Intelligente Systeme verbessern Hirnforschung trifft auf Künstliche Intelligenz

Eine der wichtigsten Eigenschaften des menschlichen Gehirns, die Künstlicher Intelligenz noch fehlt, ist die Fähigkeit zur Abstraktion.

Bild: iStock, Peshkova
28.07.2022

Wie wird abstraktes Wissen im Hirn gespeichert? Dieser Frage geht die neue DFG-Forschungsgruppe ARENA, bestehend Hirnforschern und Informatikern, nach. Die Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit sollen dazu beitragen, künstlich intelligente (KI)-Systeme effizienter und flexibler zu machen.

Seitdem künstlich intelligente Systeme Objekte und Sprache zuverlässig erkennen können, hat die KI-Forschung einen Boom erlebt. Doch nach wie vor müssen die Systeme mit hohem Arbeits- und Energieaufwand trainiert werden – und sie speichern ihr Wissen über Objekte und Wörter trotzdem anders als das menschliche Gehirn.

Moderne KI-Systeme sind in der Regel neuronale Netzwerkmodelle. Sie bestehen aus mehreren Schichten von künstlichen Nervenzellen, die miteinander verknüpft sind. Deshalb werden sie auch als tiefe neuronale Netze („deep neural networks“) bezeichnet. Ein KI-System, das für die Bilderkennung und die Spracherkennung entwickelt wurde, kann ein Bild von einer Orange (Input) mit dem Wort „Orange“ (Output) verknüpfen. Auf andere Sinneseindrücke verallgemeinern kann ein solches KI-System jedoch nicht – was unser Gehirn dagegen mühelos schafft.

Denn eine der wichtigsten Eigenschaften des menschlichen Gehirns ist die Fähigkeit zur Abstraktion: So kann unser Wissen über eine Orange aktiviert werden, wenn wir sie sehen, sie fühlen, schmecken oder riechen. Unser semantisches Wissen über Orangen wird also im Gehirn abstrakt abgebildet oder repräsentiert, unabhängig davon, wie wir Orangen über die Sinne wahrnehmen.

KI soll dem Hirn ähnliche Wissensformen entwickeln

Diese Art der abstrakten Wissensrepräsentation könnte die KI vom menschlichen Gehirn lernen. Allerdings ist das  „Format“, in dem unser semantisches Wissen im menschlichen Gehirn gespeichert ist, noch nicht gut verstanden. Hier wiederum kann die Hirnforschung von den mächtigen KI-Modellen profitieren.

Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte interdisziplinäre Forschungsgruppe ARENA (Abstrakte Repräsentationen in neuronalen Architekturen) an der Goethe-Universität, dem Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und dem Max-Planck-Institut für Softwaresysteme in Saarbrücken schlägt eine Brücke zwischen Informatik, Psychologie und Neurowissenschaften, um diese Fragestellungen zu erforschen. Sie erhält in den kommenden vier Jahren insgesamt rund 3,7 Millionen Euro.

Ein wichtiges Ziel der ARENA-Forschungsgruppe ist es zu untersuchen, ob KI-Systeme, die mit Daten unterschiedlicher Formate – mit Bildern, Sprache oder Videos, also mit multimodalen Daten – trainiert werden, abstraktere oder zumindest dem menschlichen Gehirn ähnlichere Wissensformen entwickeln. Bei diesen Arbeiten nimmt Prof. Gemma Roig, die in der Forschungsgruppe als Brückenprofessorin zwischen Informatik und Psychologie fungiert, eine tragende Rolle ein.

Umgekehrt interessiert die PsychologInnen und NeurowissenschaftlerInnen, wie gut KI-Systeme die Arbeitsweise des Gehirns bei der Verarbeitung abstrakter Bedeutungen erklären können. Dazu wollen sie vergleichen, wie ein KI-System und das menschliche Gehirn arbeiten, wenn sie dieselben Aufgaben lösen.

Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden KI-Modelle als ein statistisches Werkzeug zur Analyse von Hirnaktivität verwendet, die mit den Methoden der funktionellen Magnetresonanztomographie und der Magnetenzephalographie am Brain Imaging Center der Goethe-Universität während der Bearbeitung von Sprach- und Objekterkennungsaufgaben gemessen werden. Die Forscher:innen erwarten, dass dabei auf dem höchsten Abstraktionsgrad die gleichen Repräsentationen im Gehirn angesprochen werden.

Datensatz von Versuchspersonen

Ein Kernstück dieser Arbeit wird die Erhebung eines sehr großen Datensatzes an Versuchspersonen sein, die in mehreren Untersuchungssitzungen eine ganze Reihe von entsprechenden Aufgaben bearbeiten, während ihre Hirnaktivität gemessen wird. „Der geplante Datensatz ist einzigartig und soll in der Zukunft auch im Sinne des Open-Science-Gedankens mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geteilt werden“, erläutert Prof. Christian Fiebach, der Sprecher der ARENA-Forschungsgruppe.

Doch zunächst dienen die erhobenen Daten den ModelliererInnen in der ARENA-Forschungsgruppe dazu, zu erforschen, ob sie KI-Systeme nach dem biologischen Vorbild des menschlichen Gehirns flexibler und effizienter machen können. Hierzu werden auch Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie einbezogen. Umgekehrt möchten die ExperimentatorInnen von den ModelliererInnen neue Analysetechniken lernen, um ihre Modelle des Gehirns zu präzisieren.

Oder anders gesagt: Wie lässt sich das neuronale Abbild der Orange im Gehirn besser entschlüsseln, und wie kann diese Erkenntnis dazu beitragen, KI-Modellen in der Zukunft ein menschenähnlicheres Wissen über die Orange zu vermitteln?

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