Bauteileverknappung in der Elektronik „Firmen müssen Alternativen zu Bauteilen einplanen“

wts // electronic components GmbH

Wolfgang Tschierswitz, Geschäftsführer von wts // electronic components

Bild: wts electronic components
04.10.2018

Zwei Jahre Wartezeit auf einen Widerstand - vor Kurzem war das noch unvorstellbar. Deshalb traf die Verknappung bei passiven Bauelementen viele Unternehmen auch vollkommen unvorbereitet. Wie Firmen mit der schwierigen Situation umgehen können, erklärt Wolfgang Tschierswitz, Geschäftsführer von wts // electronic components, im Interview.

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E&E:

Wie lange sind zurzeit bei Ihnen die Lieferzeiten für Widerstände?

Wolfgang Tschierswitz:

Bei MELF-Widerständen des Herstellers Vishay liegen wir aktuell bei 90 bis 137 Wochen. Wenn Sie also jetzt bestellen, erhalten Sie Ihre Widerstände in gut zweieinhalb Jahren. Deshalb haben wir auch bereits Aufträge für 2020 und 2021.

Bei Vishay soll die Situation besonders schwierig sein.

Das stimmt. Vishay ist bei MELF-Widerständen und bestimmten Flach-Chip-Widerständen der Weltmarktführer. Auch technisch sind sie die besten am Markt. Deshalb gibt es besonders viele Designs nur mit diesen Widerständen.

Bei welchen passiven Bauteilen gibt es zurzeit Lieferengpässe?

Das betrifft vor allem Widerstände und Kondensatoren. Lieferengpässe gibt es wie gesagt vor allem bei MELF-Widerständen, besonders beim Micro-MELF. Bei Kondensatoren sind es besonders Keramik- und Elektrolyt-Kondensatoren. Da nehmen viele der großen Hersteller schon kaum noch Aufträge an oder bestätigen weder Preis noch Lieferzeit. Keramik-Hochvolt-Kondensatoren bei unserem Hersteller Knowles, haben mit 25 Wochen noch verhältnismäßig kurze Lieferzeiten.

Wie ist das bei Ihnen, bestätigen Sie noch Preise?

Uns geht es ganz genauso. Wir nehmen zwar Aufträge an, weisen aber darauf hin, dass wir den aktuellen Preis nicht garantieren können. Eine Preiszusage bei zweijährigen Lieferzeiten ist einfach nicht möglich. Niemand weiß, wie sich diese bis 2020 oder 2021 entwickeln. Zumal bereits einige Hersteller angekündigt haben, dass sie spätestens zum kommenden Jahreswechsel die Preise anheben werden.

Wie stark werden diese steigen?

Wir gehen von Erhöhungen im zweistelligen Prozentbereich aus. Bei keramischen Kondensatoren sind mittlerweile Preiserhöhungen von 70 Prozent völlig normal. Dazu werden die neuen Preise von den Herstellern immer mit einer Backlog Anpassung verbunden.

Passive Bauelemente werden oft als Massenware gesehen, als Schüttgut. Auf solche Preiserhöhungen waren sicherlich viele Firmen nicht vorbereitet.

Das war die eigentliche Schwierigkeit in der Vergangenheit. Deshalb hat kein Anwender die Warnungen vor Allokationen ernst genommen. Bisher waren diese Bauteile immer verfügbar. Wenn ein Distributor keine auf Lager hatte, sind die Anwender zum nächsten gegangen. Jetzt sind bei allen die Lager leer. Das ist eine komplett neue Situation für die Kunden.

Wann wird sich die Situation wieder entspannen?

Das ist schwer zu sagen. 2019 und 2020 werden sich die Lieferzeiten nicht signifikant verkürzen. Die Hersteller haben zwar angekündigt, in zusätzliche Fabriken und Maschinen zu investieren. Es dauert aber mindestens ein Jahr, wenn nicht länger, bis die Produktion dann wirklich anläuft. Außerdem wächst der Bedarf an diesen Bauelementen auch beständig. Für Smartphones gibt es zum Beispiel Prognosen, dass zukünftig zehn bis fünfzehn Prozent mehr keramische Kondensatoren benötigt werden. Im Automotive-Bereich sollen es sogar bis zu vierzig Prozent mehr sein. Auch in Ländern wie China und Indien steigt die Nachfrage nach diesen Anwendungen sehr stark an.

Ist der höhere Bedarf der Hauptgrund für die Verknappung?

Es ist ein Grund, aber nicht der hauptsächliche. Bauelemente wie Widerstände und Kondensatoren waren in der Vergangenheit einem ständigen Preisdruck ausgesetzt. Bei jeder Bestellung versuchten die Firmen, den Preis zu drücken. Einige Hersteller haben deshalb bestimmte Produktgruppen, beispielsweise Dickschichtwiderstände, abgekündigt. Die Fertigung war einfach nicht mehr lukrativ oder kostendeckend. Außerdem wollen aus Kostengründen immer weniger Hersteller große Baugrößen wie etwa 0805 oder 1206 fertigen. Gerade im Konsumbereich werden vor allem kleine Baugrößen, wie 0402, 0201 oder 01005 verbaut. Für die Hersteller rentiert es sich, kleine Widerstände zu fertigen. Aus einem Substrat bekommen sie ungefähr zwanzigtausend Widerstände der Größe 0402, aber nur zehntausend der Größe 0805 heraus. Für europäische Firmen wird das zum Problem, weil sie vor allem große Baugrößen verbauen. In Asien nutzen die Firmen hauptsächlich 0402 und kleiner. Die Entwicklungsabteilungen europäischer Unternehmen müssen deshalb umdenken und kleinere Baugrößen in die Designs einbeziehen.

Welche Rolle spielen sogenannte Spekulationskäufe, also das Aufkaufen von bestimmten Produktgruppen, um die Preise in die Höhe zu treiben?

Eine gewisse Blase ist sicherlich dabei. Als sich die Verknappung abzeichnete, haben sich einige Unternehmen bestimmt mit mehr Bauteilen eingedeckt, als sie eigentlich benötigten. Einfach um vorzusorgen. Entscheidend für die momentane Situation ist das aber nicht.

Sie haben erwähnt, dass die Hersteller von Widerständen und Kondensatoren ihre Fertigung ausweiten werden. Wird das ausreichen, um den Bedarf zu decken?

Da bin ich skeptisch. Die Hersteller werden ihre Produktionsmengen in einem vertretbaren Umfang erhöhen. Einen riesigen Ausbau wird es aber sicher nicht geben. Die Hersteller wissen schließlich auch, dass sich die Situation schnell wieder ändern kann. Und dann würden sie auf ihren Maschinen sitzen und könnten mit ihren riesigen Kapazitäten nichts anfangen. Bei Keramik-Kondensatoren investieren die Marktführer gerade sehr stark in die Produktion von Kleinbaugrößen. Wie gesagt ist der Bedarf bei diesen deutlich höher als bei den großen Baugrößen.

Wie gehen Sie bei wts mit den langen Lieferzeiten um?

Als wir die ersten Anzeichen davon bemerkten, haben wir sofort unsere Kunden per E-Mail und Telefon auf die Gefahr hingewiesen. Damals lagen die Lieferzeiten bei etwa 20 bis 30 Wochen. In vielen Fällen sind wir dafür belächelt worden. Wir haben uns dennoch sofort nach zusätzlichen Herstellern umgesehen und unseren Kunden diese Alternativen vorgeschlagen. Die Anzahl der Auswahloptionen ist allerdings begrenzt bei MELF-Widerständen. Bei diesen gibt es weltweit nur drei in Frage kommende Hersteller. Mittlerweile sind die natürlich auch alle ausgebucht. Die Lieferzeiten haben zwar noch nicht das Niveau wie bei Vishay erreicht, aber mit circa 50 Wochen muss man auch dort rechnen.

Immer noch eine sehr lange Zeit…

Auf jeden Fall. Trotzdem sind das 70 Wochen weniger. Mit der Hinzunahme von zusätzlichen Herstellern sind wir sehr erfolgreich. Viele unserer Indus- triekunden haben mittlerweile einen zweiten und dritten möglichen Hersteller freigegeben. Da können wir dann gut variieren und dem Kunden die Bauteile desjenigen liefern, die früher verfügbar sind. Außerdem haben wir mit vielen Kunden bis 2020 oder sogar 2021 durchdisponiert. Das hilft natürlich auch die Situation zu entspannen.

Konnten Sie für alle Komponenten Alternativen finden?

Nicht für alle, aber immerhin für 90 bis 95 Prozent. Wir haben mittlerweile eine Partnerschaft mit KOA. Die hilft uns sehr stark, gerade im Bereich Shunt-Widerstände. Für manche Bauteile existiert aber kein Ersatz, weil es für deren Spezifikationen und Bauformen einfach keine Alternative gibt. Manche Anwendungen reizen die Widerstände oder Kondensatoren auch so stark aus, dass keine anderen in Frage kommen.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Viele Hersteller bieten Micro-MELF-Widerstände der Baugröße 0102 mit 0,2 W an. Der Micro-MELF von Vishay hat aber als Power-Variante 0,3 W. Viele Kunden nutzen genau diese 0,3 W aus. Deshalb können wir ihnen nicht einfach einen anderen 0102-Micro-MELF anbieten. Darum ist es so wichtig, dass wir mit der Technik- und Entwicklungsabteilung der Kunden eng im Gespräch sind. Damit wir die Anforderungen an die Bauteile genau kennen.

Werden Sie die zusätzlichen Hersteller in Zukunft weiterhin im Sortiment behalten oder ist das nur eine vorübergehende Erweiterung?

Das behalten wir bei. Vor allem unsere High Runner, wie MELF- und Flach-Chip-Widerstände, bieten wir auch zukünftig parallel von mindestens zwei Herstellern an. Wir gehen davon aus, dass die Kunden auch nach einer Entspannung der Lieferzeiten weiterhin offen für gleichwertige Bauteile von mehreren Herstellern bleiben. Es also für sie keine große Rolle spielt, von welchem Hersteller die Komponente jetzt stammt. Solange natürlich auch der Preis stimmt.

Wie gehen Firmen mit der aktuellen Situation am besten um?

Ganz wichtig ist es wie gesagt langfristig zu disponieren, also bis 2020, besser noch bis 2021. Wichtig ist es auch mit der Entwicklung zu sprechen und Bauteile von zusätzlichen Herstellern freizugeben. Mindestens einer sollte es sein, noch besser sind natürlich zwei oder drei. Eine weitere Option sind andere Baugrößen oder Ausführungen von Bauteilen. Teilweise lassen sich etwa Widerstände mit kürzeren Lieferzeiten verwenden. Das sollten Unternehmen ebenfalls überprüfen. Wir stehen unseren Kunden dabei natürlich beratend zur Seite.

Ist das denn so einfach möglich?

Die Option besteht öfter als gedacht. Teilweise kann man zum Beispiel statt eines MELF- auch einen Flach-Chip-Widerstand verwenden. Dadurch wird die Schaltung meist auch noch etwas kleiner, teilweise sinken die Kosten und die Schaltung funktioniert genauso. Bei vielen Firmen gab es bisher einen bestimmten Pool an freigegebenen Bauelementen. Bei neuen Produkten griffen die Ingenieure dann gerne auf diese bereits freigegebenen Komponenten zurück. Dadurch sparten sie sich den ganzen Freigabeprozess von neuen Bauteilen. Und bisher war das auch kein Problem, schließlich waren alle jederzeit verfügbar, und preislich war der Unterschied auch nicht besonders groß. So einfach ist das mittlerweile aber nicht mehr. Da müssen die Firmen umdenken.

Gefälschte Bauteile werden zu einem immer größeren Problem in der Elektronik. Steigt ihre Anzahl nun auch bei den passiven Bauelementen?

Das bemerken wir auf jeden Fall. Früher wurden vor allem wertige Bauelemente wie Dioden oder Mikroprozessoren gefälscht. Mittlerweile bauen die Fälscher aber auch Widerstände und keramische Kondensatoren nach. Wir bekommen regelmäßig E-Mails mit Angeboten, vor allem aus China. Davon lassen wir aber die Finger. Bei allen unseren Einkaufs- und Vertriebsmitarbeitern steht klar im Arbeitsvertrag, dass nur bei unseren Herstellern oder im Notfall bei autorisierten Distributoren gekauft werden darf. Auf dem Schwarzmarkt kaufen wir definitiv nichts ein, selbst wenn die Lieferzeiten noch weiter steigen sollten.

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