Digitalisierung in der Fertigung Industrie 4.0: Sorgt Digitalisierung für Energieeinsparpotenziale?

Stefanie Kunkel ist Erstautorin der Studie „Industry 4.0 and energy in manufacturing sectors in China“, die zeigt: Das oft postulierte Mantra „Energieeffizienz erhöhen durch Digitalisierung“ stellt sich in der Industrie statistisch als unwirksam heraus.

Bild: Kathleen Friedrich, RIFS
04.12.2023

Inwieweit stimmt es, dass die Digitalisierung die Energieeffizienz verbessert? Ein Team des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit hat zehn Sektoren der industriellen Fertigung Chinas daraufhin analysiert.

An der globalen Wertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes hat China einen Anteil von 30 Prozent und ist damit das Land mit dem größten Anteil an der globalen Industrieproduktion. Industrie 4.0 – die umfassende Digitalisierung der industriellen Produktion – soll dabei helfen, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und gleichzeitig Energiesparziele zu erreichen. Dabei herrscht jedoch Uneinigkeit in der Wissenschaft, ob Industrie 4.0 diese beiden Ziele vereinen kann.

Eine Studie des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS) hat zehn chinesische Sektoren des verarbeitenden Gewerbes zwischen 2006 und 2019 auf Zusammenhänge zwischen Industrie 4.0 und Energieindikatoren analysiert. Zwar haben bereits einige Studien die Auswirkungen digitaler Technologien auf den Energieverbrauch analysiert, wenige davon jedoch im chinesischen Kontext.

„Darüber hinaus wird das Konzept von Industrie 4.0 in bisherigen Studien kaum anerkannt“, sagt Erstautorin Stefanie Kunkel. „So wurde etwa in einigen Studien das Konzept der Industrie 4.0 stark vereinfacht – beispielsweise sind Roboter mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz gleichgesetzt worden. Dabei ist die Wissens- und Innovationsdimension dieser Technologie unbeachtet geblieben.“

Auch hätten frühere Studien seltener den Gesamt-Energieverbrauch ausgewertet und sich zumeist auf relative Energieverbräuche oder Energieeffizienz konzentriert. Dies könne dazu führen, dass das Ziel einer absoluten Reduktion von Energieverbräuchen aus dem Blick gerate, die jedoch für eine Dekarbonisierung des industriellen Sektors wichtig seien.

Zusammenhang zwischen Industrie 4.0 und Energieverbrauch?

Laut Kunkel ist das Hauptziel der Studie, zu verstehen, inwieweit der Grad des Einsatzes von Industrie 4.0 mit dem Gesamtenergieverbrauch und der Energieintensität des verarbeitenden Gewerbes in China zusammenhängt. Zudem sollte statistisch überprüft werden, ob Industrie 4.0 wirklich zu Effizienz und damit Energieeinsparungen beiträgt.

Der Begriff Energieintensität oder auch relativer Energieverbrauch beschreibt, wie viel Energie ein Sektor pro Euro an gefertigtem Gut verbraucht. Das Team um Kunkel hat zur Beantwortung der Forschungsfrage eine Paneldatenanalyse durchgeführt, in die Daten aus zehn Industriesektoren im Zeitraum von den 14 Jahren (2006 bis 2019) einflossen. Diese Sektoren umfassten unter anderem die Textilindustrie, Kunststoffherstellung oder auch Lebensmittelindustrie.

Was den Gesamtenergieverbrauch im verarbeitenden Gewerbe in China betrifft, so zeigen die Ergebnisse, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Grad von Industrie 4.0 und dem Energieverbrauch gibt. „Die Beziehung ist zwar positiv, aber nicht signifikant“, sagt Kunkel ihre Studie.

So könne beispielsweise der Einsatz von Robotern anstelle von Handarbeit in der derzeit weniger digitalisierten Textilherstellung den Energieverbrauch der Textilherstellung erhöhen. Häufig träten sogenannte „digitale Rebound-Effekte“ auf, wenn die durch Digitalisierung erzielten Effizienzgewinne zu Kosteneinsparungen führten. Die eingesparten Ressourcen könnten ganz oder teilweise reinvestiert werden und einen Teil oder die Gesamtheit der Effizienzgewinne kompensieren. Außerdem habe Digitalisierung generell einen wachstumsfördernden Effekt, der in der Regel ebenso den Energieverbrauch erhöhe.

Konträre Untersuchungen

Es gibt jedoch andere Studien, die den Ergebnissen von Kunkel und ihrem Team widersprächen, weil sie eine die Energieintensität der Industrie senkende Wirkung von Robotern und industrieller Digitalisierung festgestellt hätten – also einen effizienzsteigernden Effekt. Kunkel konnte eine negative Korrelation zwischen Industrie 4.0 und Energieintensität jedoch lediglich für bereits stark digitalisierte Sektoren belegen. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass in einem bereits stark vom Einsatz digitaler Technologien geprägten Sektor wie etwa dem Transportsektor Innovationen der Industrie 4.0 besser im Fertigungssystem integriert werden können und Effizienzpotenziale stärker zum Vorschein treten.

Die Autoren geben als Limitation zu Bedenken, dass in bisherigen Studien digitalisierungsbedingtes Offshoring nicht berücksichtigt und Verringerungen der Energieintensität möglicherweise fälschlich der Digitalisierung selbst zugeschrieben worden seien. Um solche Effekte teilweise zu erfassen, haben Kunkel und Kollegen den Indikator „CO2-Importe“ stellvertretend für die Energieintensität der importierten Güter einbezogen. Es zeigten sich signifikante positive Zusammenhänge zwischen CO2-Importen und der Ausprägung von Industrie 4.0, was darauf hindeuten könnte, dass mit steigendem Grad an Industrie 4.0 auch steigende CO2-Importe in die Fertigung assoziiert sind. Jedoch sei weitere Forschung erforderlich, um die zugrunde liegenden Dynamiken zu verstehen.

Relevanz auch für andere Länder

Eine Schlussfolgerungen der RIFS-Studie besteht darin, dass ein Fokus auf das Mantra „Energieeffizienz erhöhen durch Digitalisierung“ für Nachhaltigkeitsziele und die Dekarbonisierung der Industrie unwirksam sein kann, wenn dies aufgrund von Wachstums- und Offshoring-Dynamiken zu einem insgesamt steigenden Gesamtenergieverbrauch führe. Es sollten weitere Faktoren berücksichtigt werden, beispielsweise Auswirkungen auf Industrieverlagerungen, sektorspezifische Auswirkungen verschiedener digitaler Technologien, menschliche Fähigkeiten, Innovationen zu implementieren und sie in Richtung Nachhaltigkeit zu lenken, als auch die gleichzeitige Integration erneuerbarer Energien in der industriellen Fertigung. Das RIFS-Team empfiehlt ebenso neben Energievariablen künftig weitere Nachhaltigkeitsindikatoren wie Ressourcenverbrauch und Elektroschrott durch digitale Technologien in die Nachhaltigkeitsbewertung der Industrie 4.0 einzubeziehen.

Am weltweiten Energieverbrauch hat die industrielle Fertigung im Jahr 2022 einen Anteil von 37 Prozent. China leistet den größten Beitrag am Anstieg dieses Verbrauchs. Eine Senkung des Energiebedarfs und die umweltfreundliche Gestaltung der Industrieproduktion in China ist somit für den Klimaschutz weltweit von Bedeutung.

Vor diesem Hintergrund hat die RIFS-Analyse auch für Industrievertreter und politische Entscheidungsträger über China hinaus Relevanz. Denn die Europäische Union und Länder in anderen Weltregionen hegen die Hoffnung, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung mittels Digitalisierung adressieren zu können. Die Studienergebnisse deuten an, dass dies nicht automatisch gelingen wird, sondern gesteuert werden muss.

Fazit und Empfehlungen

Basierend auf seiner Untersuchung gibt das RIFS folgende Empfehlungen:

  • Durch internationale Zusammenarbeit und Vereinbarungen wie Lieferkettenabkommen sollten Innovationen im Bereich der Industrie 4.0 in der fertigenden Industrie auf die Reduktion des Energie- und Ressourcenbedarfs entlang der gesamten Wertschöpfungskette ausgerichtet werden. So kann verhindert werden, dass Industrie 4.0 zu einer verstärkten Verlagerung energieintensiver Herstellungsprozesse in Länder mit niedrigeren Umweltstandards führt.

  • Die Mechanismen, mittels derer bestimmte Technologien den Energieverbrauch der Industrie beeinflussen, sollten durch verstärkte Forschung unter Einbindung von Praxisakteuren besser verstanden werden. Welche Innovationen im Bereich der Industrie 4.0 dazu beitragen, die absolute globale Umweltbelastung zu reduzieren und wie diese durch Politik als auch Industrie gefördert werden kann, wird so entscheidbar.

  • Eine konsequente Orientierung der Industrie 4.0 an Nachhaltigkeitszielen kann dazu beitragen, die wachstumsfördernde Wirkung von Industrie 4.0 auf Ziele wie die Dekarbonisierung und Förderung der Kreislaufwirtschaft zu richten.

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