Steuerungstechnik Faszination Spiegelwelten

Bild: Mitsubishi Electric
04.06.2014

Spiegel, die ihre Umwelt surreal und verzerrt wiedergeben, kennt man aus dem Spiegelkabinett des örtlichen Volksfestes. Doch auch für die Kunst bieten diese Effekte spannende Möglichkeiten. Im Kunstobjekt "Die Kugel" steckt nicht nur eine faszinierende Spiegelwelt, in ihr stecken auch System­integration und Antriebstechnik auf hohem Niveau.

Surreale, verzerrte Spiegelbilder und eigenartige, den Körper durchdringende Klänge und Schwingungen – der Verstand tut sich schwer mit den unbekannten Eindrücken und Empfindungen, die den Besucher des Kunstobjektes Die Kugel erwarten. Die zehn Tonnen schwere, begehbare Edelstahlkugel mit einem Durchmesser von 3,5 Metern ist von außen rostig, schroff und roh. Der italienische Objektkünstler Sergio Bovenga will damit den Eindruck erwecken, die Kugel sei aus dem Weltall auf die Erde gefallen. Im hochglanzpolierten Inneren verbirgt sich für den Besucher eine sonderbare Spiegelwelt individueller Sinneserlebnisse.

Der schwarze Unterbau, auf dem die Kugel ruht, wirkt unscheinbar. Darunter verborgen ist eine Metallkonstruktion mit vier hydraulischen Füßen, über die das gesamte Kunstwerk für Transportzwecke höhenverstellbar ist, sowie ein ausgefeiltes Servo-Motion-System, mit dem sich die Kugel trotz ihres enormen Gewichts fließend bewegen lässt. Dazu liegt das Stahlobjekt auf drei eigens angefertigten Kranlaufrädern mit Polyamid-Beschichtung.

Präzision ist gefragt

Eine begehbare Kugel mit einer Spiegelfläche im Inneren lautet die ursprüngliche Idee des Künstlers. Umgesetzt hat das Projekt Saage Treppenbau & Biegetechnik, in der Branche bekannt für außergewöhnliche Form- und Biegetechniken. Um den in einer Halterung fest verschweißten Deckel beim Verschließen präzise auf die Kugelöffnung auflegen zu können, holt der Metallbauer ATS Orgassa als Systemintegrator ins Boot. Die Ausrichtung muss zwei Zehntelmillimeter genau sein, um das Metall nicht zu beschädigen. Dazu ist eine entsprechend exakte Steuerung notwendig.

Aus automatisierungstechnischer Sicht handelt es sich bei dem Projekt um die synchrone Ansteuerung von Achsen, wie beispielsweise bei Verpackungsmaschinen. Allerdings übertrifft das technische Entwicklungsniveau der Kugel das von industriellen Anwendungen bei Weitem. Während der Programmierung der Steuerung kam dem Integrator die Idee, ein GPS einzubinden und damit die Kugelöffnung auf geographische Punkte der Erde, zum Beispiel von Mekka nach Jerusalem, aber auch auf bestimmte Sternenorte wie Sonne, Mond und Mars auszurichten. Dieser Vorschlag trifft beim Künstler auf offene Ohren.

Kunst mit Automatisierung

Die Automatisierungslösung basiert auf einer Mitsubishi Electric iQ Platform, auf der die modulare Steuerung Melsec System Q, SPS- und Motion-CPU, fünf I/O-Module sowie eine Ethernet-Karte zur Anbindung an die Außenwelt Platz finden. Sämtliche Automatisierungsaufgaben fließen in der Melsec System Q als zentrale Steuerung zusammen. Zudem ist eine separate Sicherheits-SPS der Melsec WS-Serie in das System eingebunden. Über das Software-Paket iQ Works lässt sich das komplette System – von der SPS- und Motion-CPU bis zum GOT – einfach programmieren und in Betrieb nehmen, was dem Integrator besonders wichtig ist.

GigE-Kameras zur Orientierung

Da weder die Technik noch sonstige Markierungen zur Positionsbestimmung von außen sichtbar sein dürfen, entwickelt der Integrator eigene Orientierungshilfen: mathematisch angeordnete, reflektierende Referenzpunkte aus einer speziellen, haltbaren Lackmischung, die nur mit ultraviolettem Licht zu erkennen sind. Zwei Industrie-Gigabit-Ethernet-Kameras mit integrierter Schwarzlichtquelle und einer Bildverarbeitungs-Software erkennen die reflektierende Markierung, selbst wenn einige Punkte verrauscht oder verdeckt sein sollten. Das Muster wird mithilfe der MELSEC Engineering-Software MX Component über Ethernet an die Steuerung übertragen.

Die Räder, auf denen die Kugel aufsitzt, drehen sich regulär vor- und rückwärts und befinden sich zusätzlich in Halterungen, die eine Rotation um die eigene Achse erlauben, sodass eine fließende Bewegung ohne Beschädigung der Oberfläche gewährleistet ist. Dazu verbinden fünf Servoverstärker aus der Melservo-J3-Serie die Steuerung mit den Servomotoren der Räder. Drei MRJ3-40B mit 400 Watt sorgen für die reguläre Drehung, zwei 700 Watt starke MRJ3-70B ermöglichen die rotierende Bewegung. Eine besondere Herausforderung für den Integrator ist die Berücksichtigung der Quaternionen, denn nur mithilfe dieser vierdimensionalen Vektoren lassen sich die Rotationen der Räder beschreiben. Die Servoverstärker sind über SSCNET III an die Motion-CPU angeschlossen Die Informationsübertragung über den Lichtwellenleiter-Bus kann also nicht durch elektromagnetische Felder gestört werden. Die integrierte Auto-Tuning-Funktion der Servoverstärker sorgt für eine besonders ruhige, homogene Bewegung. Eine Batterie liefert dem Wegmesssystem in den Antrieben den nötigen Strom, sodass ein Absolutsystem entsteht.

Die Bedienung der Antriebstechnik zur Kugelsteuerung läuft wahlweise über ein stationäres oder ein tragbares HMI der GOT-Serie von Mitsubishi Electric. Das leistungsstarke GT16 ist über Ethernet mit dem System verbunden. Das kleinere Handy-GOT vom Typ GT11 bietet dieselben Funktionen, ist aber über ein 15 Meter langes Kabel an die SPS-CPU angeschlossen. Dieser Bewegungsspielraum ist bei der Inbetriebnahme hilfreich, da der Integrator so die Maschine bei der Einrichtung aus nächster Nähe hören, sehen und spüren kann.

Spieglein, Spieglein…

Das Erlebnis in der Kugel fasziniert. Dem Besucher widerfährt ein ähnliches Phänomen, wie man es von gewöhnlichen Hohlspiegeln kennt, zum Beispiel von Kosmetikspiegeln oder der Innenseite eines Löffels: Steht der Betrachter nahe genug davor, wird er vergrößert dargestellt. Entfernt er sich vom Spiegel, steht sein Bild ab einer bestimmten Distanz auf dem Kopf. In der Kugel ist das eigene Spiegelbild um 180 Grad nach oben gedreht. Die Augen eines durchschnittlich großen Menschen von etwa 1,70 Meter ruhen ungefähr im Zenit der Kugel. Doch aufgrund von Wölbung und Spiegelung wirken die Dimensionen der Kugel im Inneren verzerrt.

Bildergalerie

  • Das Äußere der Kugel soll laut Künstler Sergio Bovenga an ein Objekt aus dem Weltall erinnern, welches auf die Erde gefallen ist

    Das Äußere der Kugel soll laut Künstler Sergio Bovenga an ein Objekt aus dem Weltall erinnern, welches auf die Erde gefallen ist

    Bild: Mitsubishi Electric

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