Wie stufen Sie den derzeitigen Stand der Digitalisierung in deutschen Industrieunternehmen ein?
Bei der Digitalisierung gibt es die unterschiedlichsten Facetten. In Verbindung mit dem Markt stellt sich zunächst die Frage: Wie wickelt man Geschäfte möglichst effizient mit den Kunden ab? Wir bei Schaeffler sind beispielsweise mit dem Großteil unserer Kunden bereits digital verbunden. So können wir das operative Geschäft unter Zuhilfenahme digitaler Prozessmöglichkeiten sowohl für den Kunden als auch für uns sehr effizient und komfortabel gestalten. Das ermöglicht uns auch exaktere Vorhersagen bezüglich anstehender Aufträge. Damit will ich sagen: Bereits die Digitalisierung der Geschäftsabwicklung bietet für Unternehmen nicht zu unterschätzende Potenziale. Dafür müssen natürlich zunächst einmal Produktinformationen vollumfänglich digital zur Verfügung stehen. Ein elektronischer Produktkatalog, wie er mittlerweile gang und gäbe ist, darf dabei nur der erste Schritt sein. Die nächste Stufe ist die direkte digitale Anbindung an die Kunden. Durch die Verknüpfung unseres Produktkatalogs mit E-Commerce-Lösungen können wir beispielsweise unsere Kunden gezielt ansprechen – und zwar nur mit solchen Informationen, die diese wirklich interessieren und einen Mehrwert bieten. Diesen Bereich der Digitalisierung bauen wir gerade aus und stecken gezielt Entwicklungsressourcen hinein. Des Weiteren gibt es natürlich die ebenso entscheidende Frage: Wie sehen digitalisierte Produkte aus? Obwohl unsere Industrie mittlerweile Jahre und Jahrzehnte in der Automatisierungs- und Datenverarbeitungstechnik unterwegs ist, gibt es immer noch sehr viele Komponenten, die zwar prozesskritisch sind, aber nicht überwacht werden. Genau hier sehe ich ein großes Potential durch die Digitalisierung und damit für die Sicherstellung eines zuverlässigeren Betriebes.
Befindet sich die Industrie also noch ziemlich am Anfang, was die Umsetzung von Industrie 4.0 betrifft – obwohl technologisch alle Voraussetzung vorhanden sind?
Ja, es lässt sich praktisch alles machen und es gibt auch überall Beispiele, wo sich Industrie-4.0-Technologien bereits in der Praxis bewähren. Bei Neuanlagen mit modernen Maschinen steigt dadurch die Effizienz und Produktionsflexibilität erheblich. Es geht jetzt jedoch vielmehr um die digitale Durchdringung der riesigen Masse an existierenden Anlagen, die teilweise noch gar nicht so alt sind und natürlich ebenfalls möglichst effizient und zuverlässig laufen müssen. Für diese Brownfield-Anlagen benötigen wir dringend ebenso Lösungen, um von den Vorteilen der Digitalisierung in der breiten Masse der industriellen Anwendungen zu profitieren.
Schaeffler liefert Konzepte, die mechatronische Produkte, Zustandsüberwachungssysteme und digitale Services in anwendungsspezifischen Lösungspaketen vereinen – auch für die erwähnten Brownfield-Anlagen. Wie sehr verschiebt sich im Rahmen der Digitalisierung der Schwerpunkt weg von den reinen Komponenten?
Eines möchte ich gleich klar machen: Wir wollen nicht weg von der Komponente! Die Komponente ist nach wie vor unser Kerngeschäft und wir sind überzeugt, dass in der Kombination unseres Know-hows bei Komponenten, dem dazugehörigen Domänenwissen und den darauf aufbauenden digitalen Lösungen unsere Stärke liegt. Diese Stärke würden wir verlieren, wenn wir sagen würden, dass die Komponente nicht mehr wichtig für uns ist. Nehmen Sie als Beispiel unsere neue Lösung Optime für die automatisierte Zustandsüberwachung. Diese besteht rein technisch aus der Signalaufnahme, der Signalübertragung und der Datenanalyse. Aber die eigentliche Frage ist natürlich: Welches Know-how steckt hinter der Auswertung? Nur wenn man tiefe Einblicke in das Verhalten und den Aufbau der Komponente hat, lassen sich wirklich gewinnbringende Informationen aus den Daten ableiten und entsprechende Services anbieten. Außerdem gibt es auch bei der Komponente selbst eine kontinuierliche Weiterentwicklung, beispielsweise im Bereich Materialien. Für immer effizientere und CO2-reduziertere Antriebe müssen auch Komponenten wie Lager ihre Reibung, Gewicht und Wärmeeintrag reduzieren. Die Komponente ist wie das Fundament eines Gebäudes: fehlt es, wird das Gesamtkonstrukt instabil.
Wenn wir von der Umsetzung der Digitalisierung per se reden, dann ist Agilität ein sehr wichtiger Faktor. So sprechen wir bei Entwicklungsprojekten von einem Zeitraum von vier Monaten statt einem Jahr. Wie schwer ist es bei einem großen Konzern wie Schaeffler, mehr Agilität zu schaffen?
Agilität ist ein zentrales Thema für uns und wir schreiben uns auch auf die Fahnen, dass wir Agilität als Kernkompetenz für unsere gesamte Belegschaft ansehen. Das Erfolgsrezept liegt darin, Agilität dort anzuwenden, wo es gut und sinnvoll ist – also nicht alles jetzt quer Beet hoch agil auszulegen. In bestimmten Grundlagenentwicklungsbereichen müssen beispielsweise nach wie vor definierte Prozesse und Qualitätsaudits durchlaufen werden. Agile Prozesse wenden wir immer dann an, wenn mehr Geschwindigkeit erforderlich ist und auch mal der ein oder andere Fehler gemacht werden darf. Wir haben deshalb entsprechende Ausbildungskonzepte aufgesetzt und schulen unser Personal gezielt für diese unterschiedlichen Anforderungen.
Sie erwähnten gerade, man darf Fehler machen. Benötigen wir bei Digitalisierungsprojekten also eine bessere Fehlerkultur?
Fehlerkultur ist Bestandteil unserer Philosophie. Fehler dürfen gemacht werden und sollen auch gerne gemacht werden. Wenn es um Fehlerkultur geht, müssen wir uns aber immer anschauen, um welches Projekt es sich handelt. Gerade, wenn es um agile Projekte rund um die Digitalisierung geht, kommen Fehler natürlich vor – denn hier sprechen wir von ganz anderen Geschwindigkeiten im Vergleich zu den Entwicklungszeiträumen klassischer Produkte. Sehr wichtig dabei ist, dass die Projektteams die Bereitschaft aufweisen, gemachte Fehler schnell zu korrigieren, daraus zu lernen und Fortschritte zu erzielen. Eine moderne Fehlerkultur ist meiner Meinung nach absolut wichtig. Eine „Bestrafung“ bei Fehlern ist die falsche Richtung. Wir müssen demnach unseren Mitarbeitern die Angst nehmen, nicht scheitern zu dürfen. Ich finde wir leben dieses Ideal in Deutschland bereits auf hohem Niveau und können darauf stolz sein. Dennoch müssen wir dieses wichtige Asset Fehlerkultur weiter pflegen und ausbauen. Denn insbesondere vom Erfolg verwöhnte Unternehmen haben Schwierigkeiten damit, in Digitalisierungsprojekten Misserfolge von Anfang an als mögliche Option zu sehen.
Welche partnerschaftlichen Wege empfehlen Sie generell Ihren Kunden, um neue Ideen und Kompetenzen für die Digitalisierung zu erhalten?
Das Thema Partnerschaften ist meines Erachtens ein absolutes Erfolgskriterium, um gerade mit neuen Technologien rund um die Digitalisierung erfolgreich zu sein. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass der Verkaufserfolg von digitalen Produkten und Lösungen ebenfalls nur über ein Partnernetzwerk funktioniert. Wir müssen weg von dem Gedanken „wir haben ein Produkt und verkaufen und exportieren es selbst“. Das funktioniert sicherlich immer noch zum Großteil, aber für den Erfolg neuer vernetzter Lösungen ist das Thema Partnerschaften ein kritischer Erfolgsfaktor. Deshalb sind wir beispielsweise auch die Partnerschaft mit Mitsubishi Electric eingegangen, die komplette Automatisierungslösungen im Angebot haben. Benötigt ein Kunde von Mitsubishi Electric ein intelligentes Condition Monitoring, dann kommen, bei der passenden Anwendung, unsere Lösungen zum Einsatz. Partnerschaften sind immer Win-Win-Situationen. Einerseits kann man so Entwicklungs-, Technologie- und Domänen-Know-how zusammenbringen, um ein besseres Produkt zu entwickeln und andererseits profitiert jeder Partner gegenseitig von zusätzlichem Geschäft und Marktzugängen, die man sonst nie hätte.
Ist die Partnerschaft mit ZF, wo Sie eine Cloud-Lösung für die Digitalisierung des Antriebsstrangs in Windkrafträdern entwickelten, ein weiterer Beleg für diese Win-Win-Situation?
Ja, das ist ein sehr gutes Beispiel hierfür. ZF baut Getriebe und wir liefern unsere Komponenten dafür – hier sprechen wir bisher von einem klassischen Liefergeschäft. Das wird auch weiter so sein, wir entwickeln uns jedoch zusammen weiter. ZF will seinen Kunden einen Service anbieten, um über Sensorik und Data Analytics Zustandsinformationen der Getriebe zu liefern. Gemeinsam haben wir dafür eine Lösung erarbeitet, mit derer ZF seinen Kunden einen Mehrwert bieten kann. ZF bedient sich, im Rahmen unserer Partnerschaft, der Kompetenz von Schaeffler bei unseren Condition Monitoring Services für Wälzlager. Unsere Lösungen agieren dabei im Hintergrund, denn wir bieten die Analytics Services nicht direkt, sondern als Whitelabel über unseren Partner ZF, an. Solche Ökosysteme und Partnerschaften müssen wir als deutsche Industrieunternehmen dringend aufbauen. Das hört sich zwar einfach an, aber sie brauchen den Spirit und die Offenheit, gemeinsam mit Partnern neue Wege zu beschreiten – hier muss in vielen Köpfen noch immer ein Umdenken stattfinden.
Und warum sollen Maschinenbauer Schaeffler als Partner wählen, wenn es um die digitale Transformation geht?
Das Thema Partnerschaft bedeutet immer auch Vertrauen. Bei Schaeffler haben wir uns auf die Fahne geschrieben, dass wir unseren Kunden stets vertrauen und wir wissen, dass wir von deren Vertrauen abhängen. Das zeigt sich insbesondere beim Handling von Problemen, hier agieren wir als schneller Troubleshooter und diskutieren nicht um die Dinge herum – das ist ein entscheidender Punkt. Mit Schaeffler als Partner profitieren Maschinenbauer auch von unserer technologischen Kompetenz und der frühzeitig aufgebauten Digitalisierungsexpertise. Nicht zu vergessen ist der Vorteil unserer weltweiten Präsenz. Global agierende Kunden wollen kompetente Ansprechpartner und Service vor Ort haben. All das bieten wir bei Schaeffler!