Herausforderungen beim autonomen Fahren Helfen VR-Brillen gegen Reisekrankheit?

Kann der Blick durch eine VR-Brille helfen, damit einem im Auto nicht mehr schlecht wird?

Bild: Ksander de Winkel, Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
08.12.2020

Autonome Fahrzeuge bringen einige Herausforderungen mit sich, unter anderem das erhöhte Risiko, dass die Insassen Reiseübelkeit erleiden. Forscher haben nun untersucht, ob sich das Problem durch VR-Brillen lösen lässt, die das Verkehrsgeschehen realitätsnah simulieren.

Wenn ein Auto über kurvige Landstraßen steuert, überkommt Mitreisende nicht selten eine unangenehme Übelkeit. Vor allem tritt das Problem auf, wenn sie auf der Rückbank oder gegen die Fahrtrichtung sitzen. Auch beim Lesen eines Buches klagen viele schnell über Unwohlsein.

„Reisekrankheit ist eine große Herausforderung für die Entwicklung autonomer Fahrzeuge“, sagt Heinrich Bülthoff, Emeritus-Direktor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. „Wenn wir an geschlossene Kabinen denken, die in der Zukunft quasi als fahrendes Büro dazu dienen sollen, Reisezeit sinnvoll zu nutzen, müssen wir dieses Problem lösen.“

Ursache für Reiseübelkeit

Wie es zur Reisekrankheit kommt, ist bislang nicht endgültig geklärt. Einer gängigen Theorie nach könnte die Ursache in einem sensorischen Konflikt liegen: Die Bewegung und die Erwartung daran stimmen nicht überein. Demnach müsste es helfen, den Insassen im Fahrzeug möglichst genaue Informationen über die bevorstehende Bewegung, also Beschleunigung, Kurven, Abbremsen und so weiter, zu geben.

Tatsächlich kamen in der Vergangenheit einige Studien zu dem Schluss, dass selbst simple Blinkzeichen, die etwa eine Kurve ankündigen, bereits dazu beitragen können, das Risiko für Reiseübelkeit zu mindern. Für das Team um Bülthoff stellte sich daher die Frage, ob es mit besseren visuellen Informationen gelingen könnte, das Problem annähernd ganz zu lösen.

Ernüchternde Ergebnisse bei Fahrsimulationen

Die Forschenden baten Freiwillige dazu, in einem Fahrsimulator Platz zu nehmen. Eine Virtual-Reality-Brille (VR-Brille) versetzte sie daraufhin in ein virtuelles Fahrzeug und stellte optische Simulationen einer Fahrstrecke dar. In einer verfeinerten Version des Experiments dienten zusätzlich Wolken von sich bewegenden Lichtpunkten an den Seiten sowie am Boden des Fahrzeugs dazu, zusätzliche optische Informationen über Beschleunigen, Abbremsen und Kurven zu vermitteln.

Das Ergebnis war jedoch ernüchternd. „Wir beobachteten in unseren Simulationen keine Linderung der Reisekrankheit“, berichtet Ksander de Winkel, Erstautor der Studie, der jetzt an der Universität Delft forscht. „Jedenfalls gab es keinen positiven Effekt, der über das hinausging, was sich bereits dadurch erreichen lässt, dass man aus dem Fenster schaut.“

Für de Winkel kann dies zweierlei bedeuten: Entweder brauche es zusätzliche sensorische Informationen zur Fahrtstrecke, die auch andere Sinne mit einbeziehen, also etwa akustische Signale oder veränderte Vibration. „Oder wir müssen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die bisherigen Annahmen zum Ursprung der Reisekrankheit unvollständig sind und der Übelkeit andere Ursachen zugrunde liegen.“

Blick aus dem Fenster notwendig

Bülthoff sieht für die Entwicklung autonomer Fahrzeuge die Notwendigkeit, ein möglichst ruhiges Fahrverhalten der Kabinen zu erreichen. „Politiker arbeiten häufig im fahrenden Auto“, sagt er. „Sie haben in der Regel aber auch außerordentlich gut geschulte Chauffeure, mit einem höchst vorausschauenden und dadurch sehr ruhigen Fahrstil.“

Nach Bülthoffs Meinung wird eine ausreichende Sicht nach draußen bei autonomen Fahrzeugen notwendig bleiben, insbesondere in Fahrtrichtung. „Und wenn es dann statt über die Autobahn auf eine kurvenreiche Strecke geht“, erklärt der Wissenschaftler, „werden die Insassen auch in Zukunft wahrscheinlich nicht drum herumkommen, ihre Computer und Akten zuzuklappen und nach vorne aus dem Fahrzeug auf die Strecke zu schauen.“

Bildergalerie

  • Prof. Dr. Heinrich Bülthoff und sein Team untersuchten mithilfe eines Fahrsimulators, ob sich VR-Brillen auf die Reiseübelkeit auswirken.

    Prof. Dr. Heinrich Bülthoff und sein Team untersuchten mithilfe eines Fahrsimulators, ob sich VR-Brillen auf die Reiseübelkeit auswirken.

    Bild: Berthold Steinhilber, Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik

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