Erst die Schule für Elektrotechnik, dann eine kaufmännische Lehre als Groß- und Einzelhändler. Wenn sich ein junger Mensch so offenkundig nicht zwischen Technik und Wirtschaft entscheiden kann, ist die einfach logische Konsequenz: Ein Studium des Wirtschaftsingenieurwesen. Heute ist Jochen Baier Diplomwirtschaftsingenieur und baut das Technische Marketing bei Würth Elektronik eiSos zielstrebig aus. „Simplicity“ ist dabei sein erklärtes Steckenpferd.
Daran, so erklärt er, war allerdings nicht unbedingt das Studium der BWL, Informatik und Elektronik in Kombination – positiv gesprochen – „schuld“. Vielmehr der darauf folgende berufsbegleitende deutsch-amerikanische MBA in Global Business der Hamburger Fernhochschule in Zusammenarbeit mit der Würth Business Academy und der University of Louisville in Louisville, Kentucky. In diesem Staat gibt es nämlich entgegen anders lautender Gerüchte nicht nur Pferde, die Zentrale von Kentucky Fried Chicken sowie endlose Felder und Grasweiden, sondern offenbar auch extrem beharrliche Wirtschaftsdozenten. „‘Straight to the point‘ war der absolute Lieblingssatz der Dozenten dort“, erinnert sich Jochen Baier. „Dieses Motto begleitet mich bis heute in den verschiedensten Kommunikationssituationen.“
Einmal geht es um Application Notes und die Frage wie man Produkte richtig einsetzt und entwirft. Seine Abteilung erstellt dann die Unterlagen für Außendienstmitarbeiter, FAEs und Kunden und korrigiert und liest Entwürfe gegen. Auch Trainingsboards für Kundenseminare werden in seiner Abteilung erstellt und weltweit die Field Application Engineers dafür trainiert. Ein anderes Mal geht es um die Konzeption von Simulationstools und Simulationsmodellen – das Thema seiner Diplomarbeit. Mit dieser begann auch seine Karriere bei Würth Elektronik eiSos in Waldenburg – glaubt man dem Eigenmarketing der Gemeinde, einer der schönsten Städte Baden-Württembergs.
International aufgestellter Arbeitgeber
Das Unternehmen nahe dem Bahnhof des historischen Städtchens entwickelt, fertigt und vertreibt elektronische und elektromechanische Bauelemente und ist einer der größten Hersteller für elektronische und elektromechanische Bauelemente in Europa. Produktionsniederlassungen sind in Thyrnau (Deutschland), Tan (Ungarn), Blaj (Rumänien), Budweis (Tschechien), Belozem (Bulgarien), Shenyang, Fuling, Shenzen, Huzhou (China), Singapur, Taichung (Taiwan) und Irapuato (Mexiko).
Trotzdem macht die idyllische Lage nicht immer alles einfacher. Das erlebt Jochen Baier immer wieder, dessen Aufgabe es ist, auch neue technische Marketingtools zu entwickeln und programmieren zu lassen, mit denen sein Unternehmen die Kunden an sich binden kann. „Techniker aufs Land zu bekommen ist nicht ganz einfach.“ Deshalb ist er einen etwas ungewöhnlichen Weg gegangen: Die zweite Hälfte seines technischen Marketing-Teams, die Programmierunit, sitzt in Barcelona.
Verträgt sich das mit der Einfachheit? „Wenn man die Aufgaben klar und sinnvoll verteilt, ja“, ist Baier überzeugt, der am Vortag soeben wieder aus Barcelona zurückgekommen ist, wo er weitere Einstellungsgespräche für seine Abteilung geführt hat. „Und wenn man bereit ist, auch bei einem deutschen Mittelständler alle Projektplanungen auf englisch abzuwickeln.“ Aber bei so vielen Standorten weltweit, deren Informationen zu koordinieren sind, spiele sich ohnehin inzwischen das meiste auf Englisch ab. Zumal man in einer Fremdsprache häufig – dann im Kopf automatisch im Business-Modus – ohnehin manchmal klarer und „straighter“ denkt, als in der eigenen Muttersprache. Apropos straight. Wie verträgt sich für ihn als Ingenieur das „Straighte“ mit den üblichen Marketing-Klischees, von Buzzword-Bingo bis Worthülsen. Gar nicht, so Baier. Deshalb sei ja das technische Marketing immer wichtiger und werde ausgebaut – als Kundenservice, nicht um Kunden einzuschmeicheln.
Online steht im Fokus
Und dies gestalte sich immer spannender: „Papier spielt praktisch keine Rolle mehr – und auch immer weniger Nutzer laden sich noch den Katalog aus dem Netz. Kein Wunder bei rund 12.000 verschiedenen passiven Bauelementen des Unternehmens. Das große Thema seien heute die Tools, die helfen sollen, die richtigen und besten Elemente für jede Anwendung auszuwählen. Und diese setzt Baier, der 2006 nach seiner Diplomarbeit als Produktmanager bei Würth Elektronik startete, seit jeher für sein Unternehmen um: Zuerst seit dessen Launch 2008 mit dem Component Selector, einem Programm, das man von der Homepage des Unternehmens herunterladen und auf dem eigenen Rechner installieren kann. Erst vor Kurzem hat dieser durch Baiers Team noch einmal ein Upgrade um sechs auf zehn Module erfahren. Bald werden die Kunden mit dem neuen Online-Tool arbeiten, das Baier und sein Team nun schon seit knapp zwei Jahren beschäftigt.
Warum? Nun, die technischen Möglichkeiten und die Erwartungen der Kunden wachsen parallel, so Baier. Das technische Marketing solle ja den Vertrieb optimal unterstützen. Früher wären solche Web-Tools noch zu aufwändig gewesen, auch die Netzanbindungen vieler Nutzer haben es nicht hergegeben, aufwändige Tools in Echtzeit online zu nutzen. Heute hängt jede Firma an Breitbandnetzen, da ist das kein Thema mehr. Und der Vorteil der Web-Lösung: Jedes Update wird einmal gemacht, und alle haben es zeitgleich sofort zur Verfügung. Das sei ohnehin der Trend, so Baier: Alles, ausführlich, mit allen Hilfestellungen immer zur Verfügung. Und dennoch einfach gehalten. Auch persönlich stehe er nicht auf technischen Schnickschnack: Smartphone mit Kalender, Email und Karten. Wunderbare Erfindung, wie auch das Handy insgesamt. Ohne gehe es fast nicht mehr. Aber bitte einfach nutzbar.
Und kulturelle Unterschiede? Sei das seines Erachtens eine Herausforderung für die Technikkommunikation der Zukunft? Er verneint. Jeder, ob Amerikaner, Asiate oder Europäer, erwarte inzwischen Response-Zeiten bei Anfragen unter einem Tag. Da seien zumindest im Business-to-Business-Marketing keine großen Unterschiede mehr festzustellen. Zudem erwarten sie klare Strukturen und einfach Benutzung. Besonders stolz ist er dabei auf seine Berechnungstools: „Wir verwenden seit jeher keine Marketing-technisch optimierten, aus Standardformeln berechnete Daten, sondern pure Messdaten direkt aus dem Labor. In Zukunft möchten wir dies weiter ausbauen: „Vom Entwickler für den Entwickler“, betont Baier. „Bedenkt man, dass es sein Start im Unternehmen war, ein Statistikwesen (faktisch Controlling) im Produktmanagement einzuführen, ist dies ja nun Lichtjahre entfernt von seiner damaligen Aufgabe. „Vielmehr Vertriebsstrategie- und Web-Jahre“, bestätigt er.
Kommunikation auf dem neuesten Stand
Das sei das Schöne an seiner Tätigkeit: Die Welt der Kommunikationsmöglichkeiten drehe sich im Moment unglaublich schnell. Ob eines Tages die Smartphone-App(likation) für die Kunden statt der App(lication)-Note seine nächste Aufgabe sein werde, möchte er allerdings nicht spekulieren. Nur soviel: „Online-Offline-Verknüpfung ist das nächste große Ding, das mich noch lange beschäftigen wird.“ Und ganz aktuell sei eine starke Zunahme an Videos auch in der B2B-Kommunikation und im technischen Marketing zu beobachten.
Bezeichnend in diesem Kontext ist: Jochen Baier, der die ersten Versionen seiner Programme vor nicht einmal zehn Jahren mit Visual Basic oder SQL noch selbst geschrieben hat, sagt selbst, er könne inzwischen bei den Programmierkleinigkeiten gar nicht mehr wirklich mitreden. „Struktur klar, aber die Detailbefehle von HTML5, Java-Script, CSS3 und C#…“, er zuckt die Achseln. Heute steht in seinem Team seine Schnittstellenfunktion im Vordergrund - und damit alle drei Bereiche, die der „Junge aus der Region“ sich damals im Studium in Künzelsau nach und nach erarbeitet habe. „Ich sehe mich als Übersetzer zwischen IT, Controlling, Marketing und Engineering“, so Baier. „Botschafter verschiedener Welten trifft es auch.“
Die Fähigkeit zum schnellen Perspektivenwechsel brauche man dazu, außerdem Kreativität. Darüber hinaus auch die Fähigkeit die Projekte dann ganz praktisch auf die Straße zu bringen. „Selbst wenn das heißt, selbst die erste Programmierung zu machen oder tagelang Daten aufzubereiten – und nicht immer nur Praktikanten damit zu quälen“, schmunzelt er. Denn es sei ihm immer sehr zu Gute gekommen, dass er ein unternehmungslustiger Mensch mit großem Forscherdrang sei, der nicht so schnell locker lässt. Man dürfe nicht immer gleich alles auf 20-Jahres-Projekte planen. Schon während des Studiums habe er sich in Praktika in der Welt und verschiedensten Branchen herum getrieben: Von Automotive bis Schrauben, von Stuttgart, über Braunschweig, Schweiz und Frankreich bis Spanien.
Dabei seien auch Rückschläge zum Lernen da. Es gäbe immer das letzte Quäntchen Ungewissheit. So habe er einmal mitten in der großen Kampagne für den Würth Elektronik Component Selector mit einem falschen Zeichen in der Schweizer Version für eine Stunde die komplette Würth-Elektronik-Website lahmgelegt – trotz aller vorher durchgeführten Tests. „Die Verbindungen haben sich aufgemacht und nicht mehr geschlossen. Im Test waren wir unter der kritischen Grenze, live dann naturgemäß irgendwann drüber.“ Seine Konsequenz? „Dazu stehen, schnell beheben, Buße tun – hilft ja nichts.“
Weitere große technische Pleiten habe er immerhin bisher nicht zu verzeichnen. Auch als Jungbastler habe er früher im Elternhaus außer ein paar geschossenen Sicherungen nichts wirklich Schlimmes angerichtet. In diesen Tagen, genauer zur Electronica in München, startet seine neue Webversion als Betaversion. Drücken wir ihm die Daumen.