Digitalisierung, Fachkräftemangel, nachlassende Innovationskraft sowie protektionistische Tendenzen – in vielen Branchen sei ein Strukturwandel dringend nötig, sagen Experten von Roland Berger. „Die gute Konjunktur führt leicht zu Trägheit“, sagt Falco Weidemeyer, Senior Partner bei Roland Berger und Leiter des Bereichs Corporate Performance. „Dabei sollten Unternehmen in guten Zeiten ihre Geschäftsmodelle hinterfragen, Business-as-usual ist gerade jetzt gefährlich.“
Fakt ist indes, dass die Fertigungsqualität der Anlagen bereits auf einem Top-Level ist. „Business-as-unusual“ sozusagen lässt sich deshalb am ehesten noch in anderen Bereichen der Wertschöpfung erzielen. Etwa im Service. Der Anlagenbauer kann vor allem durch effiziente, möglichst nachvollziehbare und proaktive Wartung seiner Anlagen beim Anlagenbetreiber punkten – der naturgemäß daran ebenfalls großes Interesse hat. Dafür benötigt der Fertiger jedoch mehr Transparenz beim Betrieb der Anlage. Er muss eine effiziente und bedarfsgerechte Ersatzteillogistik auf die Beine stellen. Qualitätskriterien und deren Nachweisbarkeit müssen gegeben sein, sowie automatisierte Bestell- und Abrechnungsprozesse.
Dies stellt jedoch gerade im Mittelstand oftmals eine besondere Herausforderung dar. Denn Anlagenbetreiber müssen sich dadurch zwangsläufig ein Stück weit transparenter zeigen, ihre Maschinen und Produktionsprozesse etwas öffnen. Und natürlich befürchten sie dadurch einen Kontrollverlust und einen Mangel an Beherrschbarkeit. Genau an dieser Stelle aber setzt der Einsatz von KI und Blockchain an. Stimmen hier die Rahmenparameter, profitieren Anlagenbauer und -betreiber gleichermaßen. Es entsteht die benötigte Transparenz ohne jedoch, dass der Betreiber auf Sicherheit verzichten muss. Die Datenhoheit bleibt beim Anlagenbetreiber, er definiert, welche Daten er zur Verfügung stellen muss, und alles geschieht in einem maximal sicheren Rahmen. Wie das genau funktioniert, erläutern der Experte für Data Analytics und KI, Thorsten Hönow, und der Blockchain-Experte Alexander Ebeling (beide T-Systems Multimedia Solutions) im Interview:
Redaktionsbüro Sven Hansel:
Herr Hönow, Herr Ebeling, künstliche Intelligenz wird nach Expertenmeinung zukünftig auch bei der Beziehung zwischen Anlagenbauer und Anlagenbetreiber eine große Rolle spielen und die Zusammenarbeit erheblich verbessern. Sehen Sie das ähnlich?
Ebeling:
Unbedingt. Schauen Sie allein darauf, wie mit Defekten und Ausfällen umgegangen wird. Maschinen bewegen sich ständig, da wirken fortlaufend Kräfte. Völlig normal, dass mal etwas kaputtgeht. Bis dato verlassen sich die Unternehmen in erster Linie auf ihre Fachleute mit einem breiten Erfahrungsschatz, die sich mit Sicherheit gewissenhaft um die Wartung kümmern. Manche Defekte treten indes viel zu selten auf, als dass hier ein Erfahrungswert allein eine Hilfe sein kann. Eine KI-Instanz lässt sich aber mit Fehlern aus der Vergangenheit sozusagen füttern. Ebenso bringt man ihr Symptome und Begleitumstände eines Fehlers bei. Sie überwacht dann diese Maschine im laufenden Betrieb ununterbrochen, tage-, wochen- oder auch monatelang. Sie gewinnt daraus einen Datenpool, aus dem sie entsprechende Schlüsse ziehen und dem menschlichen Bediener proaktiv vor dem möglichen Ausfall wertvolle Hinweise geben kann.
Hönow:
...denselben Effekt sehen wir im Ersatzteil-Management. Wenn beispielsweise ein IoT-Sensor an einem Lager erhöhte Reibungswerte feststellt und das Unternehmen – oder vielleicht sogar die KI eigenständig – meint, dass das ein valider Hinweis darauf ist, dass ein Defekt droht, dann könnte die KI beispielsweise im SAP-System bereits eine entsprechende Bestellung auslösen. Ganz klar: Von der Anlagensteuerung über Lager und Logistik sehen wir in der gesamten Wertschöpfungskette da umfangreiche Möglichkeiten. Zumal auch im Zusammenspiel mit anderen Technologien …
Beispielsweise?
Hönow:
...wenn Inventurroboter tagesaktuell Bestände scannen, erfassen und an die KI weiterleiten. Die kann dann aufgrund der Gemengelage belastbare Vorhersagen treffen: Was bestenfalls schnell nachbestellt werden soll oder auf was es hinweist, wenn plötzlich drei vermeintlich völlig unterschiedliche und voneinander unabhängige Mengen gering sind. Vielleicht liegt ja dann doch ein kausaler Zusammenhang vor, der auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist. Die Maschinen jedoch sind penibel genau, denen entgeht bei der Inventur nichts.
Das sind ja in erster Linie Binnen-Zusammenhänge. Gibt es denn auch neue Entwicklungen und Tendenzen über die Werkstore hinaus?
Hönow:
Unbedingt, mit der Blockchain kommt eine weitere, wesentliche Technologie ins Spiel. Hier geht es um die maximale Maschinen- und Prozess-Effizienz: Wie weit ist ein Teilprozess gerade? Wo befindet sich das Werkstück? Was ist mit der Zusatzlieferung? Im Automobilbau müssen sich Zulieferer bereits zwingend in Lieferantenportale der Hersteller einbinden und Finanz- und Prozesskennzahlen offenlegen – kurzum: sie müssen übermäßig viel von sich preisgeben. Damit der Hersteller garantiert just-in-time produzieren kann. Sie geben damit aber nicht nur viel preis, sondern sie bezahlen auch einen hohen Preis: Denn sie verlieren Autonomie und geben Daten aus der Hand.
Ebeling:
… in der Blockchain jedoch geben sie nur diejenigen Daten frei, die für den gerade stattfindenden Prozess vonnöten sind. Es herrscht somit Datensparsamkeit. Oder Zahlungsprozesse zwischen den Parteien, diese lassen sich auch über eine Blockchain abwickeln. In Echtzeit und ohne Intermediäre. Darüber hinaus eröffnet das etwa dem Ersatzteillieferanten die Chance, statt einer 1:1, eine 1:n-Beziehung zu schaffen. Derart kann er deutlich mehr Kunden als früher beliefern. Zudem steigert er die Kundenzufriedenheit, da in der Wertschöpfungskette mehr Transparenz herrscht. Zu jedem Zeitpunkt wissen die Beteiligten mehr, und das in Echtzeit.
Eine schöne Vorstellung. Aber ist das wirklich realistisch? Viele Anlagenbetreiber tun sich doch in Wahrheit immer schwer damit, dem Maschinenbauer Einblicke in ihre Anlagen zu geben?
Hönow:
Wie bereits gesagt, es geht immer nur um relevante Teilprozesse. Außerdem hat der Maschinenbauer doch ganz andere Beweggründe, der will nicht die Produktionsprozesse seines Kunden abkupfern. Sein Ziel ist es, seine Maschinen billiger produzieren zu können. Der will genau wissen: Wie kann ich die Belastungsgrenzen des Gelenks X und der Welle Y besser aussteuern? Wie baue ich meine Maschine belastbarer und haltbarer? Wie kann ich mein Produkt optimieren? Hier entsteht für mein Empfinden eine klassische Win-Win-Situation. Außerdem bietet uns die Technologie zusätzliche Möglichkeiten, Rest-Risiken zu minimieren, etwa in Form einer Daten-Treuhänderschaft. Wenn beispielsweise an einer Maschine eine Störung auftritt oder die KI meint, dass etwas schiefläuft. Dann übergibt der Anlagenbetreiber die Daten dieses Events, Videoaufzeichnungen und die Betriebsdaten 20 Stunden vor dem Vorfall, an einen Daten-Treuhänder. Dieser gibt dem Anlagenbauer dann die Möglichkeit, dieses und nur dieses Datenpaket zu analysieren und auszuwerten. Im Grunde genommen muss man sich das wie ein Industrie-Paypal vorstellen. Ein überaus seriöser Weg also, Technologien wie KI und Blockchain Gewinn bringend einzusetzen.
Dennoch: Gerade der industrielle Mittelstand ist mitunter sehr zögerlich und skeptisch in dieser Hinsicht unterwegs. Das zeigen beispielsweise Cloud-Nutzungszahlen. Hier gibt es ja immer noch eine kleine Menge Verweigerer. Sie sind aber weiterhin optimistisch, dass solche Szenarien real werden?
Hönow:
Nicht optimistisch, sondern fest davon überzeugt. Beide Seiten bekommen doch momentan mächtig Druck von asiatischer Konkurrenz. Schauen Sie sich allein die Verschiebungen im Smartphone-Markt an. Dasselbe droht dem klassischen Maschinenbau. Wer hier marktbestimmend bleiben will, darf sich unserer Ansicht nach nicht diesen Entwicklungen verschließen – wobei es aus rationaler Sicht wie bereits geschildert dafür wirklich keinen Grund mehr gibt.
Ebeling:
Und es ist doch selbstverständlich, dass sich dieses Mehr an Transparenz und Offenheit auch professionell in SLAs einbringen lässt. Man einigt sich auf entsprechende Dokumentationen, wann beispielsweise welcher Techniker von außen wie Zugriff auf welche Daten hatte, versieht das mit einem verlässlichen Zeitstempel-System, setzt auch den bereits erwähnten Treuhänder ein und geht vertrauensvoll miteinander um. Letztlich gibt es ja auch in einer Blockchain das Recht auf Datenlöschung, das gilt nicht allein für Personen- sondern auch für Maschinendaten. Die DSGVO zieht hier deutliche Grenzen.
Wenn die Gegebenheiten also derart positiv sind, kann es doch für den mittelständischen Maschinenbauer und seinen Kunden nur heißen: Machen! Richtig?
Hönow:
Absolut! Ein proof-of-concept lässt sich heute mit Bordmitteln stemmen. Derart bauen sich Berührungsängste ab. Und nur durch Ausprobieren lassen sich tradierte Denkweisen reflektieren. Ganz klar jedoch: Ein Unternehmen muss sich ein Stück weit öffnen, wenn es Mehrwerte mitnehmen will. Diese Öffnung betrifft aber immer nur Teilprozesse. Reverse-Engineering lassen diese Technologien grundsätzlich nicht zu, das muss niemand befürchten.
Ebeling:
Machen heißt aber natürlich auch: richtig machen! Denn nichtsdestotrotz müssen selbst Teil-Öffnungen in ein valides IT-Security-Konzept eingebunden werden, alles andere wäre fahrlässig. Denn Fehler können immer und überall passieren. Wenn sich aber ein Mittelständler auf so etwas wie Smart-Contracting einlassen möchte, er also seinen Maschinenpark mit anderen teilt, dann sind doch bestimmte Vorsichtsmaßnahmen kein Weltwunder. Wenn ich mein Auto nicht nur selbst nutze, dann steigt automatisch die Versicherungssumme, darüber regt sich doch auch niemand auf. Im Umkehrschluss steigere ich meine Kosteneffizienz enorm. Ich laste meine Maschinen besser aus und senke Prozessprobleme.
Hönow:
Ist doch ganz klar: In jedem gut ausgelastetem Lager ist schon mal der Zinken eines Gabelstaplers gebrochen, das passiert halt. In hektischen Situationen kann der Fahrer noch so erfahren sein, das lässt sich nicht verhindern. Wenn man aber die Belastungsgrenzen genauer austariert und entsprechende Warnhinweise automatisch ausspielt, senkt sich dieses Risiko. Nur dafür muss man zulassen, dass hier regelmäßig entsprechende Messungen vorgenommen werden. Das ist aber doch ein lächerlich geringer Preis dafür, was ein Unternehmen im Umkehrschluss an Betriebssicherheit und Kosteneffizienz zurückbekommt. Hier kann es nur Gewinner geben.