Wenn man ein Bit im Speicher eines Computers umschaltet und dann wieder zurückschaltet, dann hat man den Ursprungszustand wiederhergestellt. Es gibt nur zwei Zustände, die man „0 und 1“ nennen kann.
An der TU Wien wurde allerdings nun ein verblüffender Effekt entdeckt: In einem Kristall basierend auf Oxiden von Gadolinium und Mangan stieß man auf einen atomaren Schalter, den man nicht bloß einmal, sondern zweimal hin und her schalten muss, bis der Ursprungszustand wieder erreicht ist. Der Spin von Gadolinium-Atomen wird während dieses doppelten Ein- und Ausschaltvorgangs insgesamt einmal im Kreis gedreht. Das erinnert an eine Kurbelwelle, bei der eine Auf-und-ab-Bewegung in eine Kreisbewegung umgewandelt wird.
Dieses neue Phänomen eröffnet interessante Möglichkeiten in der Materialphysik, sogar Information könnte man mit solchen Systemen speichern.
Kopplung von elektrischen und magnetischen Eigenschaften
Normalerweise unterscheidet man zwischen elektrischen und magnetischen Eigenschaften von Materialien. Elektrische Eigenschaften beruhen darauf, dass sich Ladungsträger bewegen – etwa Elektronen, die durch ein Metall wandern, oder Ionen, deren Position verschoben wird.
Magnetische Eigenschaften hingegen hängen eng mit dem Spin von Atomen zusammen – dem Eigendrehimpuls des Teilchens, der in eine ganz bestimmte Richtung zeigen kann, ähnlich wie die Rotationsachse der Erde in eine ganz bestimmte Richtung weist.
Allerdings gibt es auch Materialien, in denen elektrische und magnetische Phänomene sehr eng miteinander gekoppelt sind. An ihnen forscht Prof. Andrei Pimenov mit seinem Team am Institut für Festkörperphysik der TU Wien.
„Wir haben ein spezielles Material aus Gadolinium, Mangan und Sauerstoff einem Magnetfeld ausgesetzt und gemessen, wie sich dabei seine elektrische Polarisierung verändert“, berichtet Pimenov. „Wir wollten also analysieren, wie sich die elektrischen Eigenschaften des Materials durch Magnetismus verändern lassen. Und überraschenderweise stießen wir dabei auf ein völlig unvorhergesehenes Verhalten.“
In vier Schritten zurück zum Anfang
Zu Beginn ist das Material elektrisch polarisiert – auf der einen Seite ist es positiv, auf der anderen Seite negativ geladen. Dann schaltet man ein starkes Magnetfeld ein – und an der Polarisation ändert sich nur wenig. Wenn man dann allerdings das Magnetfeld wieder ausschaltet, zeigt sich eine dramatische Änderung: Plötzlich kehrt sich die Polarisation um: Die Seite, die vorher positiv geladen war, ist danach negativ geladen, und umgekehrt.
Nun kann man denselben Prozess ein zweites Mal durchlaufen: Wieder schaltet man das Magnetfeld ein, und die elektrische Polarisation bleibt ungefähr konstant. Wenn man das Magnetfeld ausschaltet, kehrt sich die Polarisation wieder um und erreicht somit wieder den ursprünglichen Zustand.
„Das ist äußerst bemerkenswert“, sagt Pimenov. „Wir führen vier verschiedene Schritte durch, jedes Mal ändert das Material seine inneren Eigenschaften, aber nur zweimal ändert sich die Polarisation, daher erreicht man den Anfangszustand erst nach dem vierten Schritt.“
Viertaktmotor für Gadolinium
Eine genauere Betrachtung zeigt, dass die Gadolinium-Atome für dieses Verhalten verantwortlich sind: Sie ändern bei jedem der vier Schritte ihre Spinrichtung, jedes Mal um 90 Grad. „Es ist in gewissem Sinn ein Viertaktmotor für Atome“, sagt Pimenov. „Auch beim Viertaktmotor braucht es vier Schritte, bis der Ausgangszustand wieder erreicht ist – und der Zylinder bewegt sich dabei zweimal rauf und runter. Bei uns bewegt sich das magnetische Feld zweimal rauf und runter, bevor der Ausgangszustand wiederhergestellt ist und der Spin der Gadoliniumatome wieder in die ursprüngliche Richtung zeigt.“
Theoretisch könnte man solche Materialien verwenden, um Information zu speichern: Ein System mit vier möglichen Zuständen hätte eine Speicherkapazität von zwei Bits pro Schalter, statt des üblichen einen Bit Information für „0“ oder „1“.
Besonders interessant ist der Effekt aber auch für die Sensortechnik: Man könnte etwa auf diese Weise einen Zähler für magnetische Pulse herstellen. Wichtige neue Inputs liefert der Effekt für die theoretische Forschung: Es ist ein weiteres Beispiel für einen sogenannten „topologischen Effekt“, eine Klasse von Materialeffekten, die seit Jahren in der Festkörperphysik viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Entwicklung neuer Materialien ermöglichen sollen.