen im geplanten Markteintritt.

Diese Problematik hat Ursachen. Wir beobachten, dass die Majorität der Entwickler – auch unsere eigenen Jungingenieure – nicht mehr gut in den Grundlagen ausgebildet sind. In den komprimierten Ausbildungen und Studiengängen wird vieles weggelassen. Die Folge: Wer Zusammenhänge nicht von Grund auf versteht und Auswirkungen von Designentscheidungen nicht durchrechnen kann, muss sich auf Angaben anderer verlassen. Also Internet und Datenblätter? Nein, denn auch Datenblätter muss man kritisch lesen und selbst Folgerungen daraus ziehen können.

Basiswissen ist mager und veraltet

Die oberflächliche Behandlung von komplexen Zusammenhängen in der Elektronikentwicklung kann an den verschiedensten Stellen zu Problemen führen und – zu spät erkannt – teuer werden. Etwa das thermische Verhalten. Besonders im Bereich der Induktivitäten sehen wir Probleme. Egal, in welchem Land man sich die Lehrpläne der Hochschulen und Universitäten anschaut: EMV und induktive Bauelemente sind Randthemen. Und das vermittelte Basiswissen ist nicht nur mager, sondern oft auch noch veraltet.

Mein Aufruf an junge Ingenieure: Nutzen Sie die Möglichkeiten, Lücken in Grundlagen und Ausbildung in der beruflichen Praxis schnell zu füllen. Ihr Unternehmen wird es Ihnen danken. Auch weil Innovationen bei den Herstellern passiver Bauelemente die Lehrbuchinhalte schnell veralten lassen, ist ständige Weiterbildung zwingend Pflicht.

Nutzen Sie Fortbildungsangebote

Zum Glück wächst das Bewusstsein in Wirtschaft und Gesellschaft für die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens. Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen und Industrie helfen, damit Wissen um Innovationen schneller Eingang in Ausbildung und Unternehmen findet. Doch unabhängig davon, ob man im eigenen Umfeld Förderung erfährt oder nicht: Jeder einzelne Ingenieur und Techniker ist aufgefordert, die Neugierde für sein Fachgebiet zu erhalten. Jeder von uns muss neue technologische Möglichkeiten bewerten, nutzen und mitgestalten können.

Fortbildung muss nicht immer ein großer Aufwand sein. Kein Komponentenhersteller wird sich interessierten Fragen eines Entwicklers verschließen, der neue Lösungen evaluiert. Und wer physikalische Zusammenhänge versteht und richtig einordnen kann, wird nicht unkritisch glauben, was ihm Hersteller erzählen. So entsteht ein fruchtbarer Dialog, an dessen Ende vielleicht ein innovatives Produkt steht.

Fühlt nicht jeder seine Technikbegeisterung geweckt, wenn er sieht, wie ein Start-up-Unternehmer eine Idee verfolgt, eventuell mit unkonventionellen Mitteln realisiert, um möglichst schnell auf dem Markt zu sein? Diese innere Haltung hilft. Wer den Ehrgeiz hat, mit besseren Lösungen ohne vermeidbare Revisionen zur finalen Marktreife zu gelangen, ermöglicht genau das: den Wettbewerbsvorteil einer kurzen Time-to-Market.

Also: Fordern Sie die Hersteller. Nutzen Sie deren Fortbildungsangebote, erkennen und nutzen Sie technologische Trends. So finden Sie auf Basis Ihres grundlegenden Verständnisses der physikalischen Zusammenhänge Fehler frühzeitiger und kommen schneller zu optimalen Designentscheidungen und finalen Stücklisten. Anders gesagt: Bleiben Sie immer neugierig!

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