Was sind die Hintergründe für die Entwicklung der RLTR-Methode, mit der sich die Bauzeiten von Anlagen deutlich verringern lassen?
Als eine auf Industrie und Hochtechnologie fokussierte Unternehmensberatung ist es natürlich eine unserer Kernaufgaben, Potenziale für Effizienzsteigerung aufzudecken und umzusetzen. Da die Wettbewerbssituation in vielen Branchen intensiv ist, lohnt ein Blick auch auf den Anlagenbau und die dort möglichen Einsparmöglichkeiten. Das gilt natürlich ebenso für die Prozessindustrie und dort insbesondere im Chemieanlagenbau, wo die Marktsituation nach wie vor sehr anspruchsvoll ist. Wenn es also gelingt, beim Bau von Großprojekten – ob von beauftragten EPC- oder Chemieunternehmen selbst durchgeführt – die Durchlaufzeit erheblich zu verkürzen, ist damit ein großer Effekt verbunden.
Was bedeutet das konkret?
Im Ergebnis gelingt es uns durch den Einsatz der RLTR-Methode und damit einer neuen Ablaufplanung, die Durchlaufzeiten bei gleichen kapazitiven Rahmenbedingungen um gut 30 bis annähernd 50 Prozent zu reduzieren. Je komplexer und umfangreicher das Projekt, desto größer fällt die Wirkung aus. Bei durchschnittlichen Errichtungszeiten im Großanlagenbau und Projektvolumina von meist über 100 Millionen Euro hat das natürlich signifikante Auswirkungen. Die Wirtschaftlichkeitsrechnung verbessert sich also enorm.
Wie ist denn bislang der Ablauf im Anlagenbau, den Sie mit RLTR verändern wollen?
Traditionell praktiziert man im Anlagenbau eine rollierende Vorwärtsplanung. Diese beginnt ganz klassisch mit dem Engineering. Auf dieser Basis werden die erforderlichen Teile und Materialien beschafft, um damit die einzelnen Komponenten zu fertigen. Darauf folgen die Logistik und Montage bis hin zur Fertigstellung der gesamten Anlage. Auch wenn es bei dieser Vorgehensweise gewisse simultane Aktivitäten gibt, so initiiert jede einzelne der genannten Phasen erst nach deren Abschluss den nächsten Arbeitsschritt. Hier gilt somit das Push-Prinzip. Das hat aber mitunter erhebliche Überschneidungen und Ineffizienzen beim Übergang von einer auf die nächste Projektphase zur Folge. Und mit dem eigentlichen Bau der Anlage wird im Grunde erst begonnen, wenn alle Teile zur Verfügung stehen.
Was ändert sich denn mit Ihrer neuen Methode?
Wir kehren diesen gesamten herkömmlichen Prozess vollständig um. Die Projektplanung beginnt folglich mit Blick auf die fertig errichtete Anlage und erfolgt nun rückläufig, ausgehend vom realisierten Objekt über dessen Bau und Montage, die Logistik, die Herstellung der Komponenten, die Beschaffung dafür bis hin zum Engineering. Mit RLTR setzen wir insofern auf eine grundlegend andere Planungsstruktur und verfolgen damit das Ziel einer ganzheitlichen Optimierung der Abläufe auf sämtlichen Stufen des Anlagenbaus.
Wie kann man sich das genau vorstellen? Welche Voraussetzungen müssen für ein solches Vorgehen gegeben sein?
Für eine derartige Planung ist es zunächst wichtig, die Baustelle komplett zu modularisieren, also in viele kleinere Bauabschnitte aufzuteilen. Wir nennen diese Construction Units oder auch Installation Kits. Sie ermöglichen uns die detaillierte Planung, wann genau eine Komponente am richtigen Ort sein und wie diese aussehen muss sowie welche Ressourcen und Dokumente für den Einbau erforderlich sind. Jeder einzelne Bauabschnitt erfordert insofern den davor abgeschlossenen Schritt. Er zieht gewissermaßen das Ergebnis der vorher umgesetzten Arbeitsstufe als essenzielle Grundlage. Insofern haben wir bei diesem Vorgehen – anderes als das bislang üblich ist – ein Pull-Prinzip. Wir legen schon in der Planung fest, wann genau welche Installationen erfolgen, welche Teile dafür rechtzeitig fertig sein und wie diese konstruiert sein müssen.
Inwieweit können dabei einzelne Arbeitsschritte parallel erfolgen?
Gerade die Aufteilung in viele kleinere Einheiten und die exakte Vorabplanung, wann was für den nächsten Schritt fertig sein muss, ermöglicht uns eine hohe Simultanität. Zahlreiche Arbeitsschritte überschneiden sich demzufolge zeitlich. Wir kennen dieses Vorgehen vom Concurrent Engineering, von dem sich RLTR aber wegen des Pull-Prinzips komplett unterscheidet. Und genau dieses, also die Tatsache, dass die komplette Baustelle über den gesamten Entstehungsprozesse die einzelnen Ergebnisse „zieht“, macht dieses Vorgehen so effizient und ermöglicht wesentlich straffere Zeitpläne. Dafür ist es jedoch erforderlich, alle Arbeitspakete exakt zu definieren. Dazu gehört es, sämtliche erforderlichen Materialien, Zeichnungen, technischen Daten und sonstigen relevanten Informationen en detail festzuhalten.
Wie behalten Sie dabei den Überblick?
Wir setzen zum Beispiel Templates zur Unterstützung ein. Das sind von uns entwickelte Vorlagen für vordefinierte Sequenzen und Terminpläne, die auf der Basis langjähriger Erfahrung mit solchen Projektplanungen entstanden sind. Diese gilt es dann, individuell anzupassen. Viele Arbeitsschritte beim Bau von zum Beispiel Chemieanlagen ähneln sich in der Grundstruktur durchaus. Auch wenn immer eine Spezifikation erforderlich ist, so können wir dieses Know-how nutzen und somit viel Zeit einsparen. Alleine dadurch ist es möglich, Set-up-Phasen von großen Projekten, die bislang häufig drei Monate in Anspruch genommen haben, auf zwei Wochen zu verkürzen.
Eine solche Planung ist sicher sehr komplex, zumal ja sämtliche Aktivitäten entsprechend gesteuert sein müssen. Wie gehen Sie hier vor?
Sämtliche Installation Kits gehen in einen Master-Terminplan ein. Dieser ist das wichtigste Planungs-, Controlling- und Steuerungsinstrument in der Projektumsetzung. Er enthält die Daten für Start und Fertigstellung eines Arbeitspakets, die Dauer von Einzelmaßnahmen und den Aktivitäten-Fluss. Alle einzelnen Arbeitsschritte werden auf dieser Basis nun als Planungs-Sequenzen mit sämtlichen vorangegangenen Aktivitäten aus dem Engineering sowie der Beschaffung, Herstellung und Logistik vernetzt. So können wir die Schnittstellen exakt definieren und damit den Produktionsfluss optimieren. Die Schaffung eines solchen Flows ermöglicht den mit Abstand größten Hebel bei der Zeiteinsparung und Effizienzsteigerung.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel für die durch Anwendung von RLTR erzielte Zeiteinsparung nennen?
Selbstverständlich. Einer unserer Kunden, ein multinationales Chemieunternehmen, das beim Bau seiner Anlagen bislang ebenfalls eine Vorwärtsplanung praktiziert hat und sich dann für unsere Planungsmethode und Begleitung entscheiden hat, konnte damit eine Reduzierung der Durchlaufzeit von 41 auf 25 Monate erzielen. Eine Einsparung also von 39 Prozent. Da der Einsatz der RLTR-Methode darüber hinaus eine generelle Stabilisierung der Projektdurchführung gewährleistet, ist es zudem gelungen, die Non-Conformance-Costs, also die Kosten, die durch Fehler in der Entwicklung, Planung, Beschaffung und Umsetzung zu Abweichungen zwischen der Vor- und Nachkalkulation führen, erheblich zu senken. In diesem Fall gelang es immerhin, die Aufwendungen dafür um 32 Prozent zu vermindern. Die Erzielung solcher oder gar noch höherer Zeit- und Kosteneinsparungen setzt zwar eine große Erfahrung und entsprechendes Know-how in der Planung solcher Projekte voraus, macht aber deutlich, dass RLTR der „Game Changer“ im Anlagenbau ist und auch der Prozessindustrie neue Möglichkeiten eröffnet.