Die Grundlage für die Endlagersuche bildet das Standortauswahlgesetz. Es sieht vor, einen genehmigungsfähigen Standort mit der bestmöglichen Sicherheit zu finden. Konkret heißt das: Radioaktive Abfälle müssen hier für einen Zeitraum von einer Million Jahre sicher gelagert werden können. Dafür kommt nur eine Lagerung tief unter der Erde, eine sogenannte tiefengeologische Lagerung in einem Wirtsgestein wie Steinsalz, Ton oder Kristallin, in Frage.
Seit 2017 überprüft die Bundesgesellschaft für Endlagerung verschiedene Regionen in ganz Deutschland auf Endlagertauglichkeit. Dabei wird eine „Endlagerung mit Reversibilität“ favorisiert: Das gesamte Verfahren, von der Standortauswahl über die Planung, den Bau und den Betrieb des Endlagers bis hin zum Verschluss des Grubengebäudes, soll so ausgelegt sein, dass bereits getroffene Entscheidungen zurückgenommen werden können.
Ziel ist also, innerhalb des Verfahrens fortlaufend zu lernen und das möglichst selbstlernend beziehungsweise selbstkorrigierend. Hier setzt das Forschungsvorhaben der TU Braunschweig an. Mit dem Projekt „Entwicklung einer selbstlernenden Modellierungsmethodik zu geomechanischen und geotechnischen Prozessen am Beispiel der Planungs- und Auffahrungsphase einer Einlagerungsstrecke eines Tiefenlagers“ (SEMOTI) wollen die Wissenschaftler*innen zur Verbesserung der Planungen und Bewertung beitragen.
Machine Learning in der Gebirgsmechanik
„Am Beispiel einer Einlagerungsstrecke wollen wir feststellen, ob wir Machine Learning auch auf Prozesse der Gebirgsmechanik anwenden können“, sagt Professor Joachim Stahlmann vom Institut für Geomechanik und Geotechnik der TU Braunschweig. „Unser Bestreben ist, mit Methoden der Künstlichen Intelligenz im Bereich der Geotechnik bessere Ergebnisse zu erreichen.“
Durch das Monitoring während der einzelnen Projektphasen nehmen die Kenntnisse und die Datengrundlagen über das Tiefenlagersystem stetig zu. Fehlentwicklungen können im selbstlernenden Verfahren schneller erkannt und gegebenenfalls Konsequenzen daraus abgeleitet werden. Beispielsweise ob das Tiefenlager in ein Endlager umgewandelt werden kann, zusätzliche Maßnahmen erforderlich werden oder sogar die eingelagerten Abfälle rückgeholt werden müssen.
„Damit kann ein Tool entstehen, das zur weiteren Entscheidungsfindung herangezogen werden kann“, so Professor Henning Wessels vom Institut für rechnergestützte Modellierung im Bauingenieurwesen. „Die KI kann hier auch ein Stück weit die Subjektivität in der Nachweisführung reduzieren.“
Der digitale Zwilling eines Bergwerks
Da in Deutschland noch kein Endlager für hochradioaktive Abfälle existiert, entwickeln die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen für ihre Forschungsarbeiten ein fiktives Endlagermodell, den virtuellen Demonstrator. Betrachtet wird der digitale Zwilling einer Einlagerungsstrecke eines Tiefenlagers im Steinsalz.
„Beim jetzigen Stand der Technik ist jedoch keine vollständige Automatisierung der Lernverfahren zu erwarten“, so Professor Stahlmann. „Die Expertise von Ingenieuren oder Naturwissenschaftlern wird weiterhin in die Entwicklung eines Tiefenlagers einfließen.“ Doch könnten die KI-Methoden zu einer Verbesserung sowohl der Planungen beitragen als auch der Bewertung von Reaktionen auf Zustandsveränderungen im Endlagersystem. Zudem könnten durch maschinelles Lernen unerwartete Lösungen entstehen, die bei manuellen Planungen direkt ausgeschlossen werden.