Grundlagen des Time-Sensitive Networking Echtzeit-Ethernet: Pflicht und Kür beim TSN

Moderne Automatisierungsnetze sind von Durchgängigkeit von der Feldebene zur Cloud geprägt und der Notwendigkeit, Hintergrund- und Echtzeitdaten gleichzeitig zu übertragen.

Bild: Belden
10.09.2017

Für das Netzwerken benötigen Maschinen ein universelles Echtzeit-Ethernet für alle Fälle. Dafür legt Time-Sensitive Networkings den Grundstein dafür gelegt. Was Gerätehersteller dafür beachten müssen, erfahren Sie hier.

Zwei Trends prägen die Netzwerke des Industrial Internet of Things (IIoT) und der Industrie 4.0: Ein stark steigender Bedarf nach Übertragungsbandbreite durch die deutlich erhöhte Anzahl an Feldgeräten und Sensoren und die Anforderung, die von diesen Sensoren gesammelten Daten zusammen mit Steuerungs- und Regelungsinformationen unter Echtzeitanforderungen von der Feldebene in die Cloud zu übertragen. Für beide Trends ist Time-Sensitive Networking (TSN) mit seiner hohen Bandbreite und Garantien für Ende-zu-Ende-Übertragungsverzögerungen die ideale technische Basis, um die Netzwerke des IIoT Wirklichkeit werden zu lassen.

TSN-Standards

TSN ist nicht gleich TSN: Unter dieser Bezeichnung sind verschiedene Teilverfahren beschrieben, die unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Die Teilstandards können dabei wie in einem Baukastensystem bedarfsgerecht in ein Gerät integriert werden. Nicht jedes Gerät muss daher zwingend jedes TSN-Verfahren unterstützen. Es gibt jedoch grundlegende Standards, die zwingend notwendig sind. Doch welche sind das? Also: Was ist Pflicht und was ist Kür?

Die Pflicht: Eine wesentliche technische Grundlage ist die Verfügbarkeit von synchronisierten Uhren in allen TSN-Teilnehmern. Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Geräte im Netzwerk geht beim Time-Sensitive Networking über das für Ethernet bisher übliche Maß hinaus: Bei TSN müssen alle Geräte im zeitlichen Ablauf und in der Funktion vollständig aufeinander abgestimmt agieren. Ohne Zeitsynchronisation ist kein TSN-Betrieb möglich. Zwar schreibt die Technologie kein bestimmtes Verfahren zur Synchronisation vor, jedoch wird üblicherweise das IEEE 1588 Precision Time Protocol (PTP) für die Zeitsynchronisation eingesetzt. Ist für den gewünschten Einsatzbereich bereits ein bestimmtes PTP-Profil beschrieben, so kann dieses weiter für TSN verwendet werden. Konkrete Beispiele sind das Profil IEEE C37.238 für den Bereich der Energieautomatisierung oder das Profil IEEE 1588-2008, Annex I für Profinet-Netzwerke. Ebenso kann zukünftig das Profil IEEE 802.1AS-Rev eingesetzt werden, das aktuell in der IEEE 802.1 TSN Task Group spezifiziert wird. Welches Verfahren verwendet wird, ist unerheblich. Wichtig ist lediglich, dass alle Geräte in einem TSN-Netzwerk ein identisches oder kompatibles Verfahren verwenden, damit die Uhrensynchronisation bei allen Teilnehmern gewährleistet ist.

Weiterhin muss auf jedem Gerät die Möglichkeit vorgesehen sein, die TSN-Mechanismen zu konfigurieren. Diese Konfiguration kann zentralisiert über ein Netzwerkmanagementsystem erfolgen oder dezentral über Bandbreiten- und Pfadreservierungen, die im Netzwerk verteilt und von den Geräten ausgewertet werden.

Die Kür: Alle weiteren TSN-Verfahren können, weitestgehend voneinander losgelöst, nach Bedarf in die Geräte integriert werden. Hierbei lassen sie sich grob in drei Kategorien einteilen:

  • Verfahren zur Ablaufkontrolle (Scheduling)

  • Verfahren und Schnittstellen zur Geräte- und Netzwerkkonfiguration

  • Unterstützungsverfahren für Leistung, Sicherheit und Fehlertoleranz

Die wichtigsten Elemente für den TSN-Einsatz stellen die Verfahren zur Ablaufkontrolle dar. Aktuell werden drei einzeln oder kombinierbar verwendbare Verfahren diskutiert:

IEEE 802.1Qbv-2016: Der „Time-Aware Scheduler“. Mittels eines Time-Division-Multiple-Access-Verfahrens (TDMA) werden Kommunikationszyklen und der Zugriff auf das Netzwerkmedium anhand der Class-of-Service-Prioritäten (CoS) im Virtual Local Area Network (VLAN) Header der Ethernet Frames festgelegt. Damit lassen sich harte Echtzeitanforderungen mit geringen Latenzen und Abweichungen (Jitter) umsetzen, wie sie beispielsweise im Bereich der synchronisierten Achsen erforderlich sind. Der Time-Aware Scheduler wurde 2016 in seiner finalen Form veröffentlicht und ermöglicht bereits heute den TSN-Einsatz in Produktivumgebungen.

IEEE P802.1Qch: „Cyclic Queueing and Forwarding“. Genau wie der Time-Aware Scheduler basiert Cyclic Queueing and Forwarding auf der Definition von Kommunikationszyklen. Im Gegensatz zum Time-Aware Scheduler wird jedoch nur die Weitergabe eines Frames um ein Netzwerkgerät („Hop“) pro Zyklus garantiert. Somit ergibt sich eine Berechenbarkeit der Obergrenze der Ende-zu-Ende-Latenz, aber immer mit einer gewissen Abweichung, je nach Länge der Zykluszeit. Der Vorteil liegt in einer vereinfachten Konfiguration, da keine Zeitschlitze konfiguriert werden müssen. IEEE P802.1Qch bedient insbesondere Anforderungen aus der Prozessautomatisierung und der diskreten Automatisierung, in denen die physikalischen Prozesse langsam genug ablaufen, sodass die geringen zeitlichen Abweichungen nicht ins Gewicht fallen.

IEEE P802.1Qcr: „Asynchronous Traffic Shaping“. Der Asynchronous Traffic Shaper besitzt gegenüber den anderen TSN-Verfahren zur Ablaufkontrolle eine Besonderheit: Er ist nicht auf synchronisierte Uhren und Zyklen angewiesen. Aus diesem Grund eignet er sich gut für ereignisgestützte Kommunikation, die keinem zyklischen Schema folgt. Ein Beispiel hierfür ist das Generic Object Oriented Substation Event (GOOSE) aus dem Bereich der Energieautomatisierung für schnellen Austausch von Nachrichten zwischen Geräten in elektrischen Umspannwerken. Diese Ereignisse lassen sich üblicherweise nicht im Voraus planen, wie beispielsweise ein Erdschluss durch einen Baum, der auf eine Oberleitung fällt.

Die Unterstützungsmechanismen, wie zum Beispiel „Frame Pre-Emption“ gemäß IEEE 802.1Qbu und die dazu gehörige IEEE 802.3br-Norm, können einzeln eingesetzt werden, verbessern aber in Kombination mit anderen TSN-Mechanismen die Leistungsfähigkeit. Der Time-Aware Scheduler kann beispielsweise mit Frame Pre-Emption kombiniert werden, um kürzere Zykluszeiten und eine bessere Nutzung der Bandbreite auf einer Ethernet-Leitung zu erreichen. Das „Per-Stream Filtering and Policing“ nach IEEE P802.1Qci kann in Switchen dazu dienen, bestimmte Netzsegmente vor Überlastung durch ungewollten Netzwerkverkehr zu schützen – beispielsweise, wenn ein Endgerät sich nicht an die über die Ablaufkontrolle vereinbarten Sendezeiträume hält oder defekt ist.

Interoperabilität und Konformität

Damit Benutzer verstehen, welche TSN-Funktionen von welchen Geräten unterstützt werden, muss der Gerätehersteller in seiner Dokumentation unter Nennung der unterstützten IEEE-Norm exakt angeben, was unterstützt wird. Dies ist eine Regel, die bereits heute gilt und in Zukunft noch an Wichtigkeit gewinnt. Zudem muss durch Interoperabilitätstests sichergestellt werden, dass das Gerät sich an die Spezifikationen hält. Aus diesem Grund werden für das Time-Sensitive Networking bereits in der AVnu Alliance Testspezifikationen erarbeitet. Mit Testlabors, welche Geräte gegen diese Spezifikationen testen, kann langfristig die Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Herstellern sichergestellt werden.

Konfiguration und Zeitsynchronisation

Mit TSN kommen auf die Hersteller von Switches und Endgeräten unterschiedliche Anforderungen zu. Sie müssen sich alle an bestimmte Grundregeln halten, beispielsweise bei der Zeitsynchronisation, und alle müssen die TSN-Verfahren aufgrund der Interoperabilität gleich implementieren. Die technische Komplexität eines TSN-Gerätes hingegen ist vom Gerätetyp abhängig. Während TSN Switches einen großen Teil der Funktionen implementieren müssen, sind bei Endgeräten einfachere Designs möglich.

Die Komplexität bei den Endgeräten richtet sich nach deren Einsatzgebiet, beispielsweise in der Prozess- oder der Fabrikautomatisierung. Wiederum allen Geräten gemein ist die Anforderung, mindestens eine Schnittstelle oder ein Protokoll zur Konfiguration anzubieten: eine NetConf- oder SNMP-Schnittstelle oder ein TSN-Konfigurationsprotokoll wie beispielsweise IEEE P802.1Qcc. Denn ohne Konfiguration und Zeitsynchronisation funktioniert Time-Sensitive Networking nicht.

TSN als Grundlage des Industrial Ethernets

Time-Sensitive Networking (TSN) ist eine von der IEEE 802 Gruppe standardisierte Technologie, die zum ersten Mal ein universelles, herstellerneutrales und echtzeitfähiges Kommunikationsnetz für Standard Ethernet beschreibt. Aufgrund der breiten Unterstützung durch Chiphersteller und Anwender bildet TSN die Grundlage des Industrial Ethernet der Zukunft.

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