Mobiles Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben und fester Bestandteil der Arbeitswelt in der chemisch-pharmazeutischen Industrie: Mobil arbeitende Beschäftigte sind an durchschnittlich zwei bis drei Tagen pro Woche im Homeoffice. In der Studie äußern sie zugleich den Wunsch nach drei bis vier Tagen mobiler Arbeit pro Woche.
Doch nicht alle, deren Tätigkeit mobiles Arbeiten erlaubt, nutzen diese Möglichkeit. Die Gründe dafür sind vielfältig: Gut ein Drittel dieser Gruppe von Befragten arbeitet lieber im Betrieb. Für knapp 30 Prozent ist die eigene Führungskraft ausschlaggebend. Rund 70 Prozent der teilnehmenden Betriebe verfügen über eine Betriebsvereinbarung mit der Möglichkeit zum ortsflexiblen Arbeiten. Weitere 24 Prozent arbeiten an einer betrieblichen Regelung. Die Regelungsinhalte variieren dabei jedoch deutlich. Das sind die zentralen Ergebnisse der bundesweit derzeit größten Studie zum mobilen Arbeiten.
Mehr als 20 000 Beschäftigte der Chemie- und Pharmabranche befragt
Unter wissenschaftlicher Leitung des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO wurden dazu in Zusammenarbeit mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) im Sommer 2023 mehr als 20 000 Beschäftigte, Führungskräfte, Betriebsräte und HR-Verantwortliche der Chemie- und Pharmabranche in knapp 70 Unternehmen befragt.
Themen waren Produktivitätseffekte mobiler Arbeit, Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation und Arbeitsinhalte sowie soziale und finanzielle Auswirkungen. Im Brückenabschluss der Tarifrunde 2022 hatten die Sozialpartner IGBCE und BAVC vereinbart, mit Hilfe der Studienergebnisse zu prüfen, ob es tarifpolitischen Handlungsbedarf zum mobilen Arbeiten gibt.
Die Studie bildet primär das Meinungsbild der mobil arbeitenden Beschäftigten ab. In den organisierten Betrieben der chemisch-pharmazeutischen Branche arbeiten nach Schätzungen des Fraunhofer IAO etwa 16 Prozent der 585.000 Beschäftigten mobil. Die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten steht in direktem Zusammenhang mit der beruflichen Qualifikation: Je mehr Wissensarbeit, desto digitaler und damit mobiler die Arbeit.
Was sagen die Leiter der Studie?
Oliver Heinrich, Tarifvorstand der IGBCE: „Mobiles Arbeiten reduziert Stress, erleichtert ungestörtes Arbeiten und ist für viele Chemie-Beschäftigte aus ihrem Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken. Die Studie zeigt deutlich: Dafür, wieder dauerhaft auf fünf Tage Anwesenheit im Büro zu drängen, gibt es keine Argumente. Was wir aber brauchen, sind klare Regeln für alle Aspekte der mobilen Arbeit, um die Beschäftigten zu schützen. Wir müssen der wachsenden Entgrenzung von Arbeit und Privatem entgegenzuwirken, der Schutz der psychischen Gesundheit darf nicht allein Privatsache sein. Festgelegt und respektiert werden müssen deshalb neben Fragen der Erreichbarkeit beispielsweise auch Zeiten der Nichterreichbarkeit. Da müssen wir aktiv werden und die Impulse als der Studie nutzen. Wir sehen einen klaren tarifpolitischen Handlungsauftrag.“
Dr. Josephine Hofmann, Leiterin des „Teams Zusammenarbeit und Führung“ am Fraunhofer IAO: „Mobile Arbeit bietet ein breites Spektrum an Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts, doch die Sozialpartnerstudie zeigt, dass sie nach wie vor zu einem großen Teil von zu Hause aus geleistet wird. Und sie ist mit vielen beachtenswerten Aspekten verbunden, wie ich mit meinen beiden Co-Autoren Alexander Piele und Christian Piele in der Sozialpartnerstudie herausgearbeitet habe. Mobile Arbeit wirkt sich etwa positiv auf die Produktivität im Sinne von konzentriertem und störungsfreiem Arbeiten aus.“
Hofman fährt fort: „Zu beachten sind aber auch Herausforderungen wie das Thema Führung auf Distanz. Die Studie zeigt, dass Führungskräfte durch den kommunikativen Mehraufwand belastet werden. So muss die geringere Präsenz der Mitarbeitenden teilweise durch ein Mehr an Kommunikation kompensiert werden. Manche Aspekte wie Konflikte und Unterstützungsbedarf können nicht einfach so über den Schreibtisch hinweg wahrgenommen werden, wenn man nicht gemeinsam im Büro ist. Führungskräfte müssen diese in geplanten Gesprächssituationen aktiv erfragen beziehungsweise herausarbeiten. Dennoch stehen die Führungskräfte, die bereits Erfahrungen mit mobiler Arbeit in ihrem Team gemacht haben, dem Thema zumeist sehr positiv gegenüber: So haben etwa rund 77 Prozent den Eindruck, dass ihre Mitarbeitenden an der gestiegenen Eigenverantwortung wachsen.“
Dr. Klaus-Peter Stiller, BAVC-Hauptgeschäftsführer: „Mobiles Arbeiten ist aus dem Arbeitsalltag der chemischen Industrie nicht mehr wegzudenken. Die neue Arbeitswelt funktioniert hervorragend – und das ohne neue Gesetze. Die Sozialpartner im Betrieb und auf Branchenebene nehmen ihre Verantwortung wahr. Aus Arbeitgebersicht besteht derzeit kein akuter tarifpolitischer Handlungsbedarf. Chemie-Beschäftigte verfügen über eine gute Ausstattung, um effektiv mobil zu arbeiten.
Stiller erklärt weiter: „Und sie nehmen neben den Vorteilen des mobilen Arbeitens auch die Risiken wahr: Um der Erosion des sozialen Zusammenhalts vorzubeugen, braucht es wieder mehr persönliche Begegnungen in den Betrieben. Es gilt, den jahrzehntelangen Wettbewerbsvorteil der engen persönlichen Zusammenarbeit zwischen Produktion, Forschung und administrativen Bereichen am Standort Deutschland auch in Zukunft zu nutzen.“
Weitere Ergebnisse der Studie im Überblick
Mobiles Arbeiten bietet Vorteile für Vereinbarkeit: Für Mitarbeitende geht die Arbeit von zu Hause häufig mit Stressreduktion, mehr Zeit für soziale Kontakte und besserer Vereinbarkeit von Arbeit und Privatem einher. So berichten knapp drei Viertel der Beschäftigten von weniger Stress durch mobiles Arbeiten.
Risiko der Entgrenzung: Mobile Arbeit kann zu einer fehlenden klaren Grenzziehung zwischen Arbeit und Privatleben führen. Mehr als ein Viertel der Befragten gab an, die Trennung von Beruflichem und Privatem als Herausforderung zu sehen; zudem ist häufiges mobiles Arbeiten mit einem kommunikativen Mehraufwand für Führungskräfte verbunden.
Arbeit von zu Hause produktiver: Knapp 90 Prozent der Befragten berichteten, dass sie mobil störungsfreier und konzentrierter arbeiten. Gut zwei Drittel gaben an, weniger unproduktive Zeiten zu haben.
Desksharing positiver als sein Ruf: Desksharing stößt bei drei Vierteln der Befragten mit Desksharing-Erfahrung auf positive Resonanz.
Gefahr sozialer Erosion: Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, weniger sozialen Austausch zu haben und knapp ein Viertel stellte weniger kreatives Zusammenarbeiten fest. Das kann längerfristig negative Folgen für Produktivität, Zusammenarbeit, betriebliche Bindung und Innovationskraft haben. Sinnvoll ist deshalb ein Mix aus mobiler und betrieblicher Arbeit.