Es könnte so schön für die MedTech-Branche sein, wenn da nicht die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) wäre mit der verheerenden Folge: Regulierung statt Innovation. Als rechtliche Grundlage zur Vermarktung von Medizinprodukten muss sie von den Herstellern seit Ende Mai 2021 angewendet werden. Das Problem: Die MDR stellt unklare Anforderungen und verursacht einen überbordenden Dokumentationsaufwand. Noch vor Geltungsbeginn am 26. Mai 2021 hatte die EU-Kommission die MDR wegen diverser Unzulänglichkeiten bereits dreimal geändert, eine vierte Änderung kam mittlerweile hinzu.
Etwa 70 Leitfäden zu Erläuterung des unverständlichen und teilweise fehlerhaften Textes existieren derzeit. Um die 90.000 Wörter umfassende MDR überhaupt interpretieren und die erforderliche Dokumentation zusammenstellen zu können, sind die Unternehmen gezwungen, Fachleute einzustellen. Diese sind auf dem Arbeitsmarkt nicht nur knapp, die entstehenden Kosten müssen erst einmal am Markt erwirtschaftet werden. Vor allem junge, kleine und mittelgroße Hersteller von Medizinprodukten in Deutschland bremst die MDR massiv aus: Sie verfügen nur über begrenzte Ressourcen an Kapital und Kompetenz für die Umsetzung der MDR. Aber auch Konzerne leiden. Die Kosten, die sie für die Rekrutierung der Fachleute und für die Dokumentation aufbringen müssen, fehlen in den Budgets für Forschung und Entwicklung. Die Folge: Die Branche verliert ihre Innovationskraft und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit. Die MDR wird dazu führen, dass viele deutsche Medizinprodukte und Unternehmen nicht am Markt bestehen können.
„The winner takes it all.“ In diesem Falle die USA, der mit Abstand wichtigste Medizintechnikstandort, mit dem Deutschland international konkurriert und auch „noch“ konkurrenzfähig ist. In den USA hat man die innovationshemmende Wirkung der Regulierung bereits erkannt und getreu dem amerikanischen Motto „erst einmal machen“ flexibilisiert man im Sinne der Erhaltung der Innovationskraft das eigene Zulassungssystem. Auch China sitzt Deutschland dicht auf den Fersen und arbeitet daran, zum wichtigsten Innovationsstandort für Medizintechnologien aufzusteigen. Ein weiteres Feld somit, in dem die EU respektive Deutschland droht, in die Drittklassigkeit abzurutschen.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Regulierung ist wichtig, sie darf Innovation aber nicht bremsen und schon gar nicht verhindern. Was muss sich also ändern?
Die Politik muss jetzt handeln und die regulierungsgeschwächte Branche unterstützen.
Die Förderrichtlinien müssen angepasst werden. Es gibt eine Vielzahl Bundesförderprogramme, die Erforschung und Entwicklung von Medizintechnik und Gesundheitssoftware mit Zuschüssen vorwettbewerblich fördern. Vorbereitende Arbeiten, die der späteren Zulassung als Medizinprodukt dienen, sind ebenfalls vorwettbewerblich und risikobehaftet, aber im Regelfall nicht förderfähig.
Weiterhin muss Deutschland systematisch Expertise zu allen Fragen der Marktzulassung von Medizinprodukten aufbauen und betroffenen Unternehmen und Organisationen zur Verfügung stellen. Der VDE empfiehlt hier regionale Kompetenzzentren für die Medizinproduktezulassung. Diese vermitteln Wissen und beschleunigen den Technologietransfer in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen und Instituten einer Region.
Schließlich muss Deutschland zu einem international vernetzten Medizintechnologie-Hub ausgebaut werden. Erfolgreich werden diejenigen Ansätze sein, die eine europäische oder internationale Perspektive berücksichtigen und die absehbar dominante Rolle Chinas einbeziehen.
Für die Branche sind Know-how in Sachen Regulierung sowie technologische und klinische Expertise entscheidend, um neue Technologien in die medizinische Versorgung zu überführen. Der VDE bietet sein Know-how aus der Normung, Beratung, Prüfung und Zertifizierung von Medizinprodukten an, um Unternehmen und Organisationen als „Navigator“ den Weg durch den Regulierungsdschungel zu weisen.