Die tatsächliche Leistungsfähigkeit einer technischen Anlage entscheidet sich nicht im Entwicklungslabor – letztlich muss sie die angepeilten Spitzenwerte jahre- oder sogar jahrzehntelang verlässlich unter Beweis stellen. Doch Verschleiß und technische Probleme nagen an der prognostizierten Effektivität. Während herkömmliche Anlagen also kontinuierlich an Effizienz und Wert verlieren, zeichnet sich ein gegenläufiger Trend in Form fortschrittlicher Servicekonzepte ab.
Ein Beispiel aus dem Bereich der Druckluftanlagen ist das Servicekonzept Selectcair, das der Bielefelder Druckluftspezialist Boge für seinen ohnehin wartungsarmen High-Speed-Turbokompressor Boge HST entwickelt hat. Dabei ist maximale Druckluftverfügbarkeit das oberste Gebot. Eine 24-Stunden-Recovery-Option garantiert dem Kunden, dass Servicetechniker höchstens 24 Stunden benötigen, um eine stillstehende Maschine wieder in Betrieb zu nehmen.
Damit es aber erst gar nicht zu einem Stillstand kommt, enthält das Selectcair-Konzept zusätzlich ein umfassendes Software- und Dienstleistungspaket namens Boge Analytics. Mit Hilfe dieses Pakets lassen sich Maschinen kontinuierlich überwachen, um im Falle einer Grenzwertüberschreitung oder eines ungewöhnlichen Laufverhaltens sofort reagieren zu können. Darüber hinaus liefert die Servicefunktion Predictivecair präzise Vorhersagen zum Eintritt eines möglichen Schadensfalls, was zu einem verringerten Ausfallrisiko und minimierten Stillstandszeiten führt.
Aber das Analytics-Paket ist nicht nur für die Schadensminimierung gedacht: Mittels der intelligenten Datenanalyse ist es ebenso möglich, die Maschinenperformance umfassend auszuwerten und die Effizienz der Maschine kontinuierlich zu steigern. Dabei ermöglicht die Funktion „Airstatus“ eine Fernüberwachung der Druckluftanlage. So kann der Kunde seine Daten von jedem beliebigen Ort aus kontrollieren beziehungsweise analysieren. Optional kann er auch das komplette Druckluftmanagement an Boge delegieren.
Individuelle Analytics-Lösung
Ein für das Serviceversprechen entscheidendes Element ist die Analytics-Software von Weidmüller Interface. Die Software deckt Fehler oder Betriebsanomalien frühzeitig auf und verhindert so, dass sich kleine Auffälligkeiten in einen größeren Schaden wandeln.
Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit mit Weidmüller? „Der Startschuss für das Projekt fiel schon im Oktober 2016“, erklärt Georg Jager, Teamleiter Turbomaschinen bei Boge Kompressoren. „Wir haben zunächst in einer Machbarkeitsstudie untersucht, ob Weidmüller uns mit einer individuellen Analytics-Lösung unterstützen kann. Anschließend führten die Weidmüller-Spezialisten eine aufwändige Datenanalyse durch, um eine für den HST-Kompressor maßgeschneiderte Lösung zu entwickeln.“
Die Fragestellung an Weidmüller war klar: Welche Daten werden benötigt, um eine konkrete Prognose für einen möglichen Kompressorschaden liefern zu können? Zu diesem Zweck untersuchte das Industrial-Analytics-Team von Weidmüller die Daten mit Hilfe mathematischer Verfahren, bewertete die Datenqualität und beurteilte gemeinsam mit Boge deren Relevanz. Dabei flossen spezifisches Know-how zum Druckluftsystem sowie umfassende Betriebserfahrung in die Bewertung ein.
Anschließend sortierten die Weidmüller-Experten radikal aus und reduzierten die Datenquellen auf ein Minimum. Dabei zeigte sich, dass es nicht auf einzelne Werte, sondern auf Datenmuster ankommt. So entstand ein komplexes Datenmodell der Normalität – und bei jedem Abweichen der Werte vom Modell gibt das System eine Warnung aus und sagt einen möglichen Schadensfall voraus. Das Beste daran: Das Modell passt sich an jede neue Fehlermeldung und jede Rückmeldung des Bedieners an. So liefert die Analytics-Lösung über die gesamte Betriebszeit des Kompressors hinweg immer genauere Vorhersagen.
Präzise Prognose
Alle modellrelevanten Daten stammen von Messtechnikkomponenten, die ohnehin im Kompressor vorhanden sind. Es muss also keine Sensorik nachgerüstet werden. Die Werte geben beispielsweise Auskunft über Temperaturen, Druckverhältnisse oder den Verlauf des Stromverbrauchs. Die Datenübermittlung erfolgt über sichere Kommunikationswege mittels GSM/SIM-Karte.
Da die Analytics-Lösung lokal beim Kunden installiert wird, ist das System mit der Anlagensteuerung verknüpft. Alle Daten lassen sich vor Ort analysieren, und der Kunde hat jederzeit Zugriff auf relevante Informationen. Eine Datenübertragung in die Cloud ist möglich, aber kein Muss.
Liegen Messwerte außerhalb eines vorher festgelegten Toleranzbereichs, kontaktiert Boge den Kunden, weist ihn auf das aktuelle Problem hin und gibt Lösungsempfehlungen. Gemeinsam wird dann entschieden, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen, um den weiteren Betrieb zu gewährleisten, und wie sich die Effizienz der Maschine erhöhen lässt – das Analytics-Paket beinhaltet nämlich zusätzlich die Möglichkeit, die Laufzeit von Maschinenbauteilen durch kontinuierliche Weiterentwicklung zu verlängern. Die intelligente Datenanalyse führt zu einer dauerhaft hohen Druckluftverfügbarkeit. Eine Investition in Redundanzanlagen ist nicht mehr nötig.