Dr. Anna Braune, DGNB Eine nachhaltig gebaute Zukunft

Dr. Anna Braune studierte Technischer Umweltschutz an der TU Berlin. Sie arbeitete für verschiedene Beratungsunternehmen im Bereich Nachhaltigkeit und Gebäudetechnik. Als Mitinitiatorin war sie bis Ende 2008 Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und leitet seit September 2015 DGNB Abteilung Forschung und Entwicklung.

Bild: DGNB
23.10.2024

Nachhaltigkeit im Bauwesen ist eine Mammutaufgabe: Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Biodiversität müssen mit sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen in Einklang gebracht werden. Ist die Branche bereit, diese Herausforderung anzunehmen?

Die Bau- und Immobilienwirtschaft steht heute vor komplexen Herausforderungen, die weit über die traditionellen Vorstellungen von Baustelle und Neubau hinausgehen. Während wir oft an spektakuläre Großprojekte und Neubauten denken, stehen die alltäglichen und oft weniger beachteten Aspekte des Bauens im Bestand und der Ressourcennutzung selten im Vordergrund. Dabei ist das heutige Bauen durch einen massiven Einsatz von Materialien gekennzeichnet, die aus aller Welt importiert werden. Die Prozesse belasten die Umwelt nicht nur durch den Transport, sondern auch durch Eingriffe in natürliche Lebensräume. Leider führt der Materialeinsatz oft zu unbefriedigenden Ergebnissen, sowohl bezogen auf unsere Baukultur als auch auf die großflächigen Eingriffe in die Naturräume, aus denen die enormen Materialströme entnommen werden. Zudem werden Bauten oft nach relativ kurzer Zeit wieder abgerissen, obwohl sie zuvor mit großem Aufwand und finanziellen Mitteln errichtet wurden. Diese Praxis führt zu einem enormen Abfallaufkommen und zum Verlust der in Material und Raum geschaffenen Werte.

Für einen Kurswechsel in der Bau- und Immobilienwirtschaft setzt sich seit 2007 die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ein. Ihre Aufgabe ist es, nachhaltige Projekte durch ein Zertifizierungssystem auszuzeichnen und die Branche politisch zu unterstützen. Obwohl es Fortschritte gibt und einige Projekte deutlich nachhaltiger sind, ist der Standard in der Branche insgesamt noch weit von dem entfernt, was notwendig wäre. Derzeit steht der Bausektor im Fokus zahlreicher Krisen, die von der Erreichung der Klimaziele über den Flächenverbrauch bis hin zum Verlust der Biodiversität reichen. Die Brisanz der Herausforderungen kann man gar nicht hoch genug einschätzen: In diesem Jahrzehnt müssen wir massive Lösungen umsetzen, um die Klimaziele zu erreichen, den Flächenverbrauch zu reduzieren und die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.

Besonders drängend ist das Problem des enormen Flächenverbrauchs für Siedlungen und andere Nutzungen. Die Flächen stehen oft in Konkurrenz zur Nahrungsmittel- und Energieproduktion. Der durch den Klimawandel beschleunigte Verlust der biologischen Vielfalt ist eine weitere große Herausforderung. Die Wasserversorgung muss neu überdacht werden, um den Bedürfnissen von Mensch und Natur gerecht zu werden. Auch im sozialen Bereich sind wir mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, darunter Schadstoffe in Gebäuden, globale Lieferketten und die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Demografische Veränderungen wie die Zunahme von Single-Haushalten und die Zuwanderung erfordern zudem eine Anpassung unserer Wohnstrategien.

Darüber hinaus ist die wirtschaftliche Situation angespannt. Die Ressourcenpolitik wird zunehmend geopolitisch beeinflusst, die Baukosten steigen, Energiekosten und Zinsen sind unberechenbar. Diese Unsicherheiten erschweren die Planung langfristiger Investitionen. Besonders dramatisch ist die Situation im Hinblick auf die Klimakrise: Die Erderwärmung schreitet schneller voran als erwartet, extreme Wetterereignisse nehmen zu. In Deutschland stehen rund 21 Millionen Gebäude vor der Aufgabe, klimaneutral zu werden. Die Transformation kann nicht von „einzelnen Gebäuden“ alleine geleistet werden, sondern bedarf einer koordinierten Anstrengung im Rahmen der Wärmewende. Wir müssen eine systematische Wende hin zu nachhaltigem Bauen einleiten. Dies umfasst die Förderung der Kreislaufwirtschaft, die Reduzierung des Flächenverbrauchs und die Verbesserung der Energieeffizienz. Jeder Neubau sollte nicht nur den heutigen Anforderungen entsprechen, sondern auch an zukünftige technologische Entwicklungen anpassbar sein. Die Einführung klimaneutraler Gebäude und nachhaltiger Energiesysteme ist entscheidend.

Ein bloßes „Weiter so“ ist keine Option mehr. Unsere Geschäftsmodelle, Baupraktiken und unser Verständnis von Wert und Nachhaltigkeit müssen grundlegend überarbeitet werden. Um die Ziele zu erreichen, ist enge Zusammenarbeit erforderlich. Dabei müssen wir uns auf zehn wesentliche Aspekte konzentrieren, um den ökologischen Fußabdruck unserer Bau- und Immobilienaktivitäten zu reduzieren, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und unser Wirtschaftssystem zukunftsfähig zu machen. Konkret bedeutet das: Klimaneutralität durch energieeffiziente Gebäude erreichen, ressourcenschonende Materialien einsetzen, den Wasserverbrauch reduzieren, Biodiversität fördern, den Flächenverbrauch minimieren, inklusiven Wohnraum schaffen, ethische Lieferketten sicherstellen, langfristige Werte durch Kreislaufwirtschaft sichern und die Produktivität im Bausektor steigern.

Deshalb ist unsere Hausaufgabe für eine nachhaltig gebaute Zukunft: Die Bau- und Immobilienwirtschaft muss sich grundlegend wandeln. Wir haben die Chance, durch bewusste Entscheidungen und neue Ansätze eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Dies erfordert Mut, Engagement und einen klaren Fokus auf die drängenden Fragen unserer Zeit. Nur durch gemeinsames Handeln und konsequente Umsetzung der notwendigen Maßnahmen können wir die Herausforderungen meistern und eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen sichern.

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