10 Bewertungen

Paradigmenwechsel in der Produktionssteuerung Das Ende des Montagebands?

publish-industry Verlag GmbH

Das Fließband ist physisch festgelegt und somit auch die Produktionsstrukturen. Wie lassen sich diese dennoch individualisieren?

Bild: iStock, josemoraes
22.03.2017

Industrie 4.0 bedeutet, Produktionsstrukturen zu individualisieren. Das Fließband ist physisch festgelegt, somit auch die Produktionsstrukturen. Wie lässt sich beides miteinander verknüpfen?

Sponsored Content

Das Montageband ist das Sinnbild für die Serienproduktion. Ursprünglich für die Fertigung identischer Produkte entwickelt, wurde es mit zunehmender Individualisierung der Aufträge – ganz besonders in der Automobilproduktion - verfeinert und angepasst. Doch bei der nötigen Auflösung des Widerspruchs zwischen der wachsenden Individualisierung der Aufträge und dem Ziel einer effizienten Organisation der Fertigungsprozesse wird diese physisch restriktive Produktionsordnung immer häufiger hinsichtlich Ihrer Grenzen hinterfragt, erst recht im Kontext von Industrie 4.0.

Die Produktion der Zukunft könnte man in Form von frei positionierbaren und multifunktionalen Arbeitsstationen gestalten, welche von Aufträgen auf autonom fahrenden, fahrerlosen Transportsystemen angesteuert werden. Dabei organisieren sie sich gemäß einer neuen, flexiblen Logik, die auf den Vorgaben neu zu definierender Kennzahlen basiert.

Bisher: Physisch festgelegte Strukturen

Die Automobilindustrie steht in besonderem Maße der Herausforderung gegenüber, sich mit den Möglichkeiten einer noch flexibleren Produktion auseinanderzusetzen. Denn durch die Kombination von einer ohnehin schon großen Anzahl an Fahrzeugmodellen und den stetig wachsenden, individuellen Konfigurationsmöglichkeiten der Kundenfahrzeuge entsteht eine enorme Variantenvielfalt, die nur durch größere Handlungsspielräume in der Produktionsplanung umsetzbar wäre und gleichzeitig wirtschaftlich tragbar bliebe.

Die physisch eher feste Fließbandstruktur einerseits und die steigende Individualisierung der Fahrzeuge andererseits hat in den letzten Jahrzehnten zu immer anspruchsvolleren Produktionsplanungen und operativ komplexen Sequenzierungen geführt. Dabei bestimmen die physischen Vorgaben des Montagebands sowohl die interne Logistik als auch die angeschlossenen Zulieferprozesse. Die restriktive Ordnung resultiert beispielsweise in der Vorgabe von Mindestabständen, die zwischen Fahrzeugen (Aufträgen) mit bestimmten Ausstattungsmerkmalen in der Montagesequenz einzuhalten sind, wobei im Konflikt dazu gleichzeitig Vorgaben von Gleichverteilungen der Ausstattungsmerkmale der Aufträge in der Sequenz einzuhalten sind.

Prozesse beherrschen

Insgesamt sind die Produktionsstrukturen heute auch in anderen Branchen physisch determiniert und entsprechend räumlich organisiert. Die Vorteile solcher Organisation sind ihre ordnungsgebende Wirkung und damit auch eine Form der Beherrschbarkeit der Prozesse. Die Mitarbeiter und das Management wissen, was wo steht und kennen die zeitlichen Abläufe. Einmal festgelegt, bleiben die Produktionsstrukturen für lange Zeiträume, in der Automobilfertigung beispielsweise über die gesamte Dauer des Modelllebenszyklus unverändert. Dies ist solange von Vorteil, wie der Lebenszyklus der Produkte und damit ihre physische Zusammensetzung über lange Zeiträume im Wesentlichen gleich bleiben.

Für die Zukunft ist jedoch zu erwarten, dass sich der Lebenszyklus vieler Produkte erheblich verkürzen wird – nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Rolle der Konsumentenwünsche und der schnelleren Reaktionszeit der Hersteller auf Veränderungen. In diesem Kontext wird in der Automobilindustrie davon ausgegangen, dass die Bedeutung von Kleinserien im Gesamtproduktportfolio erheblich zunehmen wird und deutlich kürzere Lebenszyklen der Fahrzeugmodelle den Produktionsbetrieb bestimmen werden. Die daraus resultierende Dynamik wäre für eine häufige physische Umorganisation des klassischen Fließbandes nach wirtschaftlichen Kennzahlen (KPIs, Key Performance Indicators) nicht darstellbar.

Status Quo: Der Praxisbetrieb

Dass dies längst nicht nur eine Vision ist, zeigt ein Blick in die Praxis. So sind erste Ansätze einer KPI-orientierten Optimierung in einigen Automobillinien heute schon im produktiven Einsatz. Dabei geht eine Sequenzierungslösung nach zeitlich festgelegten Kapazitätseigenschaften der Arbeitsressourcen vor. Als wirtschaftliche KPIs zur Optimierung von Auftragssequenzen dienen Arbeitskapazitäten in Form von Bearbeitungsszeitbedarfen der Aufträge. Die Sequenzierung erfolgt also nach den Bearbeitungszeitbedarfen der Arbeitsstationen für die Aufträge und nicht mehr direkt nach physischen Eigenschaften der Aufträge und der Linie.

Der Weg zum tatsächlichen Industrie-4.0-Szenario ist hier bereits vorbereitet, da der Schritt von physischen zu logischen KPIs für die Optimierung der Abläufe im Prinzip softwaretechnisch vollzogen ist. Im Falle des Ersetzens der physischen Linienstruktur durch freie, redundante Arbeitsstationen müssen nur noch die wirtschaftlichen KPIs festgelegt und in die Software eingepflegt werden.

Industrie 4.0 vertreibt das Fließband

Das Zeitalter Industrie 4.0 hat für viele Produktionsprozesse zweifelsohne das Ende des physisch festen Fließbands als ordnungsgebende Kraft eingeläutet. Eine rein physische Ordnung stößt unter Beachtung der geforderten Flexibilität und der wirtschaftlichen Aspekte der Dynamik von wesentlich kurzlebigeren Produktionszyklen der Zukunft an ihre Grenzen. Der Paradigmenwechsel zu einer aus der Perspektive der Aufträge autonomen Produktion, die nach logischen, kennzahlengesteuerten Ordnungsprinzipien organisiert ist, steht kurz bevor. Die Software hierfür existiert sogar bereits.

Die Software Qualicision

Die Vernetzung beliebiger Gegenstände, Maschinen und Menschen untereinander – das „Internet of Things“ beziehungsweise das „Internet of Things and People“ – ist hinsichtlich der technischen Machbarkeit alles andere als Zukunftsmusik. Ein praxiserprobtes Beispiel eines Software-Tools für die Umstellung der Produktionssteuerung ist die Qualicision-basierte, multikriterielle Optimierung aus dem Hause der F/L/S Fuzzy Logik Systeme, einem Unternehmen der PSI. Diese kann Zielkonflikte und Zielgleichläufigkeiten aus den Echzeitdaten der Produktion errechnen und die Zielkonflikte geeignet ausbalancieren. Da in einem Produktionsprozess üblicherweise ein Drittel der KPI-Ziele konfliktiv sind, führt deren Ausbalancierung zu erheblichen Effizienzsteigerungen und auch zur Kostenreduktion. Die Produktion läuft ausbalanciert wesentlich ruhiger, weil dadurch bessere Voraussetzungen auch zur spürbaren Qualitätssteigerung geschaffen werden. Unter welchen Gesichtspunkten die Ausbalancierung stattfindet, wird über die KPI-Ziele durch den Prozessbetreiber konfiguriert. Die so funktionierende KPI-basierte Optimierung hat sich bereits in zahlreichen klassisch organisierten mitunter sehr dynamischen Geschäftsprozessen bewährt. In einem Industrie-4.0-Szenario läuft die Qualicision-Optimierung im Kern wie bisher. Was entsprechend anzupassen ist, erfolgt letztendlich „nur“, indem die Optimierung mit neu angepassten Industrie-4.0-KPIs versorgt wird. Die hierfür speziell erweiterte Fuzzy Logik als KI-Technik hilft entscheidend dabei, auch mit dynamischen Schätzgrößen zu rechnen und so prozessbedingte Unsicherheiten eines dynamischen Industrie-4.0-Szenarios abzufangen.

Verwandte Artikel