Spielte menschliches Wissen bislang hauptsächlich als Datenquelle beim Anlernen künstlicher Intelligenz eine wichtige Rolle, gehen die Aachener Forscherinnen und Forscher nun im Projekt „GeMeKI – Generalisierung von menschzentrierten KI-Applikationen für die Produktionsoptimierung“ einen Schritt weiter: Gemeinsam mit namhaften Industriepartnern entwickeln sie zu drei ausgewählten Fertigungsverfahren die Komponenten für ein bedienerfreundliches Expertensystem, das den Menschen und nicht die Softwareanwendung in den Mittelpunkt stellt.
Ziel ist es, die Mensch-Maschine-Interaktion in beide Richtungen zu verbessern und auf diese Weise auch die Akzeptanz digitaler Assistenzsysteme im betrieblichen Alltag zu steigern. Als Ergebnis des Forschungsprojekts entsteht ein Gesamtsystem aus KI, Sensorik und Produktionstechnik, das sich, im Gegensatz zu den bisher häufig eingesetzten Insellösungen, nahtlos in die Wertschöpfungskette einfügen kann und sich an beliebige weitere Anwendungsfelder anpassen lässt.
Interaktion über vielfältige Schnittstellen stärkt die KI-Modelle
Für die Nutzerinnen und Nutzer gibt es in diesem System stets mehrere Schnittstellen zur Interaktion: An die Stelle des gängigen unidirektionalen Ablaufs, bei dem der Mensch die gefundenen Lösungswege der KI bewertet, selbst aber kein Feedback erhält, soll hier ein dynamischer, bidirektionaler Prozess entstehen.
Das bedeutet, dass die Nutzenden in der Anwendung der gefundenen Lösungen aktiver als bisher in das Geschehen eingreifen, selbstständig korrigieren können und mithilfe von Sensorik neue, verbesserte Rohdaten erzeugen, die die KI-Modelle mit weiteren Informationen anreichern.
Wie dies genau funktionieren kann, erproben die Aachener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anhand von drei Beispielprozessen, die in produzierenden Unternehmen immer wieder eingesetzt werden: dem Fügen, dem Trennen und dem Umformen.
Geteiltes Expertenwissen senkt Ausschuss
Beim Fügen elektrischer Bauteile zu einem Gesamtsystem werden oft Klebeprozesse eingesetzt. Hier kommt es auf die richtige Dosierung des Klebstoffs an, aber auch auf Umgebungsfaktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Materialeigenschaften. Im Projekt „GeMeKI“ erprobt Miele & Cie. gemeinsam mit Xenon Automatisierungstechnik und dem Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen, wie sich die Fertigung kleiner Elektromotoren durch KI-Einsatz verbessern lässt.
Dazu greift das Assistenzsystem auf Expertenwissen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zurück. Denn diese sind aufgrund langjähriger Erfahrung in der Lage, die Beschaffenheit der Kleberaupen an Rotor, Kugellager und Stator mit dem Klebeprozess intuitiv zu beurteilen. Die KI leitet aus den diesen Rückmeldungen selbstständig Regeln ab, anhand derer später auch weniger erfahrene Arbeitskräfte befähigt werden können, zutreffende Urteile über die Qualität der verklebten Bauteile zu fällen. Zusätzlich lassen sich auch nachgelagerte und stichprobenhafte zerstörende Prüfprozesse einsparen und Ausschuss um bis zu zehn Prozent senken.
Verlässliche Informationen steigern Verfügbarkeit und Performance
Das Einrichten von Maschinen zur Hochleistungszerspanung ist regelmäßig mit hohem Zeitaufwand verbunden: Bis zu vier Monaten dauert der Produktionsanlauf für komplexe Bauteile mit Genauigkeiten im Mikrometerbereich. Mit dem Ziel, den Ramp-up-Prozess zu verkürzen, arbeiten der Anlagenhersteller Starrag Technology, Weiss Spindeltechnologie, Siemens und das WZL der RWTH Aachen an einem bedienerfreundlichen Expertensystem, das während der Bearbeitung anhand integrierter Sensorik die Belastung und den Zustand der Werkzeugspindel überwacht.
Die gewonnenen Daten werden nahezu in Echtzeit durch Algorithmen des maschinellen Lernens weiterverarbeitet und Anwenderinnen und Anwendern direkt an der Maschine leicht verständlich visualisiert. So kann das System ihnen verlässliche Informationen und Vorschläge unterbreiten, die die Verfügbarkeit und Performance der Prozesse verbessern und auf diese Weise dabei helfen, die Zeit bis zum Produktionsanlauf um bis zu 20 Prozent zu verkürzen.
KI und Augmented Reality verbessern die vorausschauende Wartung
Auch effiziente Kaltumformprozesse, beispielsweise in der Automobilindustrie oder der Luftfahrtbranche, erfordern gute Fachkenntnisse der Maschinenbedienenden. Den Verschleiß komplexer Folgeverbund- und Transferwerkzeuge erkennen langjährige Expertinnen und Experten nicht selten intuitiv oder anhand der Geräusche, die sich im Einsatz der Werkzeuge mit der Zeit verändern.
Der Werkzeughersteller Franz Pauli, Meastream und das Fraunhofer IPT gehen im Projekt „GeMeKI“ der Frage nach, wie sich eine vorausschauende Werkzeugwartung und die Einhaltung von Qualitätsstandards durch den Einsatz von KI und Augmented Reality (AR) verbessern lassen.
Mittels des AR-Systems können Werkerinnen und Werker , fehlerhafte Bauteilstellen markieren. Diese Fehlerdaten fließen in das KI-System zurück und bereichern die Lerngrundlage der KI. Unterstützt wird das System durch eine Laserbeschriftungseinheit, die in das Werkzeug integriert wird. Anhand einer eindeutigen Lasercodierung lassen sich gefertigten Werkstücke durch das KI-System identifizieren.
So kann das System aus der vollständigen Datenbasis des Fertigungsprozesses Zusammenhänge zwischen Werkstückqualität, Prozessführung und Werkzeugzustand ableiten. Den Werkerinnen und Werkern helfen die Informationen, bei der Dokumentation und bei der Prozessdiagnose zur Verringerung von Ausschuss und ungeplanten Wartungsarbeiten. So könnten sich in Zukunft in der Auftragsfertigung zwischen fünf und zehn Prozent der Fertigungskosten einsparen lassen.
KI und menschliche Expertise auch für weitere Einsatzgebiete nutzbar machen
Die drei Beispielanwendungen dienen den Forschungspartnern dazu, Standards für die Entwicklung und Einführung von KI-basierten Expertensystemen in der Produktion zu setzen. In allen drei Fällen wird deshalb auch die Übertragbarkeit der erarbeiteten Lösungen auf andere Anwendungsfelder berücksichtigt.
Ziel des Projektkonsortiums ist es, die Anlernzeit der KI durch eine stärker menschenzentrierte Entwicklung von KI-Werkzeugen und die Einbindung von Augmented Reality um bis zu zwanzig Prozent zu verkürzen. Ihre Einführung in Unternehmen, die heute einige Wochen bis zu mehreren Monaten dauert, soll sich durch die menschenzentrierten, digitalen Einführungs- und Begleitkonzepte um bis zu 25 Prozent verkürzen.
Die Projektpartner Aixbrain, MT Analytics und Youse unterstützen darüber hinaus bei der Entwicklung passender Dienstleistungen und der Implementierung der KI-Systeme in den beteiligten Unternehmen. So steht am Ende des Projekts neben neuem Grundlagenwissen über die Regelkreise der Mensch-Maschine-Interaktion und den Einsatz Künstlicher Intelligenz ein Gesamtpaket aus drei Best Practices zur Verfügung, deren Konzepte sich leicht an weitere Anwendungsfälle und Fertigungsszenarien anpassen lassen.
Das Forschungsprojekt „GeMeKI – Generalisierung von menschzentrierten KI-Applikationen für die Produktionsoptimierung“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Forschungsprogramm „Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ unter dem Förderkennzeichen 02P20A111 gefördert.